internetloge.de - internetloge.org - Hamburg, Deutschland -
Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d I. - Kapitel XXVII.



Seite 392


Der Osten.

Die Lichtgläubigen und Lichtsuchenden mussten nothwendig und vor Allem den Blick nach Osten richten, denn aus Osten kam ja nach der dunkelsten Nacht mit jedem




Seite 393


Morgen herrlich strahlend, allerleuchtend und allbeglückend, von allen Leiden und allen Sorgen erlösend und befreiend (scheinbar) das Licht. Der Osten wurde daher von selbst zur Wohnung des irdischen Lichtes und zum Symbole des himmlischen und göttlichen Lichtes; