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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d I. - Kapitel XXII.



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Die unterscheidenden Grundgedanken des Lehrlings-, des Gesellen- und des Meistergrades.

Soll die Maurerei nicht, wie sie einst unser Br. König Friedrich der Grosse von Preussen nannte, nur das Spiel grosser Kinder sein, sondern sich als die würdige Aufgabe denkender Männer darstellen, so muss in allen maurerischen Formen und Gebräuchen auch ein tieferer Gedanke enthalten sein. Der wahre Meistermaurer ist nicht Derjenige, welcher die Meisterschürze trägt, wohl aber wer mit hellem Blicke eingedrungen ist in den Geist der Maurerei und ihr schönes Gebäude als ein organisches begreift. Wenn die Maurer wirkliche Meister heissen wollen, - wenn die drei sog. symbolischen oder Johannisgrade des Lehrlings, des Gesellen und des Meisters vor dem Verstande, vor dem denkenden Menschen als gerechtfertigt erscheinen sollen, muss es den Maurern möglich sein, nachzuweisen, dass jedem dieser drei Grade ein wesentlich verschiedener Grundgedanke unterliege, durch jeden eine andere Idee verwirklicht werden solle, und dass es die drei Grade des Lehrlings, des Gesellen und des Meisters nur desshalb




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gebe, weil solches eine logische oder geistige Nothwendigkeit ist. Die drei Johannisgrade sind nur der Versuch einer Beantwortung der drei grossen und inhaltsschweren Fragen, welche der in die Welt, in die Schöpfung eintretende Mensch, der neugeschaffene oder erste Mensch an die Welt und sich selbst unausweichlich richten wird und muss. Die drei Johannisgrade sind die belehrenden und schützenden Führer und Begleiter des Menschen von seinem ersten Eintritte in die Welt und in das Leben bis zum Scheiden aus demselben, von der Wiege bis zum Sarge, und sie verhalten sich in ähnlicher Weise, wie die 7 Sacramente der katholischen Kirche, welche mit der Taufe den neugebornen Menschen empfängt, in jedem entscheidenden Augenblicke des Lebens ihm weihend zur Seite steht und ihn endlich mit der letzten Oelung zum Tode stärkt.

Dem aufmerksamen Maurer kann es nicht entgehen, dass die Lehrlingsaufnahme, das Wandern des Lehrlings aus der anfänglichen Finsterniss in das helle Licht der Loge vor den Meister vom Stuhl, der den herrschenden Hammer führt und über welchem die Sonne, der Mond und die Sterne leuchten, nur die symbolische Einführung in das Weltall, nur das erste Erblicken des im ewigen Lichte thronenden Schöpfers und seiner unendlichen Schöpfung sei. Ist die Binde von dem Auge des ersten Menschen, des Lehrlings gefallen, und sieht er die Sonne, den Mond und das Sternenheer ihre vorgeschriebenen Bahnen ziehen, - vernimmt sein Ohr das Tönen der himmlischen Sphären, dann wird erstaunt er fragen: "Wer, hat diese Welt, die Sonne, den Mond und dazu die ungezählten Sterne erschaffen und wann und wie?" Die Maurerei antwortet hierauf durch das Symbol der Lehrlingsaufnahme: "Gott ist der allmächtige Schöpfer und Baumeister der Welt; im Anfange war die Finsterniss und Gott sprach, es werde Licht und es ward Licht." - Die Weltschöpfung, die Lichtwerdung durch Gottes Wort und Allmacht ist der Inhalt der Lehrlingsaufnahme, wird durch sie symbolisch dargestellt. Der Lehrlingsgrad ist die Lehre von Gott als dem Schöpfer, Erhalter und Beherrscher des Weltalls, ist die Gottlehre oder Theologie, die Welt-




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schöpfungslehre oder Kosmogonie, die Lichtlehre, das Licht.

