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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d II. - Kapitel XL



Die Lehrlings- und die Meisteraufnahme führen aus der Nacht in das Licht und in das Leben, jene in das irdische und diese in das ewige. Die Lehrlingsaufnahme ist der irdische Geburtstag und es steigt in ihr die Seele von dem Himmel zu der Erde, zu dem Körper herab; die Meisteraufnahme aber ist der irdische Todestag und zu gleich der himmlische Geburtstag, die Seele wirft die irdische Hülle wieder ab und kehret in den Himmel zu Gott zurück. Zwischen Geburt und Tod, zwischen Wiege und Grab mitten inne liegt der Weg und Gang zum Grabe, das mühsame und sorgenvolle Leben, der Gesellengrad. Die Lehrlingsaufnahme ist der lichte und frohe Geburtsmorgen, der Gesellengrad der heisse und drückende Lebenstag, die Meisteraufnahme der düstere Lebensabend, die





dunkele Todesnacht. Die Nacht umschliesst als der Anfang und das Ende das irdische Leben, aus der Nacht entsteht das Leben und in der Nacht erstirbt dasselbe, aber der Nacht folgt auch das Leben und der Todesnacht das ewige Leben und Licht, verliehen durch Gottes Liebe und Gnade, das einzig aus dem Grabe wiedererweckende Wort.

Wer Ohren hat zu hören, dem ruft das Sterben Hirams und sein Wiedererstehen aus dem Grabe zu: "Lebe, um zu sterben; sterbe, um zu leben!" Was lebt, muss sterben, und was wir das Leben nennen, ist nur ein fortgesetztes und langsames Sterben, das Wandern zu dem Grabe. Fast ein jeder Tag reisst einen unserer Lieben, Freunde und Bekannten uns von der Seite und von dem Herzen, dass wir zuletzt ganz vereinsammt selbst bei dem Grabe angelangen und gerne dahin den Vorausgegangenen und dort schon Schlafenden nachfolgen. Blicke ein Jeder auf den Anfang seines Lebens zurück und frage sich, wo die lieben Eltern und Geschwister, die frohen Genossen unserer Kindheit und Jugend hingekommen, und er wird schmerzlich seufzen, dass die kalte Erde sie decke und man kaum noch die Stelle kenne, wo sie ruhen. Wie mit den Eltern, Geschwistern und Freunden geht es mit den schönen Idealen und Träumen, die einst im raschen Geistesfluge den Jüngling emporgetragen, - mit den Gefühlen, die sein Herz bewegt und beseelt. Was um und in uns besteht, vergeht und das höchste Leben vergeht am schnellsten; ein grosses Todtenfeld, das Grab nur alles Lebens ist die Erde. Aber der Tod ist doch kein Tod, kein Aufhören, sondern blos ein Schlafen, aus welchem der Schlafende wieder erwacht; - ist das irdische Leben die Wiege des Todes, ist auch der irdische Tod die Pforte des ewigen Lebens. Ein szufitischer Dichter sagt daher:

Betrachtest Gehn du recht, ist's auch ein Kommen.

Der Schlaf wird schon von den Griechen der Bruder des Todes genannt, weil nicht nur der Tod blos ein Schlaf ist, sondern wir auch allein aus dem Schlafe den Zustand der Seele nach dem Tode, das Wesen des unsterblichen Geistes zu ahnen vermögen. Wie die Seele im Schlafe





