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Fritz Hinz

Ethik und Politik

In deutschen Landen steht Politik, wie wohl jeder weiß, nicht sehr hoch im Kurs. Wer kennt nicht die gängigen Stammtischsprüche: "Politik ist ein schmutziges Geschäft, sie verdirbt den Charakter" und "Politisch Lied ein garstig Lied". Das sind Redensarten, die leicht zu entkräften sind, denn was den verdorbenen Charakter angeht, so erliegt doch wohl nur der den gefährlichen Verlockungen, die mit einem politischen Amt verbunden sein können, der schon vor der Amtsübernahme nicht ganz astrein war. Politik, ohne die es auf dieser Welt nun einmal nicht geht, kann man doch nicht so ohne weiteres in Bausch und Bogen verdammen, weil es eben auch Politiker gibt, die das in sie gesetzte Vertrauen mißbrauchen. Nein, ich glaube, was dem Ansehen der Politik bei uns am meisten schadet, ist die weitverbreitete Enttäuschung darüber, daß politische Entscheidungen anscheinend nicht immer von den strengen ethischen Grundsätzen geleitet werden, deren Befolgung man von jedem Bürger erwartet. Und damit bin ich bei meinem Thema, nämlich der Frage: Wie stehen Ethik und Politik zueinander? Gelten für beide die gleichen Grundregeln, gibt es da Übereinstimmungen oder Gegensätze? Ehe das untersucht wird, müssen wohl beide Begriffe definiert werden, damit es keine Mißverständnisse gibt.

Zunächst zur Ethik: Sie wird im Brockhaus als Gesamtheit der Mindestausstattung an Verhaltens- und Einstellungsnormen beschrieben, die unter dem Einfluß einer Kultur in einer Gruppe oder Gesellschaft über eine längere Zeit hinweg offiziell und von der Mehrheit als verbindlich angesehen wird und nach der man zu handeln sich bemüht. Das sind in unserem christlich-abendländischem Kulturkreis die sittlichen Grundwerte und Leitsätze, wie sie in den Zehn Geboten des alten Testaments und in den Lehren des Evangeliums, besonders in der Bergpredigt, zum Ausdruck kommen: Nächstenliebe, Selbstlosigkeit, Barmherzigkeit und Demut.

Politik ist das Besorgen der öffentlichen Angelegenheiten, wie innere Verwaltung und Sicherheit, äußerer Dienst, Verteidigung, Finanzen, Wirtschaft, Justiz, Soziales, Kultur etc. eines Gemeinwesens durch ordnende Gestaltung und planmäßiges Handeln mit dem Ziel, alle Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren und Schaden von ihm zu wenden, wie es in unserem Grundgesetz heißt.

Nach Übereinstimmungen oder Gegensätzen war gefragt, aber die kann es nur zwischen gleichartigen konkreten Dingen oder gleichartigen abstrakten Kategorien geben. Ethik und Politik sind jedoch verschieden in ihrer Bedeutung und Zielsetzung. Sie können daher ebensowenig in Übereinstimung oder Widerspruch treten wie die Gesetze der Gravitation mit den Gesetzen des Geldumlaufs.

Die Ethik richtet sich an das Gewissen, die Politik an die Vernunft; die Ethik hat es allein mit dem Individuum zu tun, die Politik mit der Gesellschaft, und die ist etwas anderes und mehr als nur die Summe der zu ihr gehörenden Bürger. Im Gegensatz zur Ethik fragt die Politik nicht nach Gut und Böse, sondern nach Zweckmäßigkeit. Ihre Bestimmung ist es, die Sicherheit und das Wohl der meisten zu fördern und sicherzustellen. Für die Politik ist gut, was den meisten nutzt und böse, was ihnen schadet. Die Gesellschaft organisiert sich nicht nach moralischen oder religiösen Grundsätzen; die gelten allein für das Individuum. Die Gesellschaft lebt und entwickelt sich nach politischen, ökonomischen und soziologischen Normen, wobei das ganz Unsittliche immer auch das Lebens- und Gesellschaftsfeindliche ist.

Zwei Welten und zwei Maßstäbe stehen sich gegenüber: Ethik und Zweckmäßigkeit, gut und nützlich. Das Individuum wird am guten Willen, die Politik am Erfolg gemessen. Werden diese Maßstäbe vertauscht, wendet sich das Individuum von der Ethik ab und denkt und handelt nur nach dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit und des größten Nutzens, so führt das zur Unmenschlichkeit und zur Brutalität. Organisiert sich andererseits die Gesellschaft nach ethischen Gesichtspunkten und läßt die politischen, ökonomischen und soziologischen Normen außer acht, die sich auf Zweckmäßigkeit, Nützlichkeit und Erfolg gründen, so führt das zum Chaos, das muß man wissen. Politik ist die Kunst des Möglichen, und es hängt von der Begabung, Weitsicht und Klugheit des Politikers ab, welche Möglichkeiten er sieht und welche Ziele er seiner Arbeit setzt. Um aber das als möglich Erkannte in die Wirklichkeit umzusetzen, muß oft viel Notwendiges, Gefährliches und moralisch Bedenkliches, List, Heuchelei und auch Gewalt in Kauf genommen werden. Denn in der Politik ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten nicht immer die gerade Linie; oft führen Umwege schneller und besser zum Ziel. Aber wenn Politik auch amoralisch ist, so ist sie nicht unmoralisch. Ihr Sinn liegt in der Förderung des Gemeinwohls, und Gemeinwohl ist ein sittlicher Wert. Von der Verantwortung für dieses Gemeinwohl und für das Gemeinwesen wird politisches Handeln bestimmt, und daher wird es grundsätzlich pragmatisch, vernünftig und der jeweiligen Lage angemessen sein müssen.

