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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
- Allgemeine innere und äussere Geschichte der Bauhütte -
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1863

B a n d III. - Kapitel V., Teil 7, Seiten 551 - 600

Die deutschen Bauhütten.

() und ein Oberkleid (), so wie durch babylonische Gewande und durch Haarlocken so bedeckt, dass man nur das Gesicht und die Hand- und Fussspitzen sehen konnte. Dasselbe war mit den Statuen des Dionysos, der Demeter und Persephone, in dem Nymphon bei Plius der Fall. 1) Es muss aus dieser Symbolik entnommen angesehen werden, dass in dem Siegel der Bauhütte zu Strassburg und Nürnberg, deren Abbildung sich bei Heideloff, die Bauhätte, Titelkupfer Fig. b, c und e, vergl. mit S. 23, findet, die Maria, mit dem Christuskinde auf dem Arme, in langem wallenden Haare erscheint. Die auf dem Wappenschilde jener Siegel in drei Feldern vorkommenden Symbole, nämlich in dem obern Theile des rothen (bei Strassburg) oder weissen (bei Nürnberg) Feldes eine Setzwaage, im untern Theile ein goldener Zirkel und in dem weissen (bei Strassburg) oder rothen (bei Nürnberg) Schrägbalken zwei goldene Hämmer, lassen sich ohne Zwang auf die drei maurerischen Lichter, 2) d. h. auf den allmächtigen Baumeister (Hammer) mit dem Rechte (Setzwaage) und der Liebe (Zirkel) deuten. In dem Siegel des Handwerks der Steinmetzen zu Dresden 3) sind ähnlich drei Werkzeuge, ein Winkelmass, mit unten angehängter Bleiwaage und darüber geöffnetem Zirkel, enthalten.

Die römischen Sitten und Gesetze, die römischen Gewerbe und Künste, die römischen Einrichtungen des Privat- und Staatslebens, und namentlich auch die ganze antike Kunstsymbolik gingen, genauer und wahrer gesprochen, nicht auf die Christen über, sondern hatten längst die Römer und die in dem weiten römischen Reiche unter ihnen und bei ihnen lebenden Kelten und Germanen, als sie allmählig zu dem Christenthume übertraten und zuletzt unter Constantin in dem römischen Reiche, in den römischen Ländern und römischen Städten und Dörfern die christliche Kirche zur Staats- oder Reichskirche erhoben wurde. Nicht die Christen nahmen römische Sitte und Bildung an, sondern die Römer und die ihnen unter-




    1) Klenze, a. a. O., S. 199.
    2) Symbolik im Register unter Lichter.
    3) Bei Heideloff, Titelkupfer, Fig. f.



worfenen oder mit ihnen verbundenen keltischen und germanischen Völker liessen das Christenthum bei sich zu, fügten dasselbe in ihr römisches privates und öffentliches Leben ein, - bezeichneten sich und das Ihrige mit dem Kreuze oder Monogramme Christi, welche äusserlichen Bezeichnungen lange Zeit hindurch bei Hohen und Niedern vielfach das einzig Christliche waren und sein mussten. Der römische Staat und das römische Privathaus mit allen ihren Einrichtungen und mit ihrem ganzen geistigen und körperlichen Besitzthume, - mit ihren Sitten und Gesetzen, - mit ihren Gewerben, Künsten und Wissenschaften u. s. w. bestanden auch nach dem Uebertritte zum Christenthume und trotz desselben völlig unverändert in allen wesentlichen Theilen fort und mussten fortbestehen, weil das Urchristenthum, das reine Christenthum auf den religiösen Glauben und die religiöse Tugend sich durchaus beschränkte und den Staat mit seinen Einrichtungen an sich nicht antastete, - weil es noch gar kein christliches Können und Wissen, - keine christliche Gewerbe, Wissenschaften und Künste gab, sondern alles Dieses ursprünglich die Heiden allein besassen und die Heidenchristen als ihr hergebrachtes Eigenthum behielten. Wie nun aberdie Heidenchristen sich bekreuzten oder überhaupt sich Christen nannten, zu Christus bekannten, war es ganz natürlich, dass auch auf öffentlichem und Privateigenthume der bisherigen Heiden das Zeichen (das Kreuz) oder der Name (das Monogramm) Christi beigefügt wurde, z. B. auf den Heereszeichen, Kriegs- und Reichsfahnen, - auf den umlaufenden Münzen, und da man nicht sogleich das bestehende Münzsystem ändern konnte und wollte, auch auf neu geprägten Münzen, - auf den vorhandenen öffentlichen und Privatstempeln und Siegeln, - auf den bestehenden öffentlichen und Privatdenkmalen und Gebäuden, z. B. Gräbern und Grabsteinen, Sarcophagen, Statuen, Brunnen, Wasserleitungen, Thoren, Basiliken, u. s. w. Selbst mit den Prachtgewändern der Kaiser, der öffentlichen Beamten und der Privaten ist es gewiss ähnlich gehalten worden. Das römische Christenthum war somit anfänglich und lange, ja vielfach Jahrhunderte hindurch schlechterdings und in allen Theilen des staatlichen und





des häuslichen Lebens nur das römische Heidenthum unter dem Zeichen und Namen Christi, wie es auch nach der Natur der Sache und den gegebenen Verhältnissen gar nicht anders sein konnte. Um etwas Einzelnes, und in näherer Beziehung zu unserm Hauptgegenstande Stehendes hier zu berühren, erinnern wir an die unter den Römern so ausgedehnten und so blühenden Metallwerkstätten zu Ell (Helellum) an der Ill unweit Benfelden im obern Elsass, einige Stunden oberhalb der gleichfalls römischen Stadt Strassburg. 1) In diesen Werkstätten wurden nach Schreiber alle Waffen und alle Schmucksachen verfertigt, welche in den keltischen Hügel- und Furchengräbern jenseits und diesseits des Oberrheins gefunden worden und allgemein verbreitet sind. Alle Münzen wurden seit der Römer Zeiten auch im Mittelalter nur in den Städten geprägt, wie dort allein auch alle Arten künstlicher Waffen verfertigt wurden 2) und noch weit mehr die Gold- und Silbersachen. Sehr bedeutende Funde von Alterthümern, besonders römischer Kaisermünzen bis zum Ende des 4ten Jahrh., und auch von Prägstöcken, dieser Münzen, sind in der an Ell vorbeifliessenden Ill gemacht worden. Höchst zahlreich und verschiedenartig sind die Ringe, meist von Bronze, theils mit Schriftzügen, Vorstellungen und eingelegten Steinchen, theils ohne solche; sie stellen entschieden Heidnisches dar, zeigen aber, auch das bekannte Christusmonogramm, wie solches auf dem Reichspanner der byzantinischen Kaiser, auf ihren Münzen u. s. w. vorkommt. 3) Das Monogramm Christi selbst, nämlich , ist ein altes griechisches, namentlich auch auf attischen Tetradrachmen und auf Münzen unbekannter Ptolemäer vorkommendes zusammengesetztes Buchstabenzeichen. Das Monogramm Christi und überhaupt die Monogramme des Mittelalters berühren sich vielfach mit den Hausmarken, mit den Steinmetz-




    1) H. Schreiber, Taschenbuch für die Gesch. und Alterthum in Süddentschland, Freiburg i. Br., 1839, S. 191 ff.
    2) Mannert, I. S. 379 unten und S. 376.
    3) Vergl. über den Namen Christi in Monogrammen besonders Münter, a. a. O., I. S. 33 ff.



zeichen, indem ein Buchstabe und ein Zeichen zu einem Bilde, zu dem Monogramme verbunden werden, weshalb es oft sehr schwer wird, die Buchstaben von blossen äussern Zeichen zu unterscheiden. Das Monogramm Christi wurde bekanntlich von Kaiser Constantin dem Grossen nach seinem Siege über den Maxentius zum Heereszeichen der römischen Legionen gemacht. - Nach Schreiber waren die Metallwerkstätten von Helellum unter der Oberherrschaft der Römer jedenfalls 4 Jahrh. in Thätigkeit, ihre Fabricate nach den beiden Seiten des Rheines vertreibend, bis sie durch eine Ueberschwemmung der Ill zerstört und dann für immer verlassen wurden. Die zahlreich in süddeutschen Furchengräbern der Kelten auf Schmucksachen, besonders Agraffen, erscheinenden griechischen Kreuze, welche man zuweilen als Radverzierung erklären wollte, bezeugen Schreiber völlig entscheidend die christliche Abkunft jener Gräber, z. B. zu Brunnadern auf dem Schwarzwalde. Zugleich unterliegt es für Schreiber (S. 208 Anm.) keinem Zweifel, dass in den frühern römischen Zehendlanden (Decumates agri) das Christenthum niemals wieder ganz untergegangen sei, nachdem es einmal unter der dortigen keltischen Bevölkerung Jahrhunderte lang Wurzel gefasst hatte.

Bezüglich der vorberührten Ringe sei wiederholend noch bemerkt, dass dieselben bei den Kelten und nach ihnen und mit ihnen auch bei den Germanen zunächst eine besondere symbolische Bedeutung gehabt haben müssen, und deshalb allgemein sehr hoch geschätzt wurden. 1) Olaf Pfau schenkte dem Gunnar Hamundson drei Kleinode: einen Goldring, einen schönen Mantel 2) und den Hund Sam, welchen er in Irland bekommen und .der nunmehr den Gunnar so treu beschützte, wie früher den Olaf; als hinterlistige Feinde in einer Nacht den treuen Hund erschlugen, fand Gunnar bald darauf selbst seinen Tod. 3) An den Goldring reiht es sich, dass einem




    1) Vergl. oben S. 139 ff.
    2) Vergl. oben S. 132.
    3) Weinhold, altnord. Leben, S. 55.



norddeutschen Mährehen zufolge 1) von einer freundlichen Alten einem Mädchen 3 Aepfel geschenkt werden, in denen sich je in einem Eie eine goldene Spindel, ein goldener Haspel und ein goldenes Spinnrad befinden; das Mädchen hatte zuvor ein Würmchen, in das ein Prinz verwünscht worden war, 3 Jahre lang herumgetragen und endlich 3 Nächte bei ihm geschlafen, worauf der Prinz erlöst und König wurde und das treue Mädchen zu seiner Gemahlin erhob. Der im Kyffhäuser schlafende Kaiser Otto schenkt einem Musikanten, der ihm einen Marsch aufgespielt hatte, zur Belohnung 3 Knochen, welche zu Gold werden. 2) Nach einer norddeutschen Sage haben 3 Leute nur ein einziges Auge, welches ihnen von einem Jünglinge geraubt wird, den sie mit 3 Wunschdingen beschenken, damit er ihnen das Auge wieder gebe; mit Hülfe dieser 3 Gaben erschlägt der Jüngling 3 Riesen und gewinnt eine Königstochter. 3) - Als Lohengrin, der Sohn Parcivals und Herzog von Brabant, scheiden muss, liess er ein Schwert, ein Horn und einen Ring zurück, wie Wolfram von Eschenbach am Schlusse des Parcival erzählt; 4) schlafend war er einst nach siebentägiger Fahrt durch einen Schwan auf einem Schiff vor Antwerpen gebracht worden und so fuhr er auch wieder von dannen. König Eadward der Bekenner (1042 - 1066) soll dem Herzoge Wilhelm von der Normandi Schwert und Ring übersandt haben, zum Zeichen, dass er die englische Krone erben solle. 5) Auch der Papst sandte später dem Herzoge Wilhelm einen Ring mit dem Haare des h. Petrus, wie Lappenberg, I. S. 544, bemerkt, gleichsam zum Zeichen göttlicher und päpstlicher Belehnung mit dem zu erobernden englischen Lande. Im Norden erhob sich in der innern Tempelhalle neben dem aus Holz geschnitzten bemalten und mit reicher Kleidung geschmückten Götterbilde ein kunstreiches, oben mit Eisen beschlagenes Gestell




    1) Kuhn und Schwartz, norddeutsche Sagen, S. 350.
    2) Kuhn und Schwartz, S. 220, vergl. mit S. 259, 2.
    3) Müllenhof, Sagen, S. 453 unten.
    4) Vergl. Lang, die Sage vom h. Gral, S. 351 ff.
    5) Lappenberg, I. S. 526 oben.



(stallr), auf dem das ewige Feuer brannte; 1) daneben lag der Silberring (baugr), auf dem die heiligen Eide, die Ringeide (Havamaal Str. 111), abgelegt wurden, und stund der kupferne Losskrug (hlautbolli) mit dem Opferblute, das mit dem Weihwedell (stöckull) über Menschen und Vieh gesprengt ward. 2) - Die vier grössten Kostbarkeiten Norwegens zur Zeit Olaf Tryggvasons waren der König selbst, seine Frau Thyra, sein Kriegsschiff Orm und sein Hund Wîgi. Als Olaf in der Svöldurschlacht gefallen war und die Botschaft heim kam, ging der Ilund auf einen Hügel hinauf, streckte sich nieder und verhungerte. 3)

Sodann scheinen in den ältesten Zeiten und ehe sie mit den Münzen bekannt geworden waren und dieselben als Geld auch bei sich eingeführt hatten, Ringe von Gold und Silber und andere ähnliche goldene und silberne Schmucksachen bei den Kelten und Germanen als allgemeines Tauschmittel, als Zahlungsmittel gleich Geld gebraucht worden zu sein, wie dieses jedenfalls in Skandinavien bis, in das 11te Jahrh. der Fall war und bis dahin dort sogar die durch den Handel aus Byzanz und aus den mahomedanischen Reichen zahlreich erhaltenen Gold-Münzen nicht als solche, sondern als blosse Goldgewichte, Goldstücke im Verkehre umliefen. 4) Die Ringe und andere Schmucksachen von Gold und Silber, ja die byzantinischen und arabischen (kufischen) Münzen selbst, kamen im Tauschverkehre nur nach ihrem Gewichte in Betracht und wurden nach Bedürfniss in kleinere Stücke gebrochen oder zerhauen, ähnlich wie in Oesterreich jetzt das Papiergeld oft in kleinere Stücke zerrissen und das Stück als Theilzahlung gegeben wird. Die Sagas erwähnen bei mehreren nordischen Königen Lohnschmiede, die den Schatz in Ringe und Gefässe ausschmiedeten und die Waffenkammer vervollständigten. König Svein Ulfsson von Dänemark (1047 bis 1076) hatte 4 verschiedene Werkstätten: Eisen-, Silber-, Gold- und Steinschmieden, in denen ausgezeichnete




    1) Symbolik, I. S, 240 ff.
    2) Weinhold, altnordisches Leben, S. 420.
    3) Weinhold, S. 55 unten.
    4) Weinhold, S. 117 ff. und 184 ff.; Schreiber, Taschenb., II. S. 127 ff., III. S. 401 ff. und V. S. 271.



Meister sassen; begabte Lehrlinge gingen stufenweise durch alle vier hindurch. 1) Baug, Baga, franz. Bague, oder Ring bedeutete im alten Norden zugleich Busse, zum Zeichen, dass es möglich war, jedes Vergehen durch Geldeswerth abzubüssen. 2) Der Fürst hiess der Baug- oder Ringbrecher, was also gleichbedeutend mit Münzer ist. 3) Ringe, die zum Geschenke gegeben wurden, reichte man im Norden auf der Schwertspitze dar, und nahm sie mit dem Schwerte herunter. 4) Als Cäsar nach Britannien eindrang, dienten Kupfer und eiserne Ringe als Geld; 5) auch schmückten die Britten gleich den Galliern den Mittelfinger mit einem Ringe. - Ebenso mag hier noch verwiesen werden auf Sepp, Jerusalem und das heilige Land, I. Lieferung (Schaffhausen 1862), Kap. 8: "Die 3 Weltreligionen unter dem 'Symbol der 3 Ringe", 6) worin Sepp den Mosaismus für die vorbildliche Religion, den Muhamedanismus für die nachbildliche und das Christenthum für die urbildliche und ursprüngliche erklärt. Auch die zu Ninive aufgefundenen Götterbilder tragen einen Ring in der linken Hand, 7) welchen Ring Einige, wie z. B. Braun, I. S. 253, als Symbol der Herrschaft gedeutet haben, aber richtiger als Ring der Ewigkeit oder des ewigen Lebens 8) gleich dem gehenkelten Kreuze in der Hand der ägyptischen Gottheiten angesehen werden dürfte. Die Felsenbilder bei dem Dorfe Malthayyah in Assyrien tragen gleichfalls Ringe in den Händen. Eines der ninivitischen Götterbilder hält neben dem Ringe mit der Rechten den Becher. Der Becher, womit sich zugleich das Becken und der Kessel berühren und welchen der christliche Kelch, namentlich der Kelch der Gralsage, gleichstehen, 9) ist ein eben so




    1) Weinhold, S. 94.
    2) Weinhold, S. 122.
    3) Weinhold, S. 118, Anm. 1.
    4) Weinhold, S. 449.
    5) Lappenberg, I. S. 13.
    6) Vergl. Lessing's gesammelte Werke, Leipzig 1841, III. S. 109; Beger, Nathan der Weise und sein Gleichniss von den 3 Ringen, in Herrig's Archiv, XXXI. (1862) S. 241 ff.
    7) Meissner, Layard's populärer Bericht, Fig. 81.
    8) Symbolik, II. S. 64 ff.
    9) Lang, die Sage vom heiligen Gral, S. 94 ff.



viel gebrauchtes als vielsinniges Symbol. Der Sonnenbecher ist ein Sinnbild des Firmamentes und des Himmels und besitzt Wunder- und Zauberkräfte, im Allgemeinen aber ist der Becher das Symbol des Leben gebenden Wassers, nach Görres auch der Schöpfung der Welt aus dem Wasser. Der christliche Kelch und auch der Kelch der Gralsage ist das Symbol des von Christus zur Erlösung der Welt vorgossenen und das ewige Leben verleihenden Blutes, der Eucharistie, des höchsten christlichen Mysteriums. Der Ring und der Becher sind somit zwei verwandte Symbole der Ewigkeit, des ewigen Seins und Lebens. So ist auch der Kelch unter die Sterne der südlichen Halbkugel versetzt und sein Bild steht unmittelbar neben der Wasserschlange. 1) Schon bei den Griechen kommt in dem Geheimkultus des Dionysos oder Bacchos bereits der Erlösungsbecher, der Becher als Symbol des erlösenden Dionysos vor; dieser Dionysosbecher nimmt gleich dem christlichen Becher und heiligen Gral auch das Blut und die Glieder des von den Titanen getädteten und zerrissenen Dionysos auf; der Becher ist somit das Symbol des (gewaltsamen und befreienden) Todes und des durch den Tod dennoch errungenen Lebens. Die Dionysosmythe und die Gralsage in diesem Sinne sind von der Hirammythe nicht verschieden; ebenso entspricht der im jüngern Titurel von Albrecht von Scharfenberg geschilderte ideale Graltempel ganz dem idealen salomonischen Tempel, dem himmlischen Jerusalem, dem verlorenen und wiedergesuchten Paradiese oder himmlischen Reiche. 2) Auch gehören hierher der Becher des Dschemsid, der Becher des ägyptischen Thot-Hermes , wovon die Becher der orientalischen und unserer Zauberer die letzten Nachklänge sind. 3) Gleich wie die Becher wunderbare und zaubernde Kräfte besitzen, so auch die Ringe oder die Steine der Ringe. Von einem Diamant Schamir berichten jüdische




    1) Hoffmann, vollständiger Himmels-Atlas, Stuttgart 1837, Nr. 20.
    2) Lang, S. 84; Kurz, Leitfaden der Gesch. der deutschen Literatur, S. 43.
    3) Lang, S. 97 ff.,



Sagen, dass er aus einem Adlernest dem Salomo zugekommen sei, und dieser, der ihn im Siegelring trug, mit seiner Hülfe sich das Verständniss aller Dinge erwarb und die Dämonen sich dienstbar machte; auch sei auf diesem Steine der Grundriss des Tempels erschienen. 1) - In noch nähere Beziehung traten der maurerische salomonische Tempel und der Graltempel dadurch, dass in beiden Sagenkreisen der Mensch einem Tempel Gottes verglichen, - durch Aufnahme Gottes, d. h. des göttlichen Lebens und Strebens, der Mensch selbst zu einem Tempel Gottes wird, - der Mensch durch die höchste Reinheit und Tugend sich zur würdigen Wohnung, zum Tempel oder zur Wohnung Gottes vorbereiten und einrichten musste, wenn er wirklich in dem Abendmahle den Leib Christi essen und sein Blut trinken sollte. Wie die Aufnahme unter die Gralsritter oder Templeisen bedingt war durch die Sittenreinheit und das siegreiche Kämpfen gegen alle irdische Neigungen und Genüsse, ebenso isst den Leib des Herrn und trinkt sein Blut, wird zur Wohnung, zum gotterfüllten Tempel Gottes, nur wer göttlich denkt, redet und thut. 2) Die Gralssage sagt: "Willst du die rechte Weisheit haben, so sei wie ein Chor im Tempel Gottes, darinnen zehn Balsamlichter brennen, das Bild der zehn Gebote. - Der Tempel hat drei Pforten, mannichfach und reich verziert: die eine ist der rechte Glaube, die andere die Keuschheit, die dritte die Demuth mit der wahren Liebe."

An den Kelch und die Schlange des ewigen Lebens reiht sich am Himmel nachbarlich an, die Jungfrau, die jungfräuliche oder unverletzliche, die keusche Gerechtigkeit und die suum cuique zuwägende Waage (virgo libraque, wie es in dem bekannten, die 12 Sternbilder aufzählenden Verse der Jesuiten heisst). 3) Die Gerechtigkeit ist die genaue Waage selbst und gewogen, gerecht gerichtet wird, was der Mensch gethan und gesäet hat. Deshalb,




    1) Lang, S. 103; oben S. 37 (die Karlssage).
    2) Vergl. Lang, S. 262.
    3) Vergl. Goeschel, zerstreute Blätter aus den Hand- und Hülfsacten eines Juristen, II., (Schleusingen 1835) S. 386 ff.



steht am südlichen Sternenhimmel 1) zwischen der Jungfrau und der Waage das Sternbild der Aehre, die abzuwägende und das ewige Leben bringende Frucht des irdischen Lebens oder die Aehre. Noch mehr, es steht dem Sternbilde des Kelches zur rechten Seite das Herz, vielleicht um anzudeuten, dass aus dem Kelche das Herzblut Christi getrunken oder durch den Trunk aus dem Kelelhe das Herz allein gereinigt und des ewigen Lebens befähigt werde. Uebrigens ist nur ein Richter und eine Gerechtigkeit, eine Waage der Gerechtigkeit, weil nur einen Gott und eine Wahrheit es gibt. Bewusst oder unbewusst erscheinen auf allen christlichen Darstellungen des jüngsten Gerichtes nur eine Waage, z. B. auch in St. Sevrin zu Bordeaux, in deren einer Schaale hier von einem Engel eine Seele gewogen wird, während an die andere Schaale ein Teufel sieh krampfhaft anklammert; darüber bläst ein Engel zur Auferstehung in die Posaune und noch höher erscheint Christus als Weltrichter, je ein Engel zu beiden Seiten, Maria und Johannes als Fürbitter. 2)

Endlich möchten wir die hölzernen Götterbilder zunächst mit ihrer Bemalung, mit ihrer schmuckvollen Bekleidung und ihren Behältern, Kapellen und Wohnungen, wie sie in die christliche Kunst und Symbolik Eingang gefunden haben und noch heute in der katholischen Kirche allgemein gebräuchlich sind, für durchaus ägyptischen Ursprungs erklären, wie auch und noch mehr die in ihren Haupttheilen weisse, aber mit bunten Farben und Gold überladene Kleidung des katholischen Priesters ursprünglich die ägyptische ist. 3) Selbst schon den Peplos der Athene und ähnliche Götterkleider bei den Griechen bezeichnet Klenze unbedingt als ägyptische. Der Gebrauch, die Götterbilder mit Kleiderschmuck aller Art zu bedecken, war ein so wichtiger Zweig des ägyptisch-griechischen Tempeldienstes, dass man dazu nach dem Berichte des Tertullian und Firmicus eigene Diener und Dienerinnen, vestitores und ornatrices 4) divinorum simulacrorum, an-




    1) Hoffmann, a. a. O.
    2) Ausland für 1854, S. 369 a; oben S. 343 ff.
    3) Vergl. Klenze, S. 199 ff.
    4) Siehe auch Rich unter Ornatrix.



etellte. Bei den Aegyptern hatten die Hierostolisten oder nach Plutarch de Isid. 3 besonders die Bekleidung der Götterstatuen zu den feierlichen Umzügen zu besorgen. Sie trugen die Elle der Gerechtigkeit 1) oder wohl eher den Massstab und eine Opferschaale, jene als Ordner der Processionen oder öffentlichen Umzüge, diese als Anordner und Darbringer der Trankopfer oder Libationen in der Hand und hatten alle äusserlichen Gebräuche des öffentlichen Gottesdienstes, besonders auch die Prüfung der Opferthiere zu besorgen. Aehnlich sind noch die Vorrichtungen des katholischen Schulmeisters oder auch Kirchendieners und Messners (aedituus, sacristanus), des protestantischen Sigristen 2) (sacrist) und des maurerischen Logenverwalters oder auch Ceremonienmeisters und des dienenden Bruders, des Castellanen. - Auch das Grabgeläute soll eine alte Sitte der heidnischen Griechen sein. 3)

Römisch-keltisch, römisch-gallisch ist die Verfassung und das Recht der Handwerker und Handwerksgenossenschaften, namentlich aber der Bauleute und Bauhütten in ihrem Grundwesen, was bei den Untersuchungen über den Ursprung der Innungen und der Zünfte nicht immer und nicht genug beachtet werden dürfte. Der Rechtsbegriff des städtischen Gemeinwesens und der städtischen Gemeinheiten, insonderheit der Handwerksinnungen, als collegia oder universitates, corpora mit ihren eigenen Organen oder Beamten, mit ihrem eigenen Vermögen und Kassen (Handwerksladen) 4) und mit ihrer gesammten künstlichen Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit, womit zugleich die Markt- und Handwerkspolizei, die ganze städtische Verwaltung innigst zusammenhängt, ist und bleibt gewiss unbestreitbar römisch, und ist von den Germanen namentlich in Gallien und




    1) Uhlemann, ägypt. Alterthumsk., II. S. 185.
    2) Schmeller, bayerisches Wörterb., III. S, 215; Ziemann, mittelhochd. Wörterb., unter sigriste.
    3) Lang, Sage vom heiligen Gral, S. 258.
    4) Ortloff, §. 25 ff.



Brifannien (hier von den Angelsachsen), 1) in den römisch-keltischen Ländern den Römern unmittelbar entlehnt worden, weshalb auch die Dreizahl in den Rechten und Gebräuchen der Handwerker und besonders der Bauhütten eine so auffallende und hervortretende Rolle spielt, gerade, wie bei den Kelten und Kymren. 2) Daher ist durchgängig angenommen und vorgeschrieben, dass zu einer Zunft (auch zu einer maurerischen Loge) wenigstens drei Meister gehören und dass bei allen rechtlichen Hauptbandlungen, wie z. B. beim Ein- und Ausschreiben oder Lossprechen der Lehrlinge, bei den Meisteraufnahmen, bei der Vornahme von Wahlen, bei Ausfällen der Urtheile, ebenso wenigstens drei Meister zugegen sein müssen oder alle diese Handlungen rechtsgültig nur durch drei Personen vorgenommen werden können. 3) Eine Zunft geht daher rechtlich unter, hört ipso jure auf, sobald sie unter Mitglieder sich vermindert hat. Das preussische Landrecht, welches in Thl. II. Tit. 8, §. 179 - 400 von den Handwerkern und Zünften handelt, verordnet z. B.:

§. 190: "Zur Errichtung einer eigenen Zunft in einer Stadt werden wenigstens Drey daselbst wohnende Meister erfordert."

§. 191: "Die Zünfte haben, gleich der ganzen städtischen Gemeine, zu welcher sie gehören, die Rechte privilegirter Corporationen."

§. 255. "Wer zum drittenmale ein untaugliches Meisterstück liefert, muss für immer abgewiesen werden."

§. 321: "Ist die Lehrzeit gesetzlich bestimmt, so kann höchstens der dritte Theil derselben erlassen werden."

Bei den alten Britten bestand später die allgemeine Volksversammlung aus 300 Freien 4) und das christlich-römische Britannien zerfiel in 3 Erzbisthümer mit 28 Bisthümern, vermuthlich in seinen 28 Städten. Der britische König Vortigern musste sich der Sage nach durch Hingabe der




    1) Leo, rectitudines, S. 175.
    2) Vergl. darüber die Symbolik unter Dreizahl, namentlich I. S. 482 ff.
    3) Ortloff, Recht der Handwerker, §. 17.
    4) Lappenberg, I. S. 15 und S. 46, Anm. 2, S. 67.