das Bewusstsein ihrer selbst, das Bewusstsein des Schlafes, die Zurückerinnerung an das wahre Leben bewahrt, wird sie dieses Bewusstsein auch in dem Grabe und nach dem Tode bewahren, so dass das gegenwärtige Leben nothwendig in das jenseitige hinüberreicht und dieses nur fortsetzt, was jenes begonnen, - dass der Mensch drüben nur sein wird, was er hier geworden. Durch den Tod werden wir jedoch die hemmenden Fesseln des Körpers abgelegt haben, wir werden durch den Leib und durch die mit ihm verbundene Sinnlichkeit nicht mehr gehindert sein und uns als ätherische Wesen, als Lichtwesen zu dem Himmel, zu Gott aufschwingen, wie wir schon im Schlafe gleichsam den Körper abgelegt haben und nur Seele sind. Der Tod ist das Losringen der Seele von dem Leibe, von der Erde; ist die Freiwerdung des Geistes, das Erlangen des reinen geistigen Lebens. Dass der Leib den Himmelsflug, den freien Aufschwung des Geistes hemme, den Geist an die Erde binde und zu ihr herabziehe, fühlen wir oft deutlich und drückend im Traume und das Erwachen aus dem Traume ist nur die Rückkehr der Seele zu der Erde, in den Leib. Der Tod ist also nur ein Zeitliches, ein Formenwechsel, welcher das wahre Leben und den Geist nicht berührt, nicht aufhebt und vernichtet. Aehnlich sterben und vergehen auch die Völker und Staaten, die Sprachen und Religionen, aber die Menschheit, der Staat, die Sprache und die Religion bleiben. Homer und Aristoteles, die ganze Kunst und Wissenschaft der Griechen sind nicht gestorben, denn ihr Geist lebt in jugendlicher Frische noch heute unsterblich fort. An dem Helden Achilleus begeisterte sich Alexander der Grosse zu dem Verbindungs- und Eroberungszuge aus Europa nach Asien; Alexander wurde dann wieder das Vorbild, das Ideal des Caesar und Caesar und Alexander des Napoleon, so dass Alexander, Caesar und Napoleon die Schüler, die Jünger des homerischen Achilleus genannt werden dürfen. Homer begeisterte wieder den Ennius und Virgil zur Schöpfung der römischen Literatur und an Virgil erstarkte das Genie des Dante, dass er der Schöpfer der italienischen und der gesammten modernen Literatur wurde.

Wie im Schlafe oder Traume fühlt sich auch im Ge-





bete 1) der Menseh der Gottheit näher und freier von der Erde Banden, und die tröstende Kraft des Gebetes besteht allein darin, dass im Gebete der Mensch mehr die Nichtigkeit und Vergängliehkeit der irdischen Dinge, des irdischen Wehes und Jammers, sowie die Unverletzlichkeit und Unvergängliehkeit des göttlichen Geistes fühlt und erkennt. Das Gebet ist die Erhebung des Menschen über die Erde und von der Erde zu Gott und deshalb beten alle Menschen und alle Völker, welche an Gott glauben. - Mahommed soll gesagt haben: "Der Gläubige ist Gott am nächsten, wenn er betet." 2) Bei den Indern heisst Brahma das Gebet und Gott, welchen letztern der Inder durch das erstere zu erreichen und herbeizuziehen strebt; die Brahmanen sind die Betenden. 3) Dass ein Gott sei und Alles lenke und richte, ist der Inhalt aller Gebete und beten heisst nur, Gott bekennen und anrufen. Im Gebete fällt die Scheidewand zwischen Zeit und Ewigkeit, zwischen der Menschheit und der Gottheit; der betende Mensch ruht gleichsam an dem Herzen und in dem Geiste Gottes und schöpft dort die Liebe und die Wahrheit, Vergebung und Hoffnung. Wen das Unglück und die Sünde niederbeugen, den richtet das aufrichtige und gottinnige Gebet wieder empor, da er weiss, dass der allgütige Gott das Unglück hinwegnehmen und dem Bereuenden vergeben wird. Göthe singt unendlich wahr:

Wer nie sein Brod in Thränen ass,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend sass,
Der kennt euch nicht, ihr himmel'schen Mächte!