In der Politik steht Verantwortungsehtik gegen Gewissens- und Gesinnungsehtik. Dabei ist Verantwortungsethik nicht gewissenlos und Gesinnungsethik nicht immer verantwortungslos. Aber es bedeutet schon einen Unterschied, ob jemand politische Entscheidungen nur trifft oder akzeptiert, die mit seinem Gewissen übereinstimmen, oder ob er sich in erster Linie für das Gemeinwohl verantwortlich fühlt und politische Maßnahmen deshalb vor allem unter Berücksichtigung ihrer evtl. positiven oder negativen Folgen beurteilt. Dieser Gegensatz spielt im politischen oder gesellschaftlichen Leben der Bundesrepublik eine immer bedeutendere Rolle. Natürlich kann es in dieser Frage keine Vorschriften geben, da muß sich jeder selbst entscheiden; aber es ist erstaunlich, wie viele Menschen heutzutage in dieser angeblich dummen und gemeinen Welt voller Unterdrückung, Ausbeutung und Unfrieden von Gewissensbissen geplagt werden und sich in ihren religiösen oder ethischen Überzeugungen herausgefordert fühlen. Das reine Gewissen und die absolute Ethik sind ihnen wichtiger als diese traurige Welt. Wenn ihre heren Forderungen, ihr missionarischer Eifer und ein beklagenswertes Mißverhältnis zwischen edlen Absichten und mangelhafter Kenntnis des praktischen Lebens mit seinen militärischen, politischen und wirtschaftlichen Zwängen dann zu den zu erwartenden katastrophalen Folgen führen sollte, so trifft sie keine Schuld. Sie haben ein gutes Gewissen, und sie haben das Beste gewollt. Gescheitert sind sie an den anderen, den Uneinsichtigen, Dummen, Boshaften, Spießern, und der Kampf für eine heile Welt muß weitergehen um jeden Preis, denn wie Pascal einst sagte, tut der Mensch das Böse nie besser, als wenn er es aus gutem Gewissen tut.

Schützenhilfe erhalten diese Schwärmer in der letzten Zeit bedenklicherweise von engagierten Theologen. In Verkennung ihrer eigentlichen, nämlich seelsorgerischen Tätigkeit, versuchen sie, schwierige politische Fragen zu Glaubensfragen zu machen. Aber die Bibel kann man entweder ernst nehmen oder wörtlich, hat ein kluger Kopf einmal formuliert, und gilt das auch für die vielzitierte Bergpredigt. Ihre Gebote richten sich an den einzelnen Christen und nicht an eine anonyme Gesellschaft:

Du sollst keine Schätze sammeln;
sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet;
so jemand will deinen Rock nehmen, so laß ihm auch den Mantel;
gib dem, der dich bittet;
liebet eure Feinde und widersteht nicht dem Übel;
so dir jemand einen Streich gibt auf deinen rechten Backen, dem biete den anderen auch dar!

Wer diese Grundsätze wörtlich nimmt, der muß der realen Welt entsagen, als Grundgesetz für ein Staatswesen auf dieser Erde sind sie nicht geeignet. Darum hat Jesus auch gesagt: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt". Der Politiker, der sein Amt und seine Aufgabe ernst nimmt, der Verantwortungsehtiker also, kann und darf die Sorge um das tägliche Brot, um Sicherheit und Freiheit der ihm anvertrauten Menschen nicht dem Lieben Gott allein überlassen, in der Hoffnung, daß alles gut gehen werde, wenn er nur reinen Herzens ist. Er muß Staat und Wirtschaft zweckmäßig organisieren und dem Übel zu Leibe rücken, damit es nicht überhand nimmt. Er kann sich nicht aus Angst um sein Seelenheil vor unpopulären, manchmal bedenklichen und gefährlichen Entscheidungen drücken, wenn sie für das Wohl des Ganzen erforderlich sind. Irgend jemand muß auch diese Arbeit tun und sie vor Gott und seinem Gewissen verantworten.

Ist eine konsequente Verteidigungspolitik denn unethisch in einer Welt voller bedrohlicher Spannungen? Hat die Geschichte nicht gezeigt, daß Pazifismus und erlahmender Widerstandsgeist Kriege nicht verhindern, sondern ein militärisches Vakuum schaffen, das geradezu zum Angriff herausfordert? Ist die soziale Marktwirtschaft unmoralisch, weil ihr Motor der Gewinn ist und nicht die Nächstenliebe? Hat sie sich nicht gegenüber allen anderen Wirtschaftssystemen hervorragend bewährt und neben größter Freizügigkeit Wohlstand für alle gebracht? Beispielhafte Fragen, die andeuten, wie gefährlich es sein kann, mit gutgemeinten aber weltfremden Vorstellungen die Welt verbessern zu wollen.

Nach den Risiken fragt der Gewissensethiker nicht; er fühlt sich allein dafür verantwortlich, daß die Flamme der reinen und einzig wahren Gesinnung nicht erlischt. Der Verantwortungsethiker muß mit Tatsachen rechnen und mit Menschen, wie sie wirklich sind. Er hat kein Recht, bei ihnen Güte und Einsicht vorauszusetzen; er kann die Folgen seiner Entscheidungen nicht anderen anlasten; er ist allein verantwortlich. Aber Ethik ist nur etwas für Schwärmer und Träumer. Einen Politiker ohne Gewissen und ohne den geistigen und seelischen Hintergrund christlich-abendländischer Kultur können wir uns nicht wünschen. In seiner Brust sollen ethische Gesinnung und praktischer Verstand aufeinander treffen. Wie er sie miteinander verbindet, wie er der Wirklichkeit ordnend entgegentritt und sie zum Wohl aller nach seinem Willen formt, das unterscheidet den politischen Funktionär vom Staatsmann.