3 Staaten Sussex Essex und Middlessex bei dem Angelsachsen Hengist, 1) der mit 300,000 Landsleuten nach Galfried in Britannien angekommen sein soll, auslösen, nachdem zuvor 300 Angelsachsen 300 Briten hinterlistig ermordet hatten. Zuerst soll Hengist zufolge Gildas mit 3 Kielen oder langen Schiffen in Britannien gelandet sein. 2) König Cenwealh von Wessex belohnt im J. 648 seinen Neffen durch Abtretung des dritten Theiles des Reiches oder durch 3000 Hyden Landes. 3) Das an römischen Ueberresten vorzüglich reiche Volantium (Ellenborough in Cumberland) bewahrt eine Inschrift, wornach die der Stadtverwaltung vorstehenden Decurionen sich versammelten in einem dazu bestimmten öffentlichen Gebäude (dem heutigen Rathhause, Stadthause, hotel de ville). Lappenberg, I. S. 32 ff., im Widerspruche mit anderweitig von ihm über das Entstehen der Innungen oder Gilden geäusserten Ansichten nimmt dennoch an, dass in den 28 Städten, welche Britannien im Anfange des 5ten Jahrh. beim Abzuge der Römer besass und darunter 2 Municipia (York und Verulam), 9 Colonien (Londinium Augusta, ags. Lundenwic, oder London u. s. w.) und 10 Städte mit dem Rechte der Latinität, bei den Künstlern und Handwerkern, worunter in der ersten Hälfte des 4ten Jahrh. besonders die Bauhandwerke aufblühten, 4) die durch viele Inschriften bezeugte römische Einrichtung der Collegien so feste Wurzeln gefasst gehabt habe, dass sehr wahrscheinlich dieselbe sich auch unter den Angelsachsen fortpflanzte und ein ursprünglicher Keim des einige Jahrhunderte nach der römischen Herrschaft in England so sehr einflussreich gewordenen Gildewesens war. Die zu York, der alten römischen Municipalstadt 5) und auch unter den Angelsachsen durch ihren Handel sich vor allen Städten auszeichnenden Stadt, im




    1) Lappenberg, I. S. 68 oben.
    2) Lappenberg, I. S. 66, Anm. 1.
    3) Lappenberg, I. S. 247.
    4) Lappenberg, I. S. 49, vergl. mit S. 51.
    5) Zu York starb auch im J. 211 der Kaiser Severus, ebenso im J. 306 Constantius Chlorus, worauf daselbst sein Sohn Constantin der Grosse zum Kaiser ausgerufen wurde.



J. 926 verfasste Urkunde der Maurer erscheint daher in geschichtlichem Sinne als eine römische, gleichviel ob sie ursprünglich in angelsächsischer Sprache, wie behauptet wird, oder in lateinischer Sprache, was nicht ausgeschlossen, abgefasst ist. Dass 3 Mitglieder oder Meister wenigstens zu einer Loge, zu einem collegium erforderlich seien, gehört nach dem Zeugnisse der englischen Lehrlingsfragstücke zu dem ältesten englischen Logen- und Zunftrechte, 1) jedoch wird dieser Rechtssatz sofort wieder symbolisch überkleidet, indem die Dreizahl zugleich die Grundzahl der maurerischen, wie kymrisch-englischen Symbolik ist. Im J. 314 waren auf dem ersten Concilium zu Arles drei brittische Bischöfe erschienen, nämlich Eborius von York, Restitutus von London und Adelfius von Lincoln. 2) Den römischen Ursprung der angelsächsischen und englischen Stadt- und Zunftverfassung und besonders auch der Baukunst beweiset hinreichend auch die Sprache, wie city, franz. cite, civitas, die Stadt, Altstadt, und namentlich die city von London, - mystery, magisterium oder mysterium, das Handwerk, - castle, castellum, das Kastell, Schloss, - master, magister, der Meister, - college, das collegium, - corporation, die Gemeine, Innung, Zunft, Bürgerschaft, der Stadtrath, - corporator, das Glied einer Zunft u. s. w., - council, die Rathsversammlung, der Rath, - column, die Säule, - minster, das Münster, - to mint, münzen und mintage, das Münzen, das Geld, - pound, pondus, das Pfund, - money, das Geld, - moneyer, der Münzer, der Wechsler, - law, lex, das Gesetz, das Recht, - legality, die Gesetz- oder Rechtmässigkeit, - legatary, der Vermächtnisserbe, - seal, das Siegel, - stalbue, stabularius, der Marschall, - constable (comes stabuli), - mortar, Mörtel und Mörser u. s. w., indem auch die römische Sprache die römische Herrschaft hier überdauerte. 3) Lappenberg spricht, I. S. 133, ungern die Vermuthung aus, es möge sich in der wohl befestigten Stadt York bis zu ihrer Er-




    1) Vergl. Krause, I. 1. S. 196.
    2) Lappenberg, I. S. 48.
    3) Lappenberg, I. S. 52.



oberung durch die Angelsachsen eine christlich-römische Schule forterhalten haben, indem gegen das J. 500 Samson als Bischof von York genannt wird. Das britische oder druidische Christenthum mit den römischen Stadt-, Kirchen- und Schuleinrichtungen bestand in dem zahlreich bevölkerten York aber nicht nur bis auf die Zeiten der Angelsachsen, sondern sicherlich offen oder verdeckt auch unter denselben lange noch fort, selbst nachdem diese seit dem Anfange des 7ten Jahrh. allmählig zu dem römisch-katholischen Christenthume bekehrt worden waren, 1) wie gerade die Yorker Urkunde dieses deutlich verräth und wofür auch die Lage Yorks ausserhalb des Kreises des eigentlichen angelsächsischen Lebens im höheren Norden, in welchem manche Annäherungen zu den Briten stattgefunden hatten, 2) sprechen möchte. Im J. 926 waren die Angelsachsen mit den Briten in den von ihnen eroberten Landestheilen noch nicht zu einer Nation mit einem christlichen Glauben und mit einer Sprache, den spätern Engländern 3) verschmolzen und verbunden, zumal in Wales noch unabhängige britische, christlich-druidische Reiche bestanden und unermüdlich gegen die Angelsachsen, wenn auch wenig siegreich und stets mehr beschränkt werdend, kämpften, 4) wie dort die römische wissenschaftliche Bildung besonders in den alten Schulen zu Bangor, Lantuit und Lancarvan fortgepflegt und forterhalten worden war. Von dem Könige Cenwealh von Wessex, dem Gründer des Bischofsitzes zu Winchester mit der ehrwürdigen Domkathedrale, wird es ausdrücklich bezeugt, dass er nach der Eroberung gegen 660 die altbritischen geistlichen Anstalten, besonders zu Glastonbury mit dem Grabe Arthurs habe fortbestehen lassen. 5) Zu einem angelsächsischen oder römisch-katholischen Bischofssitze war York bald nach dem J. 627 erhoben und daselbst dem Apostel Petrus eine grössere steinerne Kirche




    1) Vergl. über diese Bekehrung Lappenberg, I. S. 136 ff.
    2) Lappenberg, I. S. 148.
    3) Vergl. auch Büchner, Abriss der englischen Literaturgesch., Darmstadt 1856, S. 1 ff.
    4) Vergl. Lappenberg, I. S. 134 ff.; oben S. 195 ff.
    5) Lappenberg, I. S. 248, vergl. mit S. 259.



errichtet worden; 1) nicht lange darauf wurde das Bisthum zu York von Gregor dem Grossen als ein Erzbisthum demjenigen von Canterbury zur Seite gestellt. 2) Nach dem Plane Gregor's sollten in England zwei Metropolitanstühle zu London und York mit je zwölf Bisthümern errichtet werden. 3) Vom ersten Anfange aber durchwehte die angelsächsische römisch-katholische Kirche ein gewisser Geist der Freiheit und Unabhängigkeit, welcher der päpstlichen Uebergewalt widerstrebte und dieser durch die Rechte des Landesfürsten ihre Schranken setzte. 4) Hiermit ist es zugleich verbunden, dass die Angelsachsen auch in der Kirche oder auch als Christen ihre Sprache im Gegensatze zu allen andern germanisehen Völkern aufrecht erhielten und die lateinische Sprache als die alleinige und allgemeine Kirehensprache, nicht einmal in der Messe, bei ihnen nicht durchdringen konnte. Die Angelsachsen sind auf diese Weise durch ihre Gebete und Gesänge, - kirchlichen Formeln und Rituale, namentlich auch der Taufe, in ihrer Muttersprache, so wie durch die frühzeitigen Uebertragungen des grössern Theils der Schriften des alten und neuen Testamentes in die angelsächsische Sprache für Erhaltung und Entwickelung des germanischen Wesens ausserordentlich wichtig, wie auch ihnen zunächst das Verdienst gebührt, den durch das Christenthum geläuterten Bardismus durch die Bauhütten erhalten und im Anfange des 18ten Jahrh. als die Freimaurerei über die ganze Erde verbreitet zu haben. Die kymrischen und angelsächsischen Gesetze und Gebräuche, poetischen und prosaischen Schriften sind die gemeinsame und mächtige Quelle, aus welcher durch die Jahrhunderte in langsamer Entwickelung und Erstarkung die Freimaurerei in England emporstieg. Uebrigens befand sich York bis unmittelbar in die Zeiten Aethelstan's oder bis zum J. 925 längere Jahre in der Gewalt der Dänen, von welchen da-




    1) Lappenberg, I. S. 149.
    2) Lappenberg, I. S. 165, 173, 183 und 207.
    3) Symbolik, II. S. 685; Weiss, Gesch. Alfred's des Grossen, S. 75.
    4) Lappenberg, I. S. 191 ff., vergl. mit S. 503.



eine Veste erbaut worden war, die nach der Wiederunterwerfung Aethelstan abbrechen liess. 1) Auf die innern Zustände und Einrichtungen York's scheint diese vorübergehende dänische Besetzung und Beherrschung keinerlei Einfluss geübt zu haben. Dass in York aber auf diese Weise 3 Nationen, die Briten, Sachsen und Dänen zusammentrafen, wozu als vierte Zunge noch die Scoten gerechnet werden dürfen, musste jedenfalls gegen andere Religionen und Völker zur Duldsamkeit und Nachsicht auffordern. York war vorher und nachher auch oft der Aufenthaltsort des Königs und seines Hofes. Aethelstan, der mit reichen Geschenken Kynewold, Bischof von Worcester, an das Scotenkloster in St. Gallen abgesandt hatte, wurde von diesem Kloster dankbar in seine geistliche Bruderschaft aufgenommen, 2) d. h. ihm dessen Ehrenmitgliedschaft ertheilt. Die Rücksichten und Schonung, welche die angelsächsischen Könige in England den Anhängern eines andern Glaubens und den Fremden tragen mussten und wirklich trugen, ergibt sich aus dem, dem Könige Eadgar (959 - 975) gemachten Vorwurfe: quod paganos eos, qui in hac patria sub eo degebant, nimis firmavit, et extraneos huc adductos plus aequo diligens Valde corroboraverit. 3) Das Sterben desselben Königs Eadgar drückt eine angelsächsische Chronik dahin aus, dass er seine Erdenträume geendet und ein anderes, heitereres und reines Licht gesucht habe, 4) Wie Wolfram im Parcival durch den Mund der Mutter des desselben Gott als das Licht erklärt, welches lichter als der Tag ist, weshalb man das Licht suchen und die Finsterniss, die Sünde meiden müsse.

In den gesetzlichen deutschen Zunftverfassungen möchten die städtischen Zünfte im engern Sinne den allgemeinen Landes- oder den Reichszünften entgegenzusetzen sein, je nachdem die Bestimmung und Wirksamkeit einer Zunft blos auf eine einzelne Stadt oder aber auf das Land,




    1) Lappenberg, I. S. 370.
    2) Lappenberg, S. 378.
    3) Lappenberg, I. S. 409, Anm. 2.
    4) Lappenberg, I. S. 411 unten.



auf einen grössern Kreis des Landes, auf das ganze Reich sich erstreckt. So sind zunächst die wandernden Bauleute in ihren Hütten als dem gesammten Lande oder Reiche angehörig betrachtet und daher nach dem Vorbilde des gesammten Reiches in 4 Landkreise mit 4 Haupt- oder Centralstädten, Haupthütten getheilt, deren Versammlungen allgemeine Landtage, Provincial- oder Reichslandtage, Landesversammlungen sind, bestehend aus den Abgeordneten und Bevollmächtigten der zu dem einzelnen Kreise, der einzelnen Haupthütte, oder der Gesammthütte des Reiches gehörenden. Stadthütten (Nebenladen) oder Logen. So waren die zu York in England seit dem J. 926 von Zeit zu Zeit abgehaltenen allgemeinen Versammlungen der Bauleute förmliche Land- und Reichstage, welche die Interessen und Einrichtungen der Bauleute und Bauhütten von ganz England verwaltend und gesetzgebend als die oberste und allgemeine Landeshütte oder Landesloge, als Grossloge beriethen und ordneten; ihre Beschlüsse und Verordnungen waren allgemein verbindlich und die Loge oder Hütte zu York war die oberste Vollziehungs- und Verwaltungsbehörde. Ganz England scheint nur die eine Haupthütte zu York gehabt zu haben oder nicht in kleinere Hüttenkreise eingetheilt gewesen zu sein. Ebenso wurden später in Deutschland seit der Mitte des 15ten Jahrh. die Steinmetzen oder Steinwerker von ganz Deutschland in Reichstigen zu Berathung und Abfassung einer Reichssteinmetzordnung wiederholt einberufen, wobei sie das deutsche Reich in 4 Verwaltungskreise mit je einer diesem Kreise vorstehenden Hütte theilten, und an die Spitze aller 4 Verwaltungskreise und aller Bauhütten des ganzen deutschen Reiches eine oberste Hütte in Strassburg stellten. Was jenen allgemeinen Steinmetztagen oder Steinmetzversammlungen von Kaiser und Reich gesetzlich zugestanden war, das Recht der eigenen Gesetzgebung und Verwaltung, erscheint in anderen Richtungen in den neuern Zeiten in den verschiedensten Gestalten noch und wieder, theils auf das einzelne Land oder die einzelne Landesprovinz beschränkt, theils über ganz Deutschland sich ausdehnend. Gesetzlich eingeführt erscheinen nur die regelmässigen Versammlungen (Synoden) der protestantischen Geistlichen in Deutschland





und in der Schweiz, der Lehrer (Schulsynoden) in der Schweiz; alle übrigen Vereine und Versammlungen der Art, z. B. der Apotheker, der Aerzte, der Juristen, der Schulmänner und Philologen u. s. w., sind einstweilen darauf beschränkt, sich zu sehen und über fromme Wünsche sich zu bereden. Eine Deutschland, das deutsche Reich gesetzlich umspannende Kreiseintheilung kommt ausser bei den Bauleuten weiter vor bei den Kesslern und Kaltschmieden. Nach Ortloff, das Recht der Handwerker, S. 105, waren die Kessler ursprünglich nichts anderes als Harnischmacher, und zu den Zeiten, wo die Cavallerie meistens in Harnischen focht und das Fussvolk mit Panzern versehen war, waren sie den Heeresabtheilungen nach Bedürfniss zugetheilt und wurden unter militärischen Befehl gestellt; auch hatten sie im Felde für die Kessel, Pfannen und ähnliches Geschirr der Soldaten zu sorgen. Sattler in seiner Abhandlung vom Kessler- und Kaltschmiedschutze, S. XIV ff., findet den Ursprung der Kesslerschutzgerechtigkeit in der Verfassung des fränkischen Reichs und zählt folgende 8 Kesslerkreise auf: 1.) der Churpfälzische oder AIzeyische, 2.) der Rathsamhausische, 3.) der der Zobel Gibelstalt, 4.) der hohenloische, 5.) der brandenburg-ansbachische, 7.) der Königsekische und 8.) der württembergische. Diese 8 Kreise wären also ursprünglich wohl militärische gewesen mit der Verpflichtung, die für das Heer erforderliche Anzahl der Kessler zu stellen. Aehnlich wird z. B. noch jetzt der Kanton Zürich in 4 Militärkreise eingetheilt und ein jeder dieser Kreise hat eine vollständige Militärmusik zu stellen. Den Kesslerschutz hatten übrigens als ein Reichsrecht, als ein regale Churpfalz und Hohenlohe und betrachteten ihn als eine servitutem activam juris publici in territorio alieno. Auch bei andern Handwerken gab es missbräuchlich Haupt- und Nebenladen, die erstern gewöhnlich in der Hauptstadt des Landes, weshalb dieselben durch den Reichsschluss von 1731, Art. VI, mit den Haupthütten aufgehoben wurden. An dem Orte, wo einmal die Lade, gleichsam der rechtliche Wohnsitz (domicilium) der Zunft sich befand, mussten die Zunftversammlungen fortgehalten werden, auch wenn daselbst nur wenige Meister oder





keine mehr wohnen sollten. So hatten die Kessler von Baireuth, Ansbach, Nürnberg u. s. w. in Bayersdorf bei Erlangen wegen der daselbst befindlichen Lade ihre Zusammenkunft, obwohl kein einziger Kupferschmied mehr daselbst wohnte; die Kupferschmiede der Mark Brandenburg hielten ihre Tage in Neustadt-Eberswalde, woselbst nur zwei Meister wohnten, während 22 sich in Berlin befanden. 1) Die heutigen maurerischen Grosslogen und Grosslogenversammlungen mit allen ihren Einrichtungen sind durchaus nur ein Nachhall der mittelalterlichen Haupthütten und Hauptladen, deren Versammlungen die Nebenhütten und die Nebenladen durch Abgeordnete beschicken, 2) ihnen die Rechnungen vorlegen und an sie gewisse Geldleistungen entrichten mussten, - woher sie ihre Hütten- und Ladenbücher, die Bruderbücher (Constitution, Verfassung) und andere Weisungen empfingen u. s. w. Die alten Obermeister waren nicht blos höchst erleuchtete oder erlauchte, sehr ehrwürdige u. s. w., sondern mitunter förmliche gekrönte Häupter, Könige und Fürsten, so dass die Ritter- und Fürstenspiele mit Unrecht als eine Erfindung der neuern Zeiten so oft angegriffen werden.