Der Spruch, dass Gott Diejenigen züchtige und strafe, welche er liebe, beruht auf der Erfahrung, dass der Glückliche Gott ganz in seinem Uebermuthe vergisst und nur noch der Unglückliche auf ihn als seinen Schützer




    1) Verzl. besonders Lasaulx, die Gebete der Griechen und Römer, in den Studien des klassischen Alterthums, S. 137 - 158.
    2) Tholuk, Blüthensammlung aus der morgenländischen Mystik, S. 52.
    3) Vergl. Roth. Brahma und die Brahmanen, in der Zeitschrift d. d. m. Gesch., I. S. 66 ff.; Lassen, a. a. O. I. S. 766.



und Erretter vertrauet und bauet. Das Unglück und Unrecht, welches wir hienieden erdulden müssen, ist auch der Pfleger des Glaubens an die Unsterblichkeit, an die lohnende und strafende Gerechtigkeit, denn weil ein gerechter Gott und Vater lebt, muss das hier Unausgeglichene dort ausgeglichen werden und die irdischen Reichen könnten leicht die himmlischen Armen sein. Bei dem Aristoteliker Simplicius wird der wahrhaft philosophische Gedanke entwickelt: Nicht Gott wende sich, wenn wir sündigen, von uns hinweg und nicht er wende sich, wenn wir bereuen, wieder zu uns; sondern wir entfernen uns von Gott und wir kehren wieder zu ihm zurück. Und dieses, dass wir uns wieder zu Gott hinwenden, bezeichnen wir so, als wenn er zu uns sich hinwende. Wie man von einem Felsen herab mit einem Seile ein Boot heranziehe, und die Leute im Boote meinten, dass nicht sie zu dem Felsen, sondern der Fels zu ihnen komme. Reue, Busse, Gebet seien mit jenem Seile zu vergleichen, und das Gebet sei wie das Auswerfen eines Ankers auf einem festen Grund habe der Anker gefasst, so glaube man zwar, Gott zu sich heranziehen, in Wahrheit aber ziehe man sich nur zu Gott hinan (Lasaulx, Studien des klassischen Alterthums, S. 148). - Noch tiefer und höher betrachtet, ist das Gebet, d. h. der Gedanke Gottes und der verehrende Ausspruch dieses Gedankens in der Sprache, in dem Gebete, das göttliche Vorrecht des Menschen. 1) Schon der jüdische




    1) Vergl. auch Schubert, Geschichte der Seele, §, 42; Bibliothèque universelle, Revue suisse et étrangere, LXIIIme année, Tome II. p. 5 seqq. : "De l'Origine da Langage ;" Renan, de l'Origine du Langage, 2me edit., Paris 1858. In der Bibliothèque universelle wird von Debrit der Satz aufgestellt, dass die ersten Menschen, dieMenschheit als eine denkende und redende geschaffen worden sei (L'Homme a done été créé pensant et parlant), S. 42, mithin die Gottheit ihr eine Ursprache verliehen gehabt habe, aus weleher alle übrigen sich durch Entartung und Fortbildung zugleichgebildet haben. Wir können diese Ansicht nicht theilen, sondern glauben, dass die Urmenschheit blos die Fähigkeit zu denken und zu reden hatte, und erst denken, reden und schreiben lernen musste. Die Bibliothèque universelle, p. 25, stattet die Urmenschheit sogar mit einer Urschrift aus: "je serais porté à croire que le système de signes donné au premier homme devait être d'une ex-