Hat der in der Schöpfung oder auf der Erde angekommene erste Mensch, der Lehrling den Gedanken erfasst, dass Ein ewiger Gott sei, welcher Himmel und Erde geschaffen habe, wird er bald weiter denken und fragen, wer er denn selbst sei und was er thun und erstreben, wie er leben solle. Mit dieser zweiten Frage wird der Lehrling zum thätigen Gesellen und die Maurerei ruft unter Vorhaltung des Spiegels und mit Darreichung des Winkelmasses ihm zu: "Erkenne dich selbst und deine Gebrechen, um dich selbst nach dem Winkelmasse durch ein rechtes Denken, Reden und Handeln zu vervollkommnen , - lerne leben, baue dich selbst zu einem Tempel der Menschheit und der Gottheit." Hat die Maurerei den Lehrling vor Gott und in die Welt geleitet, führt sie den Gesellen vor und in sich selbst. Der Maurergeselle empfängt zu dem Lichte des Lehrlings, zu dem Glauben an Gott die Selbsterkenntniss, die Lebenslehre, die Lebens- und Baukunst, das Winkelmass, das Gesetz. Verkündet der Lehrlingsgrad, dass Gott allein Alles, was da ist, da war und da sein wird, gebauet habe, lehret in verwandtem Sinne der Gesellengrad, dass der Mensch allein der Schöpfer, der Baumeister seines Lebens sei, dass nur er je nach dem Gebrauche des rechten Masses in Gedanken, Worten und Werken sein Glück und Unglück gründe, - dass das Gute belohnt und das Böse bestraft werde. Gott ist der Baumeister der grossen Welt, der Maurergeselle ist der Baumeister der kleinen Welt, seiner selbst und der Menschheit. In dem Lehrlingsgrade wird die himmlische, in dem Gesellengrade die menschliche Baukunst offenbart. Das Gebot, dass der Maurer an Gott, an das ewige Licht glauben solle, wird in dem Gesellengrade zu dem Gebote, ein lichtvolles, ein Gott wohlgefälliges Leben zu leben, gottähnlich oder Licht zu werden. Der Lehrlingsgrad ist die Lehre von der göttlichen, der Gesellengrad von der menschlichen Lichtwerdung; das Licht Gottes aber und des Menschen ist der Geist, das Wort, die That.

Sind die Gesellen fleissige Baumeister geworden und haben sie unermüdlich fortgebauet an dem Lichttempel




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der Menschheit und der Gottheit, wird die endliche Frage gewiss nicht ausbleiben: "Was ist das Ziel, das Ende unseres Bauens und unserer Mühen?" Jetzt ist der milde Geselle an der Pforte der Meisterloge angelangt und aus ihr erhält er auf seine Frage die dumpfe Antwort: "Memento mori; du wirst sterben, dein Ziel ist das Grab!" Dass die höchste Maurerei, die königlichste Kunst nicht die Kunst des Lebens, sondern die Kunst des Leidens und Sterbens sei, erfährt in seinem Sarkophage der Maurermeister und wohl ihm, wenn er diese schwere Meisterschaft sich errungen und leiden und sterben gelernt hat. Die Maurerei in ihrer tiefsten Bedeutung ist also die Lehre vom Tode, die Kunst des Duldens und Sterbens und Hiram ist hierin unser Lehrer, unser Vorbild. Das menschliche Leben wird von der Maurerei, wie in vielen Religionen des Alterthums, wie besonders in den Mysterien von Samothrace, von Aegypten, von Eleusis und selbst in der christlichen Religion, als eine erhabene Tragödie betrachtet und die Meisteraufnahme soll die symbolische Darstellung derselben sein. Die Meisteraufnahme ist die Gedächtnissfeier des Leidens und Sterbens des treuen Meisters Hiram. Gleich Hiram soll der Maurer in treuer Erfüllung seiner Pflichten und in unverbrüchlicher Bewahrung der ihm anvertrauten Geheimnisse sterben und sich die Meisterschaft, den Lohn durch das Opfer seines Lebens verdienen. Der Mauermeister ist allein der Geselle, welcher für seine Pflicht stirbt, welcher durch ein rechtes Leben in den Tod eingeht, welcher gleich einem siegreichen Helden die Schrecken des Todes überwunden hat. Der Maurergeselle lebte und baute, um den Tod nicht zu fürchten, um ruhig in das Grab steigen zu dürfen; der Tod des Maurergesellen ist seine schönste That, sein ruhmreicher Sieg. Auf dem Grabe des recht gestorbenen, des in die Meisterschaft eingegangenen Maurergesellen bleibt das Winkelmass, die gute That, das Licht zurück, und wenn die zurückgebliebenen BBr. jemals das Grab, den Leichnam des erschlagenen Meisters suchen und finden sollen, müssen sie es an dem davon ausgehenden Lichte entdecken. Vergessen die Maurer daher niemals das Winkelmass, die Tugend, das Licht, damit es als leuchtendes und schützendes Denk-




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mal den suchenden BBr. die Stelle des Grabes bezeichne; schlafen sie im Tode unter ihren guten Werken und ihr Leben erhalte die Todten. Wie früher die Klostermönche, wenn sie sich in der Einsamkeit begegneten, sich mit "Memento mori!" begrüßten, um sich an die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens und aller menschlichen Dinge zu erinnern, sollten die Meistermaurer mit demselben Grusse sich mahnen, dass man durch ein rechtes Leben auf den Tod sich vorbereiten, sich das Grab des ewigen Lebens, das Grab der Auferstehung graben solle.

Die Maurerei der drei Johannisgrade, die symbolische Maurerei ist nunmehr die Kunst, in dem Glauben an Gott, nach dem Winkelmasse zu leben und zu sterben, - die Kunst, lichtvoll zu glauben, lichtvoll zu leben und lichtvoll zu sterben, - die göttliche Führerin, die Leuchte durch das Leben in das Grab. Dass Ein Gott sei und dieser Gott der Führer und die Hoffnung des Menschen im Leben und im Tod sein solle, ist der dreifache und doch innig verbundene Gegenstand des Lehrlings-, des Gesellen- und des Meistergrades. Der Lehrling soll an Gott glauben, der Geselle sich selbst erkennen und nach dem Gebote Gottes sich vervollkommnen, leben - der Meister aber im Vertrauen auf Gott sterben. Den Lehrling, den Gesellen und den Meister führet Gott, das Licht, in den ewigen Osten. Dem Lehrlinge wird das Licht ertheilt, damit er Gott und seine Welten erschaue und anbete; dem Gesellen wird das Winkelmass, das sittliche Gesetz gegeben, um sich selbst zu vervollkommnen und gottähnlich zu werden: den Meister trifft der Todesstreich, weil er in seiner Pflicht nicht wankt und das heilige Wort nicht an Uneingeweihte verrathen will. Das verlorne Wort des Meisters im tiefern und eigentlichen Sinne ist nur das fest bewahrte und verschwiegene Wort, welches mit dem Meister in die Gruft versenkt werden musste; wir dürfen hoffen, das Wort wieder zu finden, weil es im treuen Herzen des Meisters eingeschlossen ist. Das heilige Wort, welches dem Meister die blutigsten Leiden nicht rauben konnten und an dem er sterbend unerschüttert festhielt, kann nur der Glaube an Gott, das Wort und der Geist Gottes, Gott selbst sein und der Meister stirbt also, indem




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er nicht von Gott weicht und sich von dem Bösen nicht umstricken lässt. Vor dem Grabe kann dem Meister nicht grauen, denn er hat gethan, was er gesollt, er schwieg, duldete und starb; das heilige Wort, er hat es mit sich fortgenommen und nur in dem Grabe und jenseits desselben vermag es wieder gefunden zu werden. Der göttliche Geist, das Wort Gottes überdauert das Grab und lebt unsterblich fort. Die letzte und höchste Lehre der Maurerei, das verlorne und wiederzufindende Wort des Meisters ist der Glaube an die Unsterblichkeit, an die Auferstehung aus dem Grabe, an das ewige Leben. Das Meisterwort, welches aus dem Grabe sich erheben und wieder gefunden werden wird, ist die unsterbliche Seele, der Geist, das Licht. Endlich nun ist uns die symbolische Maurerei die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, von dem ewigen Lichte. Dieses ewige Licht suchen die Maurer aller drei Grade und hoffen zu Gott, dass die im rühmlichen Tode ihnen vorausgegangenen BBr. es gefunden haben.

Br. Salis möge diese Betrachtungen mit seinem herrlichen Gedichte "das Grab" schliessen:

Das Grab ist tief und stille
Und schauderhaft sein Rand.
Es deckt mit schwarzer Hülle
Ein unbekanntes Land.

Das Lied der Nachtigallen
Tönt nicht in seinem Schooss.
Der Freundschaft Rosen fallen
Nur auf des Hügels Moos.

Verlassne Bräute ringen
Umsonst die Hände wund;
Der Waise klagen dringen
Nicht in der Tiefe Grund.

Doch sonst an keinem Orte
Wohnt die ersehnte Ruh;
Nur durch die dunkle Pforte
Geht man der Heimath zu.

Das arme Herz, hienieden
Von manchem Sturm bewegt,
Erlangt den wahren Frieden
Nur wo es nicht mehr schlägt.