In England oder vielmehr bei den dortigen Angelsachsen hängen die Gilden, die Städte und städtischen Genossenschaften, selbst die Baugilden auch mit dem angelsächsischen Frithborg, der Friedensbürgschaft 3) einigermassen oder insofern zusammen, als die schon bestehende strenge Haftpflicht der Friedensbürgschaften, der Zehnschaften für die Beobachtung des Rechtsfriedens, des rechtlichen Verhaltens der Zehnmänner, dazu drängte oder veranlasste, schneller allgemeinere (städtische) Genossenschaften zu bilden und darin als einen Nebenzweck, als Mitzweck auch die Verbürgung des Rechtsfriedens aufzunehmen. So entstanden unter König Aethelstan (924 bis 941) die Friedegilden, Frithgegildum (convivia, amicitiae, fraternitates, chorae) und zuerst wurde das Gilde-




    1) Ortloff, S. 81.
    2) Ortloff, S. 82.
    3) Vergl. Unger, altdeutsche Gerichtsverfassung, §. 6 ff.; Lappenberg, I. S. 386.



statut (Judicia civitatis Lundoniae) der Stadt London 1) in zwölf Artikeln abgefasst, welches zugleich den anderen Städten des Reiches als Muster vorgeschrieben wurde. Das Statut beginnt:

"Das ist das Statut, welches die Bischöfe und die Gerefen, die zu London gehören, beschlossen und mit Gedingen bekräftigt haben in unsern Friedensgilden, hohe und niedrige, 2) zur Mehrung der Satzungen, welche zu Greatanlea und zu Exeter gegeben waren und zu Thunresfelde."

Der dritte, uns näher berührende Artikel schreibt vor:

"Das Dritte, dass wir immer zehn Mann zusammen zählen sollen, und der älteste die 9 zu allen den Leistungen anweisen soll, die wir gemeinschaftlich beschlossen haben, und dann die Hynden derselben zusammen und einen Hyndenmann, der die 10 Mann anhalte zu Dem, was uns allen nöthig; und diese 11 sollen das Gut der Hynde bewahren und darauf achten, was sie ausgeben, wenn man gelten soll u. s. w."

Die Stadt London bildete also zunächst Vereine oder Corporationen von je 10 angelsächsischen Männern (Hauseigenthümern, Familienhäuptern) oder Zehnerschaften (theotuna), die alten Friedensbürgschaften, welche je einen Vorsteher (yldesta) unter sich wählten. Zehn Zehnschaften (auch hynden) bildeten eine Hundertschaft 3) (hundred, centena), welche auch wieder einen Vorsteher zu wählen hatte, welcher mit den 10 Vorstehern (Decanen) der 10 Zehnschaften den Vorstand der Hundertschaft ausmachte 4) und selbst wieder der Vorsteher der 10 Zehner




    1) Vollständig mit daneben stehender Uebersetzung abgedruckt bei Schmid, Ges. der Angelsachsen, I. S. 84 ff.
    2) Die hohen Friedensgilden waren diejenigen der hohen Beamten und der Freien, die niedrigen aber diejenigen der Hintersassen (Lappenberg, I. S. 386), wie in ähnlichem Sinne, z. B. zu Florenz, von grossen und kleinen Zünften, oder anderwärts von adlichen und bürgerlichen Zünften geredet wird.
    3) Vergl. H. Schweizer, Fortsetzung der Bemerkungen zu Tacitus Germania, Zürich 1862, S. 2.
    4) Leo, rectitudines singalarum personarum, Halle 1842, S. 174 ff.; Unger, S. 44 ff.; Lappenberg, I. S. 588 ff.



war. Nun erzählt auch Christoph Wren von den Bauhütten wörtlich: 1) "Ihre (der hynde) Regierung führte ein Oberaufseher (hundredes - ealdor, centenarius) und allemal der zehnte Mann wurde ein Aufseher (Warden) genannt, der Neune unter sich hatte," 2) woraus hervorgeht, dass die innere Einrichtung der Bauhütten (der Hundertschaften) durchaus die allgemeine angelsächsische gewesen. Wie aus dern Gesetz Eduards des Bekenners erhellt, nannten die Yorker allein den Frithborg tenmenne tale i. e. sermo docem hominum (Zehngerede). 3) Vielleicht sind die Eilfmänner, welche nach den alten englischen Lehrlingsfragstücken auch eine Loge ausmachen sollen, 4) nur der ursprüngliche Vorstand der Hundertschaft und der Loge, dessen Bedeutung man später vergessen hatte. Lappenberg (vergl. auch I. S. 570, Anm. 1) versteht übrigens unter den Eilfmännern des Londoner Statuts ganz abweichend die angelsächsische Zehnschaft mit dem zu ihr von ihren Hintersassen (hyndum, nicht hyndes) erwählten Hyndenmann, welcher aber schwerlich an die Spitze der Zehn hätte gestellt werden dürfen. Auch Athen hatte als eine der obersten Staatsbehörden Eilfmänner zur Vollstreckung der Straferkenntnisse, wozu wahrscheinlich jährlich einer aus jeder der 10 Phylen nebst einem Schreiber durch das Loos erwählt wurde. 5) Selbst die Apostel ohne den Judas waren Eilfmänner. Auf einem Wandgemälde der Katakomben von San Kalisto zu Rom finden sich mit Hindeutung auf die 11 Apostel in der Umgebung von Christus (dem geistigen Weinstocke) 11 Tauben und 11 Knaben, welche Weintrauben einsammeln. 6) Auf dieser christlichen Symbolik beruht es wohl auch, dass der Sonnengott oder Helios dargestellt wird mit eilf Strahlen um das Haupt, z. B. auf Reliefs




    1) Krause, II. 2. S. 291.
    2) Vergl. Symbolik, II. S. 686.
    3) Unger, S. 37.
    4) Synbolik, II. S. 680.
    5)Hermann, griech. St.-A., §. 39.
    6) Piper, Mythol. und Symbolik der christlichen Kunst, I. 1. S. 214.



in Verona und Rom. 1) Diese 11 Strahlen des Sonnengottes berühren sich auch mit den 11 Sternen, welche nach I. Buch Mosis 37, 9, Joseph im Traume erblickt und die z. B. in der Wiener Handschrift der Genesis mit Miniaturen dargestellt sind. 2) Auf einem Sarcophage aus dem Cömeterium von Cyriace sieht man Christus in der Mitte der 12 Apostel mit 12 Lämmern. 3) Keine Berührung hat in der Regel die Dreizehnzahl mit der Zwölfzahl, denn diese ist nur eine keltische Umgestaltung der Dreizahl (oben S. 130 ff.), ähnlich wie schon bei den Griechen die Siebenzahl zuweilen in Siebzehn (Symbolik, II. S. 460) und bei den Kelten die Neunzahl in Neunzehn, oder die Eilfzahl in 11,000 (z. B. Jungfrauen) und die Dreizehnzahl oder Dreizahl in 1300, 4 in 400 übergehen. Nach Johannes von Hildesheim (+ 1375) werden z. B. die heiligen 3 Könige in 13 Tagen durch ihren Stern auf übernatürliche Weise aus ihren fernen Heimathlanden zu der Wiege Christi geführt. 4) Auch in indischen Sagen, z. B. in der Gainasage von dem Kalkin in den 17 Tagen der Ueberschwemmung, 5) scheint die Siebzehn nur für die Sieben gesetzt zu sein, wie die 17 Absätze der Pagode von Tangore 6) gleichfalls nur die gewöhnlichen 7 Absätze vertreten möchten. Nach Jeremia 32, 9 kaufte derselbe einen Acker zu Anathoth um 17 Sekel Silbers zum Zeichen der Wiederherstellung Israels. In manchen Fällen ist die Dreizehnzahl aus 12 + 1 zusammengesetzt, aus 12 Untergebenen, Jüngern, Aposteln u. s. w. und ihrem Führer, Herrn und Meister, so namentlich auch bei den 13 Templeisen oder hütenden Tempelrittern des heiligen Gral, 7) und bei den 13 (verehlichten) Rittern in dem durch Kaiser Ludwig den Baiern im J. 1332 gestifteten Kloster Ettal. 8) In der Gralsage erscheinen




    1) Piper, I. 2. S. 22, Anm. 2.
    2) Piper, I. 2. S. 125 oben.
    3) Pi p er, I. 1. S. 103.
    4) Lang, die Sage vom h. Gral, S. 102.
    5) Lassen, IV. S. 759.
    6) Schnaase, I. S. 166.
    7) Lang, S. 187; Kurz, Leitfaden, S. 23.
    8) Lang, S. 193 ff.



4 gefangene Königinnen mit 4 Jungfrauen. 1) Im Palaste, des Priesters Johannes in Indien quillt ein Brunnen und wer aus ihm im Mai dreimal trinkt, wird 303 Jahre alt. 2) - Aus der Zeit König Edgars (959 - 975) ist ein besonderes Gesetz über die angelsächsischen Hunderte vorhanden, wornach diese Corporationen monatlich die ordentliche Versammlung zu halten hatten. 3) Jedoch verordnet auch schon das Londoner Statut:

"Das Achte, dass wir uns alle Monate versammeln sollen, wenn wir können, und die Hyndenmänner und Die, welche die Zehnten weisen, Muse haben, entweder bei vollen Fässern oder sonst wie es genehm ist, damit wir wissen, welchen von unsern Satzungen Folge geleistet ist. Und es mögen die 12 Männer ihr gemeinschaftliches Mahl haben und speisen, wie sie es ihrer würdig halten, und sie mögen alle Ueberbleibsel des Mahles um Gottes willen vertheilen."

In §. 6 desselben Art. 8 des Londoner Statuts ist verfügt, dass im Falle des Absterbens eines Gildengenossen "jeder Gildengenosse ein mit Zuthat versehenes Brod für die Seele geben solle, und ein Fünfzig singen solle oder singen lassen solle innerhalb dreissig Nächten." Vorangehend war in Art. 7 im Eingange gesagt worden: "Das Siebente, was wir beschlossen, ist, dass, wer auch immer etwas that, um unser Unrecht zu rächen, wir alle einig sein sollen in Freundschaft und Feindschaft, wie es auch kommen möge." - Das ganze Statut schliesst mit den Worten: "Wenn wir es so halten, dann vertraue ich (Aethelstan) zu Gott, dass unser Friede besser sein werde, als er es früher war."

Die gesetzliche Einrichtung der Bauhütten konnte zu jener Zeit um so weniger ausbleiben, als die Ausbesserung der Kirchen im ganzen Lande gesetzlich vorgeschrieben war. Unter Edmund I. (941 - 946) wurde z. B. auf einer grossen Synode von den geistlichen und weltlichen Ständen das Gesetz erlassen, dass jeder Bischof aus seinem




    1) Lang, S. 297.
    2) Lang, S. 369.
    3) Leo, rectitudines, S. 177.



Vermögen die Gotteshäuser bessern solle, und dass er auch den König ermahnen solle, damit alle Kirchen Gottes gut beschaffen seien, wie das uns noth thue. 1) Dass eine Loge aber ursprünglich eine Hundertschaft (10 x 10) gebildet habe und nur später wegen bemerkter Uebelstände die Anzahl der wirklichen Mitglieder derselben auf 50 - 60 beschränki worden sei, ist aus einer hierauf bezüglichen Anmerkung zur Yorker Constitution 2) zu schliessen, worin gesagt wird, dass die Zahl aller Mitglieder einer Loge in England und Schottland schon lange 100 gewesen sei.

Selbst einzelne Gebräuche, welche noch heute bei den Freimaurern geübt worden, lassen sich mit grosser Bestimmtheit als angelsächsischen Ursprungs oder wenigstens lange vor der normannischen Eroberung Englands im J. 1066 entstanden nachweisen, wie z. B. der Gebrauch, dem neu aufgenommenen Maurerlehrlinge Handschuhe zu schenken, d. h. die allgemeine Sitte des Tragens der Handschuhe. Diese Sitte war nämlich bei den Angelsachsen eine so allgemeine, dass selbst der letzte Hörige Handschuhe trug; Folgarius debet habere calceamenta et chyrothecas. 3) Dass diese Sitte in den Bauhütten eine weitere und eigenthümliche symbolische Gestaltung erhielt, besonders als Pfand der Freundschaft überreicht wurde, 4) liegt nahe; an und für sich aber trugen alle angelsächsischen Maurer bis zum letzten Lehrlinge herab nach allgemeiner Landessitte Handschuhe. Dem Londoner Statute zufolge 5) mussten zu Weihnachten (in sancto natali Domini) auch Handschuhe (et cirotecas V hominum) als Handelsabgabe entrichtet werden. 6) Auch dem Bischofe wurden bei seiner Weihe weisse Handschuhe mit der Mahnung überreicht, seine Hände von Befleckung rein zu erhalten (conceduntur episcopo chirotecae, quae manus ab omni humana contagione conservandas esse ad-




    1) Schmid, a. a. O. I. S. 94, §. 5.
    2) Krause, I. 1. S. 109 oben.
    3) Lappenberg, I. S, 617.
    4) Ziemann, mittelhd. Wörterb., unter hant-schuoh.
    5) R. Schmid, Gesetze der Angelsachsen, I. S. 206.
    6) Vergl. noch besonders Besoldi thesaurus pract., I. und II. unter Handschuh.



monent, sagt Petrus Gregorius Tholosanus). Dass das deutsche Wort Handschuh die blosse Uebersetzung von chirotheca sei, braucht kaum bemerkt zu werden.

Von den wandernden und der Gastlichkeit bedürftigen Bauleuten des Mittelalters, welches sich überhaupt durch die Unruhe, die Beweglichkeit, das Drängen und Wandern seiner Völker auszeichnet, 1) und dem ganz eigentlich die fahrenden Leute jeder Art, die laufenden Gesellen (currentes socii nach Knebel), 2) angehören, ist bis auf unsere Tage in dem rothen Fünf- oder Sechsecke, welches in den Städten und Dörfern der Schweiz, des südlichen, mittleren und ohne Zweifel auch nördlichen Deutschlands den kleineren Wein- und Bierschenken als Schild dient, ein Zeugniss übrig geblieben, wie wir schon in Nr. 33 der Bauhütte von 1861 darzuthun versucht haben. Die wandernden Baugesellen, Steinmetzgesellen waren in jenen frühern im Kirchen- und Profanbau so ausserordentlich thätigen Zeiten die ersten und jedenfalls lange die zahlreichsten Wandergesellen, weshalb begreiflich ist, dass in Städten und Dörfern mit Rücksicht auf sie besondere Schenken errichtet wurden und diese durch ein denselben bekanntes und befreundetes Zeichen zur Einkehr einladen wollten, wie ähnlich die Herbergen der verschiedenen Handwerke errichtet und eingerichtet wurden. Dasselbe Zeichen hängen die Bauleute noch dermalen bei Neubauten und besonders bei Reparaturen auf, um die Vorübergehenden zur Aufmerksamkeit einzuladen, und so konnte es sehr leicht gebraucht werden, um ihre eigene Aufmerksamkeit auf die Wein- und Bierschenken zu lenken. Vielleicht ist auch hierher zu beziehen, dass besonders in der Schweiz und überhaupt bei den Alemannen die Tafère, Taffera, Taverne, Täffri das Wirthshaus-, Gasthausschild und Tavernenwirthshaus oder auch die Taverne, das mit einem solchen Schilde, - mit dem eigenthümlichen oder dinglichen Rechte, Realrechte darauf, versehene Wirths-, Gasthaus noch heute bezeichnen. 3) Der Ausdruck ist




    1) Schnaase, VI. S. 86 ff.
    2) Chronik, II. S. 143.
    3) Vergl. Tobler, appenz. Sprachschatz, Zürich 1837, S. 128 b.



von taberna, welches auch die Bedeutung von Wirthshaus nach Koch, lateinisches Handwöterbuch, hatte, abzuleiten und beweiset, dass schon zu der Römer Zeiten die Reiseeinrichtungen sorgfältig in der Schweiz vorgesehen waren und sich späterhin forterhalten haben. Uebrigens handelt z. B. auch das alte Rechtsbuch der Stadt Mühlhausen in Thüringen aus dem 13ten Jahrh., herausgegeben 1843 von Förstemann, von der "taverni". Die Brüderlichkeit, der allgemeine Menschensinn, das Gastrecht ist jedenfalls deshalb bei den Bauleuten am lebendigsten entwickelt und zur heiligsten Pflicht gemacht, weil sie, die stets Wandernden und Fremden, derselben am meisten bedurften, wie aus dem gleichen Grunde die Klöster, besonders der Benedictiner, die unbedingteste Gastlichkeit gegen einander übten und in beschränktem Sinne selbst den Gasthäusern, den Herbergen verglichen werden dürfen. Auch bei den Indern wird gewiss aus denselben Veranlassungen die Uebung der Gastfreundschaft ausserordentlich eingeschärft, so heisst es z. B. im Hitopadesa, übersetzt von Max Müller in Leipzig 1844:

Ein Gastfreund, der mit getäuschter Hoffnung aus dem Hause herausgeht, der hinterlässt ihm seine Sünden und nimmt die Tugend desselben mit sich fort.
Ist dies ein uns Angehöriger oder ein Fremder, so überlegen nur die Schwachsinnigen. Den Edlen ist die ganze Welt ein Vaterhaus.

Der Werth und die Uebung der Gastlichkeit, das Darreichen des Gastgeschenkes an den armen Wandergesellen gab die Veranlassung zu der sehr folgereichen Eintheilung der Handwerke und Handwerker in geschenkte (schenkende) und ungeschenkte, wie auch darauf wohl hauptsächlich das Entstehen der Gesellenbrüderschaften beruht. Die Gesellenbrüderschaften hatten z. B. eigene Gildgesellen, worupter man diejenigen Gesellen verstand, denen es oblag, die angekommenen fremden Gesellen zu dem ihnen bereiteten kleinen Mahle (Gild) zu führen. 1) Der maurerische heutige Ceremonienmeister ist aus dem alten




    1) Schmeller, II. S. 35, unter Gild.



Gildgesellen theilweise hervorgegangen, indem er den fremden besuchenden Bruder erst an Zeichen, Griff und Wort, gleichsam an dem christlichen Glaubensbekenntnisse, an den alten heidnischen Symbolen zu erkennen und dann die Pflichten der Gastfreundschaft gegen den als Bruder, als Gastfreund Erkannten zu üben hat. 1) Im Vertrauen auf die brüderliche Gastlichkeit, auf die Brüder durften die Bauleute beruhigt in die weitesten Fernen ziehen und wer brüderlich zu begrüssen vermochte, war sicher, brüderlichst empfangen zu werden. Die Bauhütten des Mittelalters haben mit dem Ritterthume, mit den geistlichen Ritterorden die innigste Verwandtschaft, nicht insofern als seien die Bauhütten etwa aus dem Ritterorden und besonders aus dem Templerorden hervorgegangen, wovon nicht entfernt die Rede sein kann, wie oft es auch schon behauptet worden ist; wohl aber insofern, als in dem Ritterthume und in der Maurerei, in den Rittern und in den die Kelle und den Hammer Führenden gleich lebendig der höhere Gedanke der Menschheit lebte, - die Einen für die Menschheit stritten und die Andern für sie bauten, und beide unendlich wirksam waren in der Erweckung und Erhaltung des allgemeinen Menschensinnes und Menschengefühls. Die bretonische Poesie, die kymrischen Barden, zuletzt die Druiden und ihre Lehren haben an dem eigenthümlichen Aufkommen des Ritterthums und der Bauhütten, der spätern Freimaurerei gleich grossen oder denselben Antheil; selbst das von König Alfred gegen das Ende des 9ten Jahrh. aus dem Lateinischen in das Angelsächsische übersetzte Buch des unter dem ostgothischen König Theodorich hingerichteten Römers Boethius, de consolatione philosophiae, vom Troste der Philosophie, das einen ganz maurerischen und allgemein-religiösen Charakter hat, könnte daran Antheil haben 2) und noch der Mönch Johannes Scotus Erigena, wenn er wirklich von König Alfred aus Frankreich vom Hofe und der Hochschule Karls des Kahlen nach England, nach Oxford berufen worden war,




    1) Vergl. Rinck, I. S. 9.
    2) Weiss, Gesch. Alfred's des Grossen, S. 271 ff.



wie dieses mit Turner, 1) Staudenmaier und Gruber z. B. nachdrücklichst Weiss, a. a. O., S. 353, entgegen Mabillon, Natalis Alexander, Guizot und vielen andern französischen Gelehrten, auch entgegen Pauli, behauptet. Erigena, der Begründer der scholastischen Philosophie, soll in Irland geboren und seiner philosophischen Bildung wegen in Griechenland und im Orient gereist sein. Bei Erigena finden sich jedenfalls Spuren der indischen Philosophie, des indischen Pantheismus, von der Rückkehr der Creatur zu Gott oder der endlichen Versenkung aller Geister in Gott, der zuletzt nur allein übrig bleibt, durch das Aufsteigen in 7 Geistesstufen. Erigena wurde sowohl in Frankreich als in England, wohin er allerdings nach dem umständlichen Berichte des um 1200 unter dem Sohne des Eroberers, dem rothen Wilhelm, lebenden 2) Wilhelm von Malmesbury zu Alfred gekommen sein soll, wegen seiner ketzerischen Ansichten verfolgt und soll zuletzt zu Meldunum oder im Kloster Malmesbury von seinen Schülern auf eine grausame Weise im J. 891 3) getödtet worden sein. Vielleicht ist der geschichtliche Sachverhalt dieser: Alfred war durch druidische, bardische oder auch culdeische Geistliche und Gelehrte erzogen und durch sie freiern religiösen Ansichten, der Wissenschaft und besonders der Philosophie gewonnen worden, so dass er als König die freie Wissenschaft überall begünstigte und viele ausgezeichnete Gelehrte und Philosophen um sich versammelte, die er dann durch geistliche Stellen belohnte und an sich band. So hatte Alfred im J. 884 namentlich den Asser von Meneve, einen Walen, seinen spätern Biographen, aus dem fernen Britenlande berufen und zu seinem Lehrer gemacht, 4) mit seiner Hülfe namentlich den Boethius aus dem Lateinischen übersetzt. Dem walischen Einflusse und den walischen Ansichten wäre mithin




    1) Lorentz, Gesch. Alfred's des Grossen, übertragen aus Turner's Gesch. der Angelsachsen, Hamburg 1828, S. 148 und 153 ff.
    2) Weiss, S. 363.
    3) Weiss, S. 367, Lorentz, S. 159; Huber, Joh. Scotus Erigena, München 1861.
    4) Weiss, Alfred der Grosse, S. 267 ff.; Schmid, die Gesetze der Angelsachsen, I. S. LIX.



auch die Berufung des Erigena zuzuschreiben, so wie die spätere Begünstigung der maurerischen Verbindungen durch Ertheilung der Yorker Privilegien im J. 926 von König Aethelstan, Alfred's grossem und gleichgesinntem Enkel. In der Uebersetzung des Boethius, Kap. 33, §. 4, redet Alfred ganz im Geiste der Yorker Urkunde Gott also an:

"O Gott, wie gross, wie wundervoll bist du! Der du alle deine Geschöpfe, sichtbare und unsichtbare, wundervoll geschaffen hast und sie weise regierst! Der du die Zeiten vom Anfang der Erde bis an ihr Ende geordnet hast, so dass sie von dir ausgehen und zu dir zurückkommen. Der du alle beweglichen Geschöpfe nach deinem Willen erregest, während du selbst unveränderlich und unbeweglich bleibst! Keiner ist mächtiger als du, noch Einer dir gleich! - - - Niemand gab dir ein Vorbild, denn Keiner war vor dir, der irgend Etwas, auch das Geringste, zu schaffen vermochte; sondern du selbst hast alle Dinge sehr schön und sehr gut geschaffen und du selbst bist das höchste Gut und die höchste Schönheit. Wie du es dachtest, so hast du die Welt gemacht, und lenkst sie wie du willst, und du selbst theilest alles Gute aus, wie du willst. Du hast alle Geschöpfe einander gleich gemacht und in manchen Beziehungen ungleich; obschon du allen Dingen insbesondere Namen gegeben hast, so gabst du ihnen doch einen gemeinsamen Namen und nanntest sie Welt. Doch hast du diesen einen Namen wieder in 4 Elemente getheilt; eines ist Erde, das andere Wasser, das dritte Luft, das vierte Feuer u. s. w. 1) - - - Du, o Herr, wirst den Seelen eine Wohnung in dem Himmel gewähren und wirst sie dort beschenken mit würdigen Gaben, jede nach ihrem Verdienst, und du wirst sie dort hell strahlen lassen, und immer in wechselndem Glanz, manche mehr, manche minder helle, wie die Sterne, jede nach ihrem Verdienst. - - - Verleihe nun, o Herr, unsern Seelen, dass sie durch die Hindernisse dieser Welt zu dir emporsteigen, und zu dir kommen aus diesen Mühen heraus, und dass mit den offenen Augen unserer Seele




    1) Weiss, S. 283.



wir sehen mögen den höchsten Quell alles Guten, das bist du! Gewähre uns denn gesunde Augen unserer Seele und erleuchte die Augen mit deinem Licht, denn du bist der Glanz des wahren Lichtes, und die süsse Ruhe der Gerechten, und du wirst bewirken, dass sie dich erblicken. Du bist aller Dinge Anfang und Ende; du trägst alle Dinge ohne Mühe; du bist sowohl der Weg als der Führer und das Ziel, wohin der Weg leitet; alle Menschen streben zu dir."

Man glaubt oft das alte maurerische Aufnahmsgebet zu hören und das ganze maurerische Ritual, das englische Lehrlingsfragestück und die Yorker Urkunde werden sich stets alterthümlicher, ächter und übereinstimmender darstellen, je mehr und je tiefer man in die gleichzeitigen übrigen Geschichtsquellen eindringt. Derselbe König Alfred schrieb in der Uebersetzung des Boethius auch:

"Worin kann ein Mann dem andern schaden, ausser an seinem Leibe und seinen Gütern; Niemand kann der vernünftigen Seele schaden oder verursachen, dass sie nicht ist, was sie ist; dies sieht man sehr deutlich aus der Geschichte eines römischen Edelmanns, welcher Liberius hiess. Er ward gefoltert, weil er seine Genossen nicht angeben wollte, die sich mit ihm gegen den König verschworen, der mit Unrecht zur Herrschaft über sie gelangt war; als er nun vor den wüthenden König gebracht wurde, und dieser ihm befahl, seine Mitverschwornen anzuzeigen, biss er sich die Zunge ab und spie sie dem Tyrannen in das Gesicht. So kam es, dass dem Manne das zu Lob und Ehre gereichte, was der ungerechte König ihm zur Strafe bestimmt hatte." 1) - Ueber die Gleichheit aller Menschen schrieb Alfred: "Alle Menschen haben einen gleichen Ursprung, alle stammen vom gleichen Vater, von der gleichen Mutter, alle wurden auf die gleiche Weise geboren. Ein Gott hat alle Geschöpfe aus dem Nichts hervorgerufen und erhält sie. - Gott hat Allen den gleichen Adel gegeben. - - Wahrer Adel ruht nur in der Seele, nicht im Blut. Wer aber dem Laster sich ergibt, seinen Schöpfer und seinen hohen Ursprung ver-




    1) Weiss, S. 279.



gisst und seinen Adel, der wird entadelt, bis er ein Gemeiner ist." 1)

Nach Wilhelm von Malmesbury hatte Alfred auch die 24 Stunden des Tages also vertheilt, dass er 8 Stunden den Studien, der Schriftstellerei und dem Gebete, - 8 dem Schlaf und der Erholung des Körpers und 8 den Geschäften der Regierung widmete. 2) Die Dreitheilung des Tages in den jetzigen englischen Ritualen 3) könnte Alfred entlehnt sein. Die Dreitheilung des Tages bei Alfred kann leicht nur der Ausdruck einer ältern kymrischen oder bardischen Triade sein, besonders einer sog. molmutinischen Rechts-Triade, 4) da die Rechtswissenschaft den Barden keineswegs fremd war. Eine solche in ihren Bestandtheilen sehr verschiedenen Zeiten angehörende Triade sagt z. B. vom Eide: "Es gibt drei crairs (geheiligte Gegenstände, um dabei zu schwören): der Stab Dessen, der Gebete zu der Gottheit sendet; der Name Gottes; die Hand, wenn sie in die Hand gelegt ist. Diese werden Handerairs (Hawgreriau) genannt. Drei andere Arten zu schwören sind: auf Wort und Gewissen; auf Wort, im Angesichte der Sonne; bei Gott und seiner Treue. In spätern Zeiten war die Form des Schwures: bei den zehn Geboten; bei dem Evangelium Johannis und bei dem heiligen Kreuze." 5) Diese Triade ist insofern von ganz ungewöhnlicher Bedeutung, als dieselbe deutlich die Umgestaltung und Einfügung des alten heidnischen Lichtglaubens in das Christenthum zeigt; namentlich trat hier jetzt an die Stelle der Sonne, vielleicht auch nur zu der Sonne (und dem Monde), wie in den Maurerlogen, das Evangelium Johannis. Wir haben die Triade auch noch deshalb hervorgehoben, weil die höchst merkwürdigen, unter geistlichem Einflusse und durch Geistliche, wenn nicht durch Alfred selbst abgefassten 6) Gesetze




    1) Weiss, S. 377.
    2) Weiss, S. 347; Lorentz, S. 211.
    3) Das Freimaurerthum in seinen 7 Graden, S. 20.
    4) Vergl. darüber R. Schmid, diie Gesetze der Angelsachsen, I. (Leipzig 1832) S. XXXIII ff.
    5) Schmid, I. S. XXXV.
    6.) Lorentz, S. 243 ff.