Philosoph Philo von Alexandrien hatte daher, ähnlich wie Plato und Aristoteles, den eigenthümlichen Vorzug des Menschen in die Fähigkeit gesetzt, das Seiende, Gott zu verehren (); die Menschen und nur die Menschen sind Gottesverehrer, Therapeuten , - Beter, Brahmanen, die Frommen, Essäer. Nur der Mensch vermag Gott zu denken, zu nennen und zu verehren, weil nur in ihm der Geist lebt, der von Gott stammet und von Gott zeuget. Das Gebet, d. h. Gott und der göttliche Geist ist das Wort und ( und ), welches von dem ersten Anfange bei den Menschen war und der göttliche Mensch oder der Mensch gewordene Gott selbst ist. In dem Gebete, in dem Gedanken und Worte des dankbaren und hülfesuchenden Kindes an den allgütigen und allbarmherzigen Vater ist daher der Mensch bei Gott und dieser bei jenem, und der Betende darf versichert sein, dass Gott ihn höret und erhöret. Das Gebet ist nichts Anderes als die Erhebung des Menschengeistes zu Gott und das Verweilen, das Sein desselben bei ihm; der Betende, der Brahmane, ist in und bei Gott oder Brahma. Darin liegt zugleich der spycholische und historische Erklärungsgrund, weshalb die Menschen, besonders die Buddhisten so viel und zu viel beten, - sich so gern und vielfach dem Mysticismus und dem blos beschaulichen Leben in der Einsamkeit der Wüste, der Wälder oder der Klöster ergeben; das Gebet ist dem Menschen der höchste geistige Genuss, eine himmlische Freude und Beruhigung, denn der Betende ruht ja in Gottes Geist, Hand und Schoss, - flüchtet sich, alles Erdenleid und Erdenweh vergessend und zurücklassend, in den Himmel. Wie man den Schlaf den




treme simplicité." Mit denselben Gründen, mit welchen die Nothwendigkeit einer Ursprache und Urschrift für die Urrnenschheit dargethan werden will, könnte man auch eine Urbaukunst, Urmusik u. s. w. fordern; es war an dem göttlichen Geiste, an dem Himmelsfeuer genug, an welchem alles Menschliche entzündet werden konnte. Nur die Menscheit ist von Gott geschaffen und mit Allem, was sie besitzt, hat die Menschheit vermöge des ihr verliehenen göttlichen Geistes sich selbst ausgestattet. Auch nach Schubert kommt mit dem Geiste, mit der höheren Begeisterung die Sprache als der Ausdruck und die Schöpfung des Geistes.



Bruder des Todes nennt, dürfte man das Gebet der himmlischen Seligkeit verschwistert nennen, wie es auch die Mystiker thun und daher diese durch die Versenkung in Gott oder die Vereinigung mit ihm suchen. Das Gebet des Unglücklichen und Bedrängten aber, der leidenden und gebeugten Menschheit ist der Klageruf, der Seufzer, die Hoffnung des Erdensohnes an den himmlischen Vater, an die himmlische Gerechtigkeit und Gnade, an die jenseits kommende Erlösung und Vergeltung. Man muss unglücklich gewesen sein oder noch sein, man muss schon gottvertrauend gebetet haben und noch beten, um zu fühlen und zu wissen, worin die Natur und die Kraft des Gebetes bestehe; man muss als Gotteskind und Sohn sich fühlen und wissen, um von Gott dem Vater Schutz, Hülfe und Gnade erflehen und hoffen zu können. Der Vaterlose wird nicht nach dem Vater rufen; wie aber das Kind dem Schutz und der Hülfe des nahen und wachenden Vaters und Freundes ruhig vertrauet, so auch vertrauet und bauet der Betende auf den Angebeteten. Das Beten hilft schon, weil es Hoffnung, Vertrauen und Stärke gibt, weil göttlich ist, wer mit und in Gott sein will. Unendlich wichtig und bedeutungsvoll, ja als das grösste geoffenbarte göttliche Geheimniss erscheint aber das gemeinsame Gebet, der gemeinsame Gottesdienst, denn in ihm fühlen, denken und nennen sich alle Menschen als des gleichen göttlichen Geistes, als die Kinder des Einen Gottes und Geistes und deshalb reden sie auch Eine Sprache, beten Ein Gebet. Die Menschen allein können miteinander reden und beten, verstehen und begreifen sich als Dieselben und die Gleichen, weil in allen Menschen nur Ein Geist und Ein Gott lebt und durch die Eine Sprache sich verkündet. Die gleiche Sprache umschliesst überall den gleichen Glauben und das gleiche Wissen, denselben Geist und Gott, die nämliche Erde und den nämlichen Himmel; in dem mit ihm dieselbe Sprache Sprechenden, mit der gleichen Zunge Redenden erkennt der Mensch froh bewegt in der weitesten Ferne den Bruder aus dem gleichen irdischen und himmlischen Vaterhause und Vaterlande. Die Sprachen, die Religionen, die Kirchen, die Logen sind die Gottheit in der Menschheit, - die laute Verkündigung und Anbetung





des Einen Gottes durch die Völker und die Menschen; einstens wird nur Eine Sprache, Eine Religion, Eine Kirche und Loge sein, weil nur Ein Gott ist und sein kann; wenn alle Menschen und alle Völker Eine Sprache reden, Ein Gebet boten, Einen Gott glauben und nennen, Eine vereinigte Kirche und Loge des einzigen Gottes bilden, dann ist auf Erden der Messias erschienen, welchen die jüdischen Propheten verkündet haben und mit Recht die Juden noch erwarten. In der Einen Sprache und Einen Kirche wird der Eine Gott dereinst die ganze und Eine Menschheit umfassen. Die Sprache ist der Hauch (hebr. rouach 1) und das Wort Gottes, welches aus der menschlichen Seele und dem menschlichen Geiste lebendig hervorströmt und diese selbst ist; die menschlichen Sprachen sind die geistigen Winde, die Geister, welche die Menschheit durchwehen, und daher nannte Pythagoras die Worte nach Diogenes Laertius, VIII. 30, die Sturmwinde, die Rauche der Seele (). Mit der Sprache und durch dieselbe wird der Mensch zum Mitgliede seines Volkes und der Menschheit aufgenommen, erhält einen Glauben und ein Wissen, ein Herz und einen Geist, - eine Geschichte oder Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Ueber die Gesinnung oder das Herz, womit gebetet werden solle, darf wohl eine Stelle aus dem Lehrgedichte Mesnewi des oben schon berührten Dschelaleddin Rumi mitgetheilt werden.

Da nun gleichfalls unsrer Lüst' Geruch aufsteigt,
Hilft's dem Sünder nichts, wenn er die Sünd' verschweigt.
Wie der Zwiebel Stank durch alle Worte dringt,
Also auch die Lust durch jede Handlung stinkt.
Dann auch nur fürwahr ist Gott Gebeten feind,
Wenn im graden Beten krummes Herz erscheint.
Ist das Wort krumm und das Herz recht, Freunde wisst!
Solche Krümm' Gott lieber als Gradheit ist.
Der Gebetsausrufer B'lal trotz aller Müh'
Hei! stets beim Gebetsausruf statt Bhai schrie.
Die Gemeind' drauf klagend zum Propheten geht
Unser Glaub' mit solchem Stammeln nicht besteht.




    1) Bibliothèque universelle, a. a. O., S. 10.



O Prophet! Rasch solchem Stammeln Einhalt thu',
Bauern nur sagt jenes Hei des Stammlers zu.
Zorn im Herz Muhammeds glüht, mit Ernst er spricht:
Seiner Gnade tief Geheimniss kennt ihr nicht.
Wisst, dass unserm Gotte dieses Stammlers Hei
Schöner als die schönste Red' und Aussprach' sei.
Wem ein reiner Hauch nun beim Gebete fehlt,
Fleh' zum Reinheitsquell, bis dass er ihn erhält.
Da vor Gott einst Moses zum Gebet hintrat,
Also Gott zu ihm voll Ernst gesprochen hat:
Mose! nur mit solchem Munde ruf' mich an,
Der noch nie 'ne Sünde hat vor mir gethan!
Moses tief im Geist erschreckt, mit Beben spricht:
Weh' mir dann! Ich habe solche Lippen nicht.
Gott darauf: Ein Mund bei mir in Gnaden steht,
Schuldlos ist der Mund, der um Vergebung fleht.
Wiss' o Mose! Schuldig sind die Lippen nicht,
Drauf ohn' Unterlass Gebet um Gnade liegt. 1)

In einem andern szufitischen Gedichte heisst es:

Nur wer der Reinheit Sam' in's Herze sä'te,
Nur dem zu Gott gestattet sind Gebete.
Hast du nicht ganz dein eignes Ich verspielet,
Was Beten ist hast nimmer du gefühlet.
Nur weinn dein ganzes Sein frei von Befleckung,
Nur dann das Beten wird fürwahr Erquickung. 2)

Bei den Indern ist Gott, Brahma, der Herr des Gebetes, Brihaspati oder Brahman' aspati, und Herr der Rede, Vâk' aspati, 3) d. h. das Gebet und alle Rede, das Wort () ist göttlich, ist eine Regung, eine That des göttlichen Geistes in uns. Wir beten zu Gott, wir nennen und bekennen Gott, wenn er unser Herz und unsern Geist bewegt und erfüllt. Daher haben die Inder die Rede vergöttlicht und rufen dieselbe als Sarasvati, als die Erregerin wahrer Reden und guter Gedanken an, und ebenso den Lobgesang Ilâ oder Id'â. 4) Der Redende, der Betende und der Lobsingende, - das Wort und der Gesang sind die Verkündigung Gottes durch den Menschen, der gött-




    1) Tholuk, Blüthensammlung aus der morgenländischen Mystik, S. 159
    2) Tholuk. a. a. O., S. 208.
    3) Lassen. a. a. O., I. S. 766 und 767.
    4) Lassen, a. a. O., I. S. 767.



liche Geist und das göttliche Wort in den Menschen, Gott Brahma, Vâk, Ilâ 1)

Auch die prophetische Gabe, 2) das Wissen des in Raum und Zeit Entfernten, welche das ganze Alterthum der Seele beilegte, gehört hierher. Nach Plato waren die menschlichen Seelen, weil sie göttlicher Natur sind, anfänglich von dem Zwange der Zeit nicht umschlossen; erst seit sie in einem vorirdischen Leben gesündigt haben, in die irdische Geburt herabgestürzt und mit Körpern verbunden und vermischt sind, sei ihre ursprüngliche Sehkraft getrübt; gänzlich verloren aber haben sie dieselbe nicht, denn sie ist ihnen eingeboren und unverlierbar. Plutarch sagt: "Wie die Sonne nicht erst dann, wenn sie aus den Wolken hervortritt, glänzend wird, sondern es immer ist, und nur wegen der Dünste, die sie umgeben, uns finster vorkommt, so erhält auch die Seele nicht erst dann, wenn sie aus dem Körper wie aus einer Wolke hervorgeht, das Vermögen in die Zukunft zu sehen, sondern besitzt dieses schon jetzt, ist aber durch ihre gegenwärtige Vermischung mit dem Sterblichen gleichsam. geblendet." Da ihr also die manifestirende Kraft angeboren und unvertilgbar inwohne und im gewöhnlichen Zustand des Lebens nur verborgen oder verdeckt sei: so könne sie auch, erregt von einer höhern Macht, oder wenn wodurch immer die Macht des Körpers geschwächt und vermindert sei, in einzelnen lichten Momenten des gegenwärtigen Lebens manifest werden, vorzüglich in solchen, in denen die Seele am wenigsten Gemeinschaft mit dem Körper habe, von seinen hemmenden Fesseln so viel möglich befreit und fähig sei, das Wesen der Dinge zu schauen. Solche lucida intervalla in der Nacht des gegenwärtigen Lebens treten oft im Schlaf und Traum, in der Nähe des Todes, und in den verschiedenen ekstatischen Zuständen ein: welche letzteren theils durch göttliche Einwirkung, theils durch




    1) Vergl. auch Nägelsbach, nachhomerische Theologie, Seite 211 - 221; Welker, griech. Götterlehre, II. S. 61 ff.
    2) Vergl. Lasaulx, die prophetische Gabe der menschlichen Seele in Dichtern und Denkern, München 1858; Leibnitz, deutsche Schriften, II. S. 48 und 49.