Alfred's 1) mit den zehn Geboten Mosis beginnen. Die angelsächsischen Zehnschaften, Freoburgen, Frithborgen, Bürgschaftsvereine der freien Hofbesitzer, 2) haben vielleicht auf die mosaische Zehnzahl Bezug und wären als Zehntschaften alsdann bei den Angelsachsen erst entstanden nach ihrem Uebertritte zu dem Christenthume, oder sind vielleicht erst durch Alfred in Verbindung mit seinen gesammten polizeilichen Einrichtungen neu eingeführt worden, 3) indem vermuthlich an die Stelle der heidinschen zodiakalen Zwölfzahl, womit auch der im angelsächsischen und fränkischen Rechte vorkommende Zwölfereid 4) genau zusammenhängt (vielleicht selbst die Zwölfzahl der Geschwornen, deren Einführung auch Alfred zugeschrieben wird), die mosaische oder christliche Zehnzahl und überhaupt an die Stelle der heidnischen Zwecke möglichst christliche, kirchliche oder gottesdienstliche gesetzt wurden. Die Zwölf- oder die Zehnschaft war ursprünglich die unterste militärische Abtheilung, ein Zug, ein Dutzend Krieger, welche durch die Eroberung des englischen Landes zugleich zu 12 Hof- oder Gutsbesitzern wurden 5) und als solche mit einander nunmehr die unterste Landesgemeinde, Dorfgemeinde, das Dorf oder die Gemeinde bildeten. Diese Gemeinden der Angelsachsen, welche von den Normannen später Francphlegen genannt wurden und zu York (Eboracum) tenmenne tale i. e. sermo decem hominum 6) hiessen, mussten nothwendig die Erhaltung des Rechtsfriedens und den gegenseitigen Schutz im ruhigen Gutsbesitze zu ihrem wesentlichen Zwecke haben und diesen Zweck den jedesmaligen Zeitbedürfnissen und Zeitverhältnissen verändernd und erweiternd anpassen, wie dieses noch heute bei unsern Dorf- und Stadtgemeinden aus dem




    1) Bei Schmid, I. S. 32 ff., in angel-sächsischer und deutscher Sprache.
    2) Schmid, I. S. LXXII; Unger, die altdeutsche Gerichtsverfassung, Göttingen 1842, S. 34 ff.
    3) Lorentz, S. 241 ff.
    4) Ungere S. 56.
    5) Unger, S. 58 ff., kehrt das Verhältniss geradezu um, im Widerspruche gegen Eichhorn.
    6) Unger, S. 37.



nämlichen Grunde geschieht. Justus Moeser, Eichhorn, Rogge, Phillips, Unger und Andere nennen daher auch mit Recht die Dorf- und Landgemeinden die Grundlage aller germanischen Staatsverfassung, obwohl damit nur eine sehr einleuchtende und einfache Thatsache ausgesprochen wird. Die angelsächsischen Zwölf- oder Zehnschaften hatten gewiss auch nach der Besitznahme des Landes noch längere Zeit die alte militärische Bedeutung, mussten zum Schwerte greifen, wenn es dem Kampfe galt, und standen als Krieger wie als Hofbesitzer gegenseitig vollkommen gleich; alles dieses änderte sich jedoch, die alten Frithborgen zerfielen, als die Militär- und Grundbesitzverhältnisse sich änderten und umgestalteten; jedoch die eingreifendste Veränderung erfolgte mit dem Aufkommen der Städte, indem hier die hofrechtlichen, die landwirthschaftlichen Verhältnisse, - der Gutsbesitz in den Hintergrund treten mussten. In den Städten hatten nun die angelsächsischen Friedegilden, Schutzgilden, die anderwärts als convivia, amicitiae, fraternitates, chorae erscheinen, die neuen Bedürfnisse und Zwecke neben noch vorhandenen alten zu erfüllen; gerade der erweiterte Zweck mag die Annahme eines andern Namens veranlasst haben. Die städtische Gilde, der städtische Schutzverein kam sehr leicht, höchst wahrscheinlich unter den Einwirkungen der Kirche dazu, die Armen-, Kranken- und Todtenpflege der Gildengenossen in ihr Bereich aufzunehmen und auch eine kirchliche Bruderschaft zu sein. Waren die ältern Frithborgen Schutzvereine der Krieger und Hofbesitzer, vereinten sich in den Gilden die städtischen Gewerbsgenossenschaften und kirchlichen Bruderschaften; nur darin standen jetzt die Frithborgen den neuen Friedegilden gleich, dass beide politisch gleich bedeutungslos und unterworfen waren. Das Gildestatut, welches unter König Athelstan für die Stadt London errichtet wurde, galt zugleich als allgemeines Landesstatut und war in dem bezeichneten Sinne verfasst, indem es nicht allein die Verfolgung und Bestrafung der Uebelthäter verordnete, sondern auch verarmte Mitglieder unterstützte und den Verstorbenen Seelenmessen lesen liess. 1) Die unter dem städte- und gildengründenden




    1) Unger, S. 41.



König Athelstan im J. 926 erlassene Yorker Urkunde erscheint somit ebenfalls in einem neuen Lichte und nur als ein gleichzeitiger Ausfluss der allgemeinen gesetzgeberisehen Richtung der Zeit. Auch liegt es sehr nahe, dass die Gesetze Athelstan's oder Edwin's blos aus den den Brüdern Maurern vom Prinzen Edwin vorgelegten 16 kurzen Gesetzen oder Pflichten bestanden, 1) welchen dann damals oder später von einem kundigen Geistlichen die ganze historisch-sagenhafte Einleitung vorgesetzt wurde; ja diese Einleitung mag sehr wohl im Laufe der Zeiten Zusätze und Erweiterungen beim Abschreiben der ursprünglichen Urkunde erhalten haben, wie dieses bei allen erhaltenen angelsächsischen Gesetzen der Fall ist. 2) Jene Gesetze enthalten Nichts, was mit dem Inhalte der sieben Gesetze Athelstan's, welche Schmid, I. S. 67 ff., mittheilt, in Widerspruch stände, treffen vielmehr in manchen Beziehungen zusammen. Das erste Gesetz Athelstan's über den Zehnten ist ganz in dem geistlichen Gewande der Yorker Constitution abgefasst, ruft aber, was zu beachten ist, blos den Namen des Herrn (oder Gottes) und aller Heiligen an. Das eigentliche Gesetz geht in Bibelsprüchen gleichsam unter und ist höchst belehrend für die damalige Art der schriftlichen Abfassung der Gesetze, welche man den Geistlichen überlassen musste. Der Zehnte soll entrichtet werden am Tage der Enthauptung St. Johannis des Täufers und bei seiner Entrichtung soll man namentlich die Ermahnung der göttlichen Lehre erwägen, dass wir die himmlischen Dinge durch die irdischen und die ewigen durch die zeitlichen verdienen sollen. 3) - Das zweite Gesetz Athelstan's verordnet hinsichtlich der Schildmacher (scyldwyrthum), dass kein Schildmacher Schaffell auf ein Schild lege, und wenn er es thut, gelte er 30 Schilling. 4) Die Zahl 30 gehört dem Duodecimalsysteme an und ist der vierte Theil des grossen Hunderts oder der Königs-Busse von 120 Schilling,




    1) Krause, II. 1. 93 ff.
    2) Schmid, I. S. LXXXII.
    3) Schmid, I. S. 69.
    4) Schmid, I, S. 75, vergl. mit S. 51, Art. 36.



wie auch eine Gefängnissstrafe von 30 und von 120 Nächten, 12 Zeugen u. s. w. vorkommen. - In dem gleichen Gesetze wird verordnet, dass jede Burg 14 Tage nach den Processionstagen ausgebessert sein solle, 1) uni nämlich gegen die stets drohenden feindlichen Einfälle sich im Vertheidigungszustande zu befinden. Schon der Aufführung der nöthigen Befestigungswerke wegen musste also den Bauleuten Sorge getragen werden. - Der Eingang des 6ten Gesetzes: "Dies ist das Statut, welches die Bischöfe und die Gerefen, die zu London gehören, beschlossen u. s. w.," 2) erinnert an die Ueberschrift der Gesetze in der Yorker Urkunde: "Die den Brüdern Maurern vom Prinz Edwin vorgelegten Gesetze oder Pflichten." Die Gesetze Alfred's sind überschrieben: "Dies sind die Gesetze, die König Alfred gab." 3)

Dass aber die Yorker Urkunde, so wie sie vorliegt, d. h. auch mit der historisch-sagenhaften Einleitung, schon im J. 926 im Wesentlichen abgefasst worden sei, dafür zeugt am überredendsten die Gestalt, welche die Gesetze Alfred's tragen, welche Gesetze ein jeder Maurer, dem es um Erforschung der Geschichte und Geschichtsquellen der Maurerei ernstlich zu thun ist, zu vergleichen nicht unterlassen sollte. Die Gesetze Alfred's zerfallen in die mosaischen Gesetze und in Alfred's englische Gesetze; die letztern sind die eigentlichen Gesetze und die mosaischen Gesetze sind eine erzählende priesterliche Einleitung, ganz ähnlich wie die Einleitung zu den Yorker Gesetzen. In jener Einleitung wird vorzüglich betont, dass ein Jeder, welcher richtet, um Jeden nach Recht zu richten, sich der Satzung erinnern möge: "Was ihr wollt, dass euch Andere nicht thun, das thut ihr Andern nicht;" es bedürfe keiner andern Gesetzbücher; Jeder erinnere sich, dass er keinen Menschen richte, wie er nicht will, dass man ihn richtet, wenn er das Urtheil sucht. 4) - Es erfüllet sonach




    1) Schmid, I. S. 74. Aehnliche Gebote hatte schon Alfred erlassen, worüber zu vergleichen ist Lorentz, S. 219.
    2) Schmid, I. S. 84.
    3) Schmid, I. S. 32.
    4) Schmid, I. S. 39.



die Gesetze Alfred's auch derselbe Geist der Milde, der Liebe und Gerechtigkeit, welcher die Yorker Urkunde durchzieht; die Gesetze Alfred's und die Yorker Urkunde stimmen in der äussern Form und innerlich vollkommen zusammen, so dass die Aechtheit der Yorker Urkunde dadurch als ausser allen und jeden Zweifel gesetzt erscheint. Die englischen Gesetze Alfred's beginnen mit den Worten. "Zuerst lehren wir, dass es vor allem nöthig ist, dass jeglicher Mann seinen Eid und sein Gedinge wahrhaftig halte." 1) - Daran reiht sich, dass Alfred auf seinem Todtenbette seinem Sohne und Thronnachfol(rer Eduard die Ermahnung zugerufen haben soll: "Ich bitte dich (denn du bist mein liebes Kind), strebe deinem Volke ein Vater und Herr zu sein. Sei du der Waisen Vater und der Wittwen Freund. Tröste den Armen und schütze den Schwachen, und mit aller Macht wende das Unrecht zum Recht. Und, mein Sohn, richte dich selbst nach dem Gesetz, dann wird der Herr dich lieben, und Gott vor allen Dingen deine Belohnung sein. Wende dich an ihn um Rath in aller deiner Noth, dann wird er dir helfen, deine Absichten zu erreichen." 2) - Nach einem Ausspruche Alfred's unterscheidet sich das Gold von einem Steine einzig durch seine verständige Benutzung und Reichthum ohne Weisheit ist wenig werth.

Das maurerische Funde merum genio 3) ist in der Bretagne aus den römisch-keltischen Zeiten bis herab auf die Gegenwart als ein lebendiger Volksgebrauch erhalten, indem, wenn man Jemandem zutrinket, man stets auf sein Wohl und das Wohl seiner Gesellschaft trinkt, auch weint er sich ganz allein befinden sollte, weil sein Genius als seine Gesellschaft gemeint ist; dabei wird das Glas niemals bis auf den Grund ausgetrunken, sondern es werden stets einige Tropfen darin gelassen, welche als ein Opfer für den Genius zur Erde gegossen werden. 4)




    1) Schmid, I. S. 40.
    2) Lorentz, S. 205.
    3) Vergl. darüber Symbolik, I. S. 601 und II. S. 76 und 83, so wie meine Abhandlung in der Bauhütte für 1861, S. 388 ff.
    4) Ausland für 1859, S. 1173 a.