physische Einflüsse, begeisternde Quellen und Erddünste hervorgebracht werden könnten. Ihren letzten Grund haben alle diese erhöhten Seelenzustände nach dem Glauben der Vorwelt in dem Willen der Gottheit, welche darin die Seele an ihrem eigenen göttlichen Wesen Theil nehmen lässt, sie je nach dem Grade ihrer Fähigkeit bewegt und ihr Bilder der Zukunft zeigt. Die göttliche Mania, sagt Aristides, besteht darin, dass erstlich der Geist von den gewöhnlichen und gemeinen Dingen abgewendet werde, und dass der abgewendete und darüber hinausdenkende Geist mit Gott zusammenkomme und eben darum die gewöhnliche Denkweise überrage. Zur Erklärung des anscheinend Widersprechenden, wie das Zukünftige als ein noch nicht Seiendes vorhergewusst werden könne, hat schon Cieero mit Recht bemerkt, dass es sich hier nicht um ein schlechthin Nichtseiendes handle, sondern nur von einem noch nicht manifest Seienden; denn es ist, sagt er, Alles, nur ist es noch nicht in die Zeit getreten und zeitlich gegenwärtig. Gleichwie aber im Samen die Potenz der Dinge liegt, die daraus erzeugt werden, so liegt in den Ursachen das Zukünftige verborgen und dass dieses kommen wird, schauet eben der innerlich erregte oder im Schlafe entbundene Geist, oder Vernunft und Muthmassung fühlen es voraus. Lasaulx, die prophetische Gabe, S. 33, sagt: "Wie das Leben des Menschen, vom ersten Augenblicke seiner Empfängniss bis zum letzten Hauche des sterbenden Greises, nur ein Ganzes ist, welches jeden Tag in periodischem Wechsel von Schlafen und Wachen sich involvirt und evolvirt: so ist die Zeit durch alle ihre Stadien, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, deren jede, sobald man sie fixirt, wieder in alle drei sich erschliesst, nur ein einziges zusammenhängendes Ganzes. Was implicite in ihrem Anfange ist, erscheint explicite in ihrem Fortgange, der seinerseits wieder den impliciten Beginn jedes folgenden Momentes in sich hat: so dass zwischen Anfang und Ende eine continuirliche Spannung herrscht. Das Gegenwärtige, von dem Vergangenen geschwängert, gebiert das Zukünftige; die Gegenwart, wie sie die Tochter ihrer Vergangenheit ist, ist selbst wieder die Mutter ihrer Zukunft: sie hat, wie jede Mitte, ihrer Natur nach an





beiden Extremen Theil, hat die Vergangenheit noch, und die Zukunft schon in sich: so dass wer in sie die rechte Insicht, den wahren Einblick hat, in ihr und aus ihr die Vergangenheit noch und die Zukunft schon zu diviniren vermag." Auch ist es ein guter Gedanke Plutarchs, wenn er darauf aufmerksam macht, dass die mantische oder voraussehende Kraft der Seele im Grunde nicht wunderbarer sei, als die mnemonische oder zurückerinnernde Kraft der selben, d. h. dass es eben so natürlich zugehe, wenn die Seele das noch nicht daseiende Zukünftige vorausempfinde, als wenn sie das nicht mehr daseiende Vergangene nachempfinde. Der , dem Voraussehen gerade entgegengesetzt, spricht er, ist die , die Zurückerinnerung, jenes wunderbare Vermögen der Seele, wodurch sie das Vergangene bewahrt und gegenwärtig erhält. Denn alles Gesehehene ist nicht mehr, - Alles in der Welt, Handlungen, Worte und Affecte entstehen und vergehen, indem die Zeit gleich einem Strome Alles mit sich fortreisst: aber die Gedächtnisskraft der Seele fasst, man weiss nicht wie, das Alles wieder auf und gibt ihm, ob es gleich nicht mehr zugegen ist, das Ansehen und den Schein des Gegenwärtigen, so dass uns das Gedächtniss gleichsam das Gehör für stumme (lautlose) und ein Gesicht für blinde (unsichtbare) Dinge ist. Daher es auch nicht zu verwundern ist, dass die Seele, die über Das, was nicht mehr existirt, so mit viel Gewalt hat, auch Manches, das noch nicht ist, mit dazu nimmt, zumal ihr Letzteres weit angemessener und mit ihrer Neigung übereinstimmender ist. Denn alles Dichten und Trachten der Seele ist ja auf die Zukunft gerichtet, mit der Vergangenheit hat sie nichts weiter zu thun, als dass sie sich ihrer erinnert. Und so schwach und stumpf dieses den Seelen eingeborene Vermögen sein mag so geschieht es doch zuweilen, dass eine aufblühet und davon in Träumen oder bei Mysterien Gebrauch macht. 1)

Die wunderbare Gabe der Seele, das Vergangene wieder in sich entstehen zu lassen, von welcher hier Plutarch spricht und die er mit der verwandten Gabe der




    1) Lasaulx, Studien, S. 286 ff.



Seele vergleicht, das Zukünftige vorauszusehen, prophetiseh zu erblicken, tritt gleichfalls besonders im Traume, in dem ven der Gewalt des Körpers mehr befreiten Zustande hervor. Wie oft werden wir im Traume in die Zeiten, Wohnplätze und Umgebungen unserer vergangenen Jugendzeit, ja selbst der frühesten Kindheit zurückversetzt, welche sonst in der Erinnerung schon längst vergessen; wir werden noch einmal zum Jünglinge, zum Kinde und bewegen uns in der alten Heimath unter lange verstorbenen Anverwandten, Freunden und Bekannten. Wenn nun die Seele in höherer Kraft und körperloser geworden, gleichsam das Grab zu öffnen vermag, kann sie auch in seltenen ächten Augenblicken den dunkelen Schleier der verborgenen Zukunft heben, das Zukünftige erschauen. Die Rückerinnerung an das Vergangene und das Voraussehen oder Vorauswissen der Zukunft sind die gleiche göttliche Kraft der Seele, welche sich frei über die Schranken des Raumes und der Zeit erhebt, das Endliche durchbricht und zum Unendlichen hindurchdringt. Und wenn einstens durch den Tod die Seele ganz von der körperlichen Hülle und den Fesseln des Leibes befreit sein wird, liegen auch geöffnet vor ihr Vergangenheit und Zukunft und sie wird theilhaftig der göttlichen Allwissenheit, des göttlichen Wesens und Lichtes. Schon hierin liegt auch das Wiederfinden und Wiedersehen alles Dessen, was wir hier verloren und geliebet. Weit entfernt, schreckhaft und vernichtend zu sein, ist daher der Tod nur die Geburt zum göttlichen Leben, zum reinen Geistesleben, zur himmlischen Seligkeit und Wonne, welche wir Unsterblichkeit nennen und die nur das göttliche Sein und Wesen ist. Das Irdische und Menschliche muss vergehen und abgelegt werden, damit ein Gott geboren, das Göttliche befreiet und herrschend werde. Der Tod des Menschen ist der Aufgang Gottes in der Seele, - oder, wie die morgenländischen Mystiker sagen, der Sinne Untergang ist der Wahrheit Aufgang. 1) Daher könnte die Aufschrift auf dem Denkmale der Meister auch dahin gefasst werden:

Deponens aliena, ascendit deus.




    1) Vergl. z. B. Tholuk, Blüthensammlung, S. 279 und 294.



Der szufitische Madmud sagt:

Das Reine geht zum Reinen, Staub zum Staube.

und Sajib:

Fort mit dir du Kleid aus Staube, hurtig wirst du abgelegt. -
Himmelstroph krystallhell war ich, Erdenstaub liess mich nicht rein,
Nun geborgen werd' ich, setz' mich in des Demants Herz hinein.