Die einzig wahre Geschichtsforschung ist die allseitige Betrachtung der Ereignisse, weil ein jedes Zeitereigniss in der Gesammtzeit begründet ist. Dem Ritterthume und den Bauhütten reihen sich als drittes Glied in dem Menschheitsbunde die Universitäten an und das Ritterthum, die Bauhütten und die Universitäten sind die 3 grossen Säulen, welche das freiere Geistesleben der mittelalterlichen Menschheit tragen und gegen den erdrückenden Einfluss der Kirche, und des Staates schützen. Die 7 Werke der Barmherzigkeit, welche mit andern heiligen Siebenzahlen schon frühe im Mittelalter aufgestellt wurden, nämlich Hungrige zu speisen, Durstige zu tränken, Nackte zu kleiden, Kranke zu pflegen, Gefangene zu besuchen, Fremde zu beherbergen, 1) Todte zu begraben, können als die 7 Gebote des Menschen- und Fremdenrechtes gegen die fahrenden Ritter und Studenten und die wandernden Gesellen betrachtet werden. - Von dieser Seite erinnert die Gastlichkeit der Bauhütten, der Zünfte, der Handwerksvereine, der Meister und Gesellen an den Johanniterorden, an den Hospitaliterorden von Jerusalem, welcher als Vorbild seit der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts für die höhern Grade der Freimaurerei ausserordentlich bedeutend ist, ohne dass wir jedoch darüber mehr als einige, für den Unkundigen vielleicht dunkle und ungenügende Bemerkungen machen möchten. Die Johanniter, also genannt von ihrem Schutzpatrone Johannes dem Täufer, hatten die gastliche Verpflegung der Kranken, Armen und Fremden zur besonderen Lebensaufgabe, zum Klostergelübde und der darin liegende allgemein-menschliche mitfühlende und liebreiche Sinn gestattete und ermunterte auch die nicht im klösterlichen Verbande lebenden Weltlichen durch johanneische Anstalten, namentlich durch Herbergen und Spitäler, gleichsam als weltliche Johanniter zu leben und zu wirken. In den Zeiten des Mittelalters oder seit den Zeiten der Stiftung des Johanniterordens ging auch ein




    1) Vergl. Evanglium Matthäi 25, 35 und 36; Schnaase, IV. 1. S. 83 Anm.; Winckelmann's Werke, IV. S. 25 und Anm. 100, woselbst eine tessara hospitalis, im Museo Borgiano zu Velletri, aus dem 6ten Jahrh. vor Chr. mitgetheilt wird.



johanneischer Zug durch die ganze Christenheit, welcher in der Stiftung und johanneischen Weihung von Wohlthätigkeitsanstalten, von Herbergen und Spitälern zumal, seinen lebendigen Ausdruck fand: aber dennoch möchten wir dem Johanniterorden eben so wenig wie dem mit ihm etwas spätern Templerorden keinerlei grössern Einfluss auf die mittelalterliche Maurerei zugestehen, wie dieses z. B. der sonst so verehrungswürdige Krause, II. 2. S. 51 ff., gethan hat, indem er die Johanniter mit den culdeischen Geistlichen, welche zu York ein altes Hospital innegehabt haben, in bestimmten geschichtlichen Zusammenhang bringt. Das in so vieler Beziehung ideale christliche Mittelalter fasste vorzüglich auch die Fremden- und Krankenpflege als eine heilige Christenpflicht, und wir möchten als deren Symbol den in mittelalterlichen Bildern so oft dargestellten Christus, zwischen Maria und Johannes am Kreuze hangend und blutend, ansehen. In dieser göttlich-menschlichen Dreiheit spricht sich die höchste Liebe und aufopfernde Hingebung, die Erlösung der leidenden Menschheit unendlich rührend aus, so dass dieselben mit den Maurern nothwendig in nähere Beziehung treten mussten, wie die Maria und Johannes besonders in England auch wirklich getreten sind. Indessen ist der Marien-, so wenig wie der Johanniscultus, noch nicht genügend aufgeklärt, obwohl sein Dasein feststeht und für ihn besonders die vielen Frauen- und Johanniskirchen und Capellen, die Marien- und Johannisbruderschaften und Feste in England und Frankreich wie in Deutschland zeugen. Um nur eine Thatsache anzuführen, mag bemerkt werden, dass im J. 1180 z. B. der freie (ingenuus) Cuno von Buchsee das dortige Johannitermännerhaus gründete zum Gedächtniss und zur Vergeltung der Wohlthaten, welche er auf einer dreimaligen Wanderung nach dem Grabe des Herrn zu Jerusalem im Spitale des heil. Johannis gefunden hatte, 1) ein Spital zur Aufnahme und Verpflegung von Armen und von dürftigen Fremden. Am 22. Februar 1362 errichteten die Aebte und Klöster zu Erlach, zu Frienisberg, Bellelay, St. Andrae, Gottstadt




    1) Mohr, Regesten (des Männerhauses Buchsee), I. S. 112, Nr. 1.



und der Prior der Insel mitten im Bieler See eine Bruder- und Gemeinschaft, kraft welcher sie sich verbanden: alle ihre guten Werke, Fasten, Gebete, Almosen und Messen u. dgl. gemein zu haben; item, wenn ein Abt oder Bruder, des einen Klosters abstirbt, solches alsogleich den andern zu melden, damit für denselben Seelenmessen und andere Gottesdienste gefeiert worden mögen; item , wenn ein Kloster oder Gotteshaus in Abgang oder Armuth gerathen, oder sonst unter sich selbst oder mit andern uneinig werden sollte, so sollen die andern verpflichtet sein, einen solchen verarmten Klosterbruder in ihren Convent aufzunehmen und wieder zu vereinbaren. 1) Diese zahlreiche Verbrüderungen und Unterstützungsverträge, welche durch den Geist und die Gesetzgebung der Kirche und Geistlichkeit wesentlich begründet und getragen waren, erzeugten unter den Geistlichen stets mehr und mehr das beruhigende und stolze Gefühl und Bewusstsein der Zusammengehörigkeit und Einheit, des Nichtverlassenseins und der Stärke; die maurerisehen Grosslogen haben damit vielleicht einigen Zusammenhang, gleichen aber diesen wirklichen und thätigen Verbrüderungen sehr wenig. Die heutigen Maurerlogen haben höchstens den Namen, aber nicht die Liebe Johannis, - sind keine coenobia hospitaliorum militum S. Joannis Jerosolomitani, sind keine Johannisjünger und Johannisritter in der heiligen Stadt und in dem heiligen Lande. Ausser den Johannitern übten im Mittelalter besonders die reichen Benedictiner die Gastlichkeit; so sagt z. B. der Bischof Ulrich von Constanz in einer Urkunde von 1351 von dem Kloster Pfävers, "quod monasterium Fabariense, in quo regularis viget observantia ac hospitalitas transeuntibus liberaliter exhibetur, multorum sit debitorum oneribus pregrauatum." 2) Durch eine Urkunde vom 20. November 1358 schlossen die beiden Benedictinerklöster Pfävers und Erlach im Kanton Bern "mutuam confraternitatem ratione exequiarum, ut scilicet reciproce exequiae celebrentur et religiosi aleantur, si quidam ex uno ad alterum monasterium transmit-




    1) Mohr, I. S. 26, Nr. 10.
    2) Mohr, Regesten, I. S. 32, Nr. 202.



tantur." 1) Die Uebung und die Sitte der Gastfreundschaft ist jedenfalls keine den Germanen eigenthümliche, sondern eine höchst alterthümliche und ächt orientalische, wie sie auch noch dermalen im Oriente, z. B. bei den Arabern, in seltenem Masse heilig gehalten wird. Daran reiht sich, dass sich noch heute die Beduinen in Aegypten z. B. gegenseitig mit "Mein Bruder!" 2) begrüssen und sich nach dem Befinden der verschiedenen Familienglieder und Hausthiere erkundigen. 3) Die Anrede: "Ihr Brüder!" scheint überhaupt in Aegypten die allgemein übliche zu sein 4) und kam vielleicht von hier mit den Klöstern, mit dem Christenthume nach dem Abendlande, wo man aber des orientalischen Ursprungs des Brudernamens sich nicht mehr erinnern will und in germanischer Kurzsichtigkeit Alles aus dem ächt germanischen Geiste als die ratio irrationell ableiten will. - Das Ritterthum mit der ritterlichen Liebes- und Heldenpoesie, die Baukunst mit den sich daran anschliessenden Hülfskünsten der Malerei, des Erzgusses, der Bildschnitzerei u. s. w. und die mit den Universitäten wiedererwachenden Wissenschaften sind die höchsten Geistesregungen und Geistesblüthen des Mittelalters und erscheinen für dieses in einem ganz andern Verhältnisse, Werthe und Lichte als für die Neuzeit, welche andere Interessen und Geistesrichtungen in den Vordergrund gestellt hat. Der Kampf und die Baukunst, die Ritter und die Bauleute stehen Jahrhunderte an der Spitze des thätigen, ringenden und schaffenden mittelalterlichen Lebens, durch welches fast alle übrigen Lebensrichtungen ausschliesslich bestimmt werden und wohin sie als zu ihrem Mittelpunkte zurückkehren; das Mittelalter endet, indem gleichzeitig den Rittern das Schwert und den Bauleuten die Kelle und der Hammer entsanken, - indem die fromme Begeisterung erstarb, welche die ritterlichen Kämpfe gerungen und die himmelragenden Kirchen gebauet hatte. Bei diesem überwiegenden Verhältnisse




    1) Moh r, I. S. 33, Nr. 220.
    2) Vergl. oben S. 198 ff.
    3) Brugsch, Reiseberichte aus Aegypten, S. 61.
    4) Brugsch, S. 80.



der Baukunst zur Zeit 1) bilden natürlich die Bauhütten und die in ihnen vereinigten Bauleute einen geistigen Höhepunkt, einen mächtigen geistigen Lebensstrom, einen bestimmenden Bestandtheil des allgemeinen Staats- und Volkslebens, welcher, wenn auch sich fort- und umgestaltend, mit den Staaten und Völkern selbst fortdauern muss. Noch wird gebauet, aber das Gebäude hat zur ganzen Menschheit sich erweitert und die Bausteine sind die freien Gedanken und die liebenden Herzen.

Die deutschen Bauhütten, 1) hervorgegangen aus der allgemeinen frommen Begeisterung und Hinneigung der Zeit zur Baukunst, bestanden als thätige und wirksame bis in das 15te Jahrh., wo allmählig andere Zeitstimmungen sich geltend machten und die neuere, kunstlosere Zeit begann. Der nationale (deutsche, französische, englische) Volksunterricht, das nationale Volksschulwesen , - die nationale (germanische, französisch-deutsche) Baukunst, - die kosmopolitischen oder universalen Bauhütten, - die zahlreich neu gegründeten Universitäten; - die ritterlichen, höfischen und meisterlichen oder bürgerlichen Dichter und Sänger, - die Ritter, Kaufleute, Handwerker und Künstler oder die Bürger entwickelten sich, blühten und zerfielen oder endigten im Wesentlichen und mit kaum zu verkennender Gleichmässigkeit vom 12ten bis zum 15ten Jahrhundert. Die deutschen Bauhütten geben zuletzt in der Neuzeit langsam, aber vollständig, auf und haben an dem Aufkommen und der Ausbreitung der heutigen Freimaurerei nicht den geringsten äussern Antheil, weshalb es auch keinen Werth hätte, ihre Geschichte noch genauer und weiter verfolgen zu wollen, und einfach auf die darüber handelnden Schriften von Krause, Heldmann, Fallou, Winzer, Keller, Findel u. s. f. verwiesen werden darf. Die deutschen Bauhütten enden als solche, ohne in eine andere Gestaltung überzugehen, nachdem durch sie und besonders durch die Schulen zu Cöln und Strassburg während des 13ten und im Anfange des 14ten Jahrh. der




    1) Vergl. auch Schnaase, IV. 1. S. 117 ff.
    2) Vergl. darüber auch Otte, Handbuch der kirchlichen Kunstarchäologie des Mittelalters, Lerpzig 1854, S. 166 - 176.



gothische Styl seine höchste, sogar wieder auf Frankreich zurückwirkende Ausbildung empfangen hatte. Nach Lübke, S. 453 und 457, scheint die deutschen Bauhütten eine strengere Zucht und Schule zu durchdringen, und der Dom zu Cöln durch die Lauterkeit, Folgerichtigkeit und Klarheit seines Styls bezeichne den höchsten Gipfel der gothischen Baukunst; die Ausführung athme bei höchstem Reichthum durchaus den Geist strenger Gresetzmässigkeit, keuseher Reinheit und hohen Adels; die Thürme seien einer der höchsten Triumphe architektonischer Conception; fern von dem entschiedenen Horizontalismus französischer Façaden bauen sie sich von unten in strengster Consequenz aus einzelnen verticalen Gliedern auf, entfalten ihre aufsteigende Tendenz in immer lebhafterem, rascherem Pulsiren, so dass zuletzt die hohen durchbrochenen Steinpyramiden den Sieg über die irdische Masse in stolzer Kühnheit himmelan tragen. - Auch Schnaase, V. S. 510, vergl. mit VI. S. 267, nennt, wenn er auch nicht das poetische Feuer Lübke's theilt, doch den Kölner Dom ein viel bedeutenderes Werk als die Dome von Strassburg und Freiburg, die höchste Leistung des gothischen Styls in Deutschland und vielleicht in allen andern Ländern. Otte, Gesch., S. 104, nennt den Kölner Dom das vollkommenste und wahrhaft klassische Beispiel des gothischen Baustyls nicht blos in Deutschland, sondern in dem ganzen Gebiete der mittelalterlichen Kirchenbaukunst. Die Veranlassung zu dem Neubau in Köln soll ein im Jahr 1248 stattgehabter Brand gegeben haben. Im J. 1257 wird ein Gerhardus als lapicida und Rector, Steinmetz und Obermeister des Dombaues urkundlich genannt, wie sich auch Petrus de Gemundia in zwei Inschriften im Chor zu Kollin 1360 und bei der Gründung des Prager Langhauses schlechtweg lapicida nennt. 1) Der Chor zu Cöln ist erst am 22. September 1322 eingeweiht worden. Aus einem Beschlusse des im J. 1327 zu Cöln abgehaltenen Diöcesancapitels erfährt man, dass sich eine eigene Petribruderschaft mit der Verpflichtung jährlicher Geld-




    1) Schnaase, VI. S. 309, Anm. ***.



beiträge für den Dombau gebildet hatte, welche im Jahr 1357 noch bestand und durch ihr ertheilte Privilegien aufgemuntert und unterstützt wurde. Aehnliche Dombauvereine haben wir in unsern Tagen wieder erstehen sehen. Der Neubau des Chores zu Cöln war im Wesentlichen eine Nachbildung des Chores der Kathedrale von Amiens, der später entworfene Bau ist jedoch anders und eigenthümlich grossartig, namentlich mit bedeutsamer Hervorhebung der Kreuzesform ausgeführt. Grueber zufolge soll Mathias von Arras bei der Entwerfung des Planes zu dem Dome St. Veit in Prag vornehmlich den Cölner Dom in Betracht gezogen haben, was jedoch Schnaase, VI. S. 310, Anm. **, nicht zugeben will und mehr auf französische Vorbilder, auf die Choranlagen der Kathedralen von Troyes und Tours, so wie von St. Ouen in Rouen abstellt. Die durchbrochenen Thürme zu Cöln, Strassburg, Wien und zwar am Stephansthurme wie bei der Kirche St. Maria am Gestade (Maria Stiegen), 1) Freiburg, Thann im Elsass, Frankfurt a. M., Esslingen, Landshut, Strassengel in Steiermark u. s. w. sind aber jedenfalls eine Erfindung und das schöne Eigenthum der deutschen Gothik. Ein Meister der Cölner Bauschule, Johann von Cöln, baute im J. 1450 die gothische Façade des Domes zu Burgos in Spanien, und namentlich auch die durchbrochenen gothisch-deutschen Thurmhelme oder Thurmspitzen scheint er nach Spanien verpflanzt zu haben. Denn solche findet man nicht allein an dem Dome zu Burgos, sondern auch an der Kathedrale zu Barcelona, woran bis in das J. 1448 gebaut wurde, - an der prachtvollen Karthause von Miraflores aus dem 15ten Jahrh., an der Klosterkirche zum h. Kreuz in Segovia und an der Kathedrale von Oviedo. In seinem ganzen Style schliesst sich aber besonders der im J. 1386 durch den sog. Meister Heinrich Arler von Gemünd begonnene grossartige, wenngleich weit weniger geschmackvolle Dom von Mailand an den Kölner Dom




    1) Schnaase, VI. S. 322. Ueber die Stephanskirche in Wien überhaupt vergl. auch Otte, Gesch., S. 124 ff. Die Spitze des Stephansthurmes wurde in den Jahren 1839 - 1842 erneuert.



an 1) und wir sehen demnach den Einfluss der deutschen, der rheinisch-deutschen Baukunst in Europa wenigstens auf dem Festlande seit dem 14ten Jahrh. überwiegen, wogegen die englische Baukunst ihre mehr besondern und französischen Wege ging. Möglich ist, obschon keine bestimmte Behauptung darüber aufgestellt werden kann und darf, dass auch bei dem Baue der durch ihren schönen und reinen gothischen Styl sich auszeichnenden Kirche des Klosters Batalha in Portugal, 2) welche im J. 1383 gegründet wurde, deutsche Baumeister mitgewirkt haben, da der Erbauer derselben, König Johann I., aus entfernten Ländern die berühmtesten Baumeister dazu berufen hatte und gleichzeitig deutsche Baumeister in dem benachbarten Spanien angetroffen werden. Nach dem Reiseberichte von Murphy, in Uebersetzung ausgezogen bei Krause, II. 2. S. 263 ff., wird in Portugal selbst auch gesagt, dass der Engländer Stephan Stephenson der Baumeister der Kirche zu Batalha sei. Zu Batalha wollte übrigens Krause, I. 2. S. 479 Anm., mit Morphy mancherlei maurerische Geheimnisse angedeutet finden: allein die dortigen geheimnissvollen Zeichen, welche Krause, Taf. III. Fig. 2, abbildlich mitgetheilt hat und daher leicht einer Prüfung unterworfen werden können, möchten blosse Steinmetzzeichen und keine Geheimschrift sein.

Im gothisch-deutschen und zwar rheinischen Uebergangsstyle ist auch die Stiftskirche zu Neuenburg gebauet, 3) und überhaupt scheint erst zu jener Zeit, gegen das Ende des 14ten Jahrh. der Kirchensteinbau in der Schweiz eingeführt worden zu sein, da von dem Äbte zu Pfävers im Rheinthale im J. 1386 erzählt wird: "ecclesiam extruxit saxis et lapidibus inusitatae magnitudinis." 4)

Ueber die Verbreitung des rheinischen Styles nach den innern Theilen Deutschlands seit dem Ende des 12ten Jahrh. gibt Schnaase, V. S. 461 ff., genauere Nachweisungen, woraus hervorgeht, dass schon etwa um das Jahr




    1) Lübke, S. 497.
    2) Symbolik, II. S. 371.
    3) Schnaase, V. S. 458.
    4) Mohr, Regesten, (des Klosters Pfäfers), I. S. 42, Nr. 291.



1330 die Tradition des romanischen Styles und der sich daran anlehnenden Localstyle der einzelnen Provinzen gründlich gebrochen gewesen sei. Zufolge Schnaase's Vermuthungen, V. S. 535 ff., denn sichere urkundliche Nachrichten sind nicht vorhanden, soll der vorgenannte Obermeister Gerhard den Plan zu dem Chore des Domes in Cöln verfertigt haben; nach seinem im J. 1302 eingetretenen Tode folgte ihm ein gewisser Arnold und diesem wieder sein Sohn Johannes, welcher seit 1308 als magister operis majoris oder als magister operis de summo (des hohen Chores), 1) seit 1319 aber als rector fabricae (Obermeister), mit mehreren andern Werkmeistern (magistri) zur Seite, angeführt wird. Er starb erst im J. 1330 oder 1331, war somit zur Zeit der Einweihung des Chores noch im Amte und ihm soll aller Wahrscheinlichkeit nach der Gesammtplan des Domes zuzuschreiben sein. In der ersten Hälfte des 14ten Jahrh. wurde jedenfalls der hohe Ruhm der kölnischen Bauhütte durch den bereits vollendeten herrlichen Domchor begründet und weithin getragen. Der grosse Petrarca, welcher im J. 1331 durch Cöln auf seiner Reise gekommen war, schrieb über die von dem Chorbau einpfangenen Eindrücke an den Cardinal Colonna: "Vidi templum arte media pulcherrimum, quamvis incompletum (wurde zur Weissagung), quod haud immerito summum vocant." 2) Trotz dieses frühen Aufblühens und Bekanntwerdens der Cölner und überhaupt der rheinischen Bauhütten meint aber dennoch Schnaase, V. S.468, die Mittheilung des gothischen Styles nach Deutschland und in Deutschland selbst sei nicht vermöge der Berührungen und des Verkehrs benachbarter Gegenden, sondern durch wandernde Bauleute geschehen, welche, zufällig oder schon durch den Ruf der französischen oder eigentlich Pariser Schule bestimmt und angezogen, sie an der Quelle kennen gelernt hatten und bei ihrer Rückkehr in das Vaterland das Erlernte mit grösserer oder geringerer abändernder Anpassung an deutsche Gewohnheiten zur Anwendung zu bringen suchten; schon die erste Spur eines




    1) Schnaase, V. S. 514, Anm. ***.
    2) Schnaase, V. S. 537, Anm. **.



solchen französischen Einflusses treffe man nicht am Rheine, sondern fern vom Rheine am Dome zu Magdeburg und an dessen im J. 1234 vollendetem Chore von fünf radianten Capellen; diese Choranlage sei besonders verwandt mit dem Chore der Kathedrale von Soissons. Die Mittheilung vermöge der Berührungen und des Verkehrs benachbarter Gegenden, vermöge der benachbarten und durch Meister und Gesellen mit einander in fortwährender lebendiger Verbindung stehenden Bauhütten ist aber im Allgemeinen glaubhafter, weil natürlicher und mit dem gesammten sonstigen Ausbreitungs- und Fortbewegungsgange der menschlichen Bildung in Uebereinstimmung stehender. Das erste Bemerken des gothischen Styles an Kirchenbauten fällt auch keineswegs vollständig zusammen mit der ersten Kenntniss des StvIes in diesen Gegenden, da man ihn sehr leicht schon längere Zeit vorher gekannt haben und blos wegen mangelnder Baugelegenheiten nicht zur Anwendung bringen konnte, obgleich allerdings in gewissem Sinne ein Baustyl nur verbreitet genannt werden darf, wenn darin gebauet wird. Die zwischen 1213 bis 1242 erbaute Stiftskirche St. Georg zu Limburg an der Lahn, welche in den Haupttheilen unzweifelhaft, und wie auch Schnaase dieses annimmt, von einem rheinischen Baumeister erbauet ist, beweist, dass dieser Baumeister schon zu jener Zeit den neuen französischen Styl und insonderheit die Kirche zu Noyon, worauf wahrscheinlich die Limburger Kirche hinweisen soll, sehr wohl gekannt habe. Der in den Jahren 1212 - 1227, wahrscheinlich auf noch vorhandenen römischen Grundmauern, aufgeführte Theil der Stiftskirche St. Gereon zu Cöln zeigt hier die ersten baulichen Spuren des französisch-gothischen Styls. Die Bauleute strömten und strömen zu allen Zeiten von selbst nach den Orten, wo man jetzt baute und bauet, weil sie nur hier Beschäftioung und Unterricht fanden und finden; erhielten und erhalten sie sodann Gelegenheit, im eigenen Lande zu bauen, wurde und wird von ihnen natürlich der Styl jener Orte als der neueste nach Thunlichkeit zur Ausführung und Anwendung gebracht, aus welchem Grunde nicht selten zwei beinahe gleichzeitige, d. h. zu derselben Zeit in Ausführung begriffene Kirchenbauten sich dennoch





vorbildend und nachbildend zu einander verhalten. Zu Trier, also Nordfrankreich benachbart, erscheint die im J. 1227 begonnene und 1243 beendete Liebfrauenkirche (oben S. 523) als der erste Bau im wirklichen deutschen gothischen Style 1) und zwar nach Schnaase, obgleich von französischen Vorbildern hergeleitet, schon bei seinem ersten Auftreten auf deutschem Boden mit voller Selbstständigkeit und mit tieferem Verständniss des Princips; der deutsche Geist behandelte ihn nicht als eine fremde, fertige Schöpfung, sondern als sein Eigenthum. Dieses glückliche und geistvolle Auftreten der deutschen, und wir möchten sagen, der rheinisch-deutschen Bauschule auf dem neuen Stylfelde beweiset, auf welcher allgemeinen Bildungshöhe dieselbe in den damaligen Zeiten gestanden. Die durch Mertens entdeckte Planähnlichkeit der Liebfrauenkirche zu Trier und der Stiftskirche St. Yved in Braine bei Soissons führt Schnaase auf die mögliche Vermuthung, dass auch schon die Choranlage der letztern Kirche das Werk eines deutschen, aber in französischer Schule gebildeten Meisters gewesen sei, der dann später dasselbe Motiv in reicherer Weise an der Liebfrauenkirche zu Trier anwandte. Nach Schnaase, V. S. 485, sind sodann von der Trierer Bauhütte viele Schüler ausgegangen, welche in näheren und entfernteren Gegenden die romanischen Bauten in gothische umbauten oder vollendeten, z. B. an der Klosterkirche zu Offenbach am Glan, in der Stiftskirche zu Carden, in der St. Martinskirche zu Münstermaifeld, zu Hirzenach zwischen Boppart und St. Goar, in der ehemaligen Dominikanerkirche zu Coblenz, an der Carmeliterkirche zu Creuznach; an allen diesen Bauten, die freilich nicht vor 1240 entstanden sein werden, sehe man den Einfluss der Liebfrauenkirche, wenn auch zum Theil noch in romanisirender Behandlung. Die Bauhütte von Trier führt den nordfranzösischen Baustyl in der selbstständigen deutschen Ausbildung gleichmässig nach dem Gebiete der Bauhütte von Cöln und derjenigen von Strassburg. Auch der Meister oder die Bauhütte, welche die St. Elisabethkirche zu Marburg von 1235 - 1283 baute,




    1) Schnaase, V. S. 476 ff.; Otte, S. 91 ff.



steht jedenfalls mit der Trierer Bauhütte in nähern Beziehungen, ohne dass jedoch derselbe Meister die Liebfrauenkirche und Elisabethkirche erbaut hätte. Die Elisabethkirche, welche durch Prof. Lange zu Marburg neuerlich wieder restaurirt werden sollte, 1) ist zugleich die erste deutsche Hallenkirche gothischen Styles 2) und die bei ihrem Baue gegründete Hütte wurde wieder für die umliegenden Gegenden eine sehr anregende und wirksame, wie damals gewöhnlich ein gelungener kirchlicher Neubau weithin der Aufruf zu ähnlichen Bauten war; eine thätige und sich rühmlich auszeichnende Mutterloge gründete, alsbald eine Reihe von Töchterlogen, könnte man in der heutigen Maurersprache sagen. An die Elisabethkirche zu Marburg schliessen sich in dieser Weise an die Marienkirche in Marburg selbst, die Kirchen zu Frankenberg, Grünberg, Alsfeld, Friedberg, Wetter, Wetzlar, Geisnidda, die Nicolai-Kapelle zu Ober-Marsberg, die Jacobikirche zu Lippstadt, der nördliche Kreuzarm des Domes zu Paderborn, der Chor der Pfarrkirche zu Hamm, endlich in Sachsen die Klosterkirche zu Nienburg an der Saale. 3)

In derselben selbstbewussten Vollkommenheit, mit welcher zu Trier der gothische Styl bei seinem ersten Erscheinen sich geltend gemacht hatte, wurde derselbe gleichzeitig auch an dem Dome zu Strassburg und an dem zu Freiburg in der zweiten Hälfte des 13ten Jahrh. am Oberrbeine zuerst zur Anwendung gebracht. Das Freiburger Münster, mit Ausnahme des Thurmes und des viel spätern Chores, wurde um 1272 und das Schiff des Domes zu Strassburg im J. 1275 vollendet. 4) Die deutschen Bauhütten von Strassburg und Freiburg müssen demnach wenigstens seit der Mitte des 13ten Jahrh. geblüht haben. Das niederrheinische Gebiet, die Diöcesen von Mainz und Cöln, scheinen sich der von Trier und von Strassburg heranwogenden gothischen Bewegung zuletzt angeschlossen zu haben, indem in diesen Gegenden bis




    1) Deutsches KunstbIatt, 1854, S. 348.
    2) Otte, a. a. O., S. 14.
    3) Vergl. auch Otte, S. 133 ff.
    4) Schnaase, V. S. 501 und VI. S. 253; Otte, S. 111 ff.



zum J. 1248 die einzige Kirche des Cistercienserklosters Marienstatt (Locus Mariae) als einen entschiedenen gothischen und zugleich von der Trierer Schule unabhängigen Bau Schnaase, V. S. 498, zu nennen weiss. Nach Freiburg war gewiss aus der nahen Strassburger Bauhütto, der gothische Styl hinübergedrungen und daher dort gewissermassen urplötzlich mitten in dem begonnenen romanischen Bau an dem Langhause angewandt worden, wie es ähnlich zu Strassburg selbst geschehen war. 1) Das Langhaus des Freiburger Münsters ist dem des Strassburger überaus ähnlich; wahrscheinlich hat der Meister von Strassburg oder einer seiner fähigsten Schüler auch einzelne Theile des Freiburger Domes ausgeführt, da dererste gothische Baumeister diesem Style nicht vollkommen gewachsen war. Zu Strassburg wurde im J. 1277 der Bau der Façade Erwin von Steinbach, welcher schon bei der Vollendung des Langhauses mitgewirkt zu haben scheint, übertragen; der Plan zu dem Façadenbau war nicht von ihm entworfen. Dagegen hält es Schnaase, VI. S. 253, nicht für unwahrscheinlich, dass Erwin von Steinbach den noch vorhandenen nicht zur Ausführung gekommenen Riss des Thurmes zu Strassburg entworfen und auch bei der Ausführung des bald nach dem J. 1300 vollendeten und in Deutschland schönsten und frühesten Freiburger Thurmes mitgewirkt habe; die Erfindung des durchbrochenen Thurmhelmes wäre demnach Erwin zuzuschreiben, würde den Bauschulen von Strassburg und Freiburg gemeinsam angehören. Der Freiburger Thurm wurde daher auch das Vorbild der weitern deutschen Thurmbauten, namentlich derjenigen von Cöln und Ulm. Neben der Bauhätte zu Strassburg scheint damals zu Colmar eine selbstständige Bauhütte geblüht zu haben, welche das Münster zu Colmar wie die Hauptkirche zu Schlettstadt erbaute. Ein Sohn Erwin's von Steinbach 2) soll aber die Kirche zu Haslach bei Strassburg




    1) Schnaase, V. S. 503 ff.
    2) Auch von der Sabina, als einer Tochter Erwin's, spricht Schnaase, V. S. 761, und neuerlichst Otte, S. 158; ebenso noch Lübke, die Frauen in der Kunstgesch., Stuttgart 1862, S. 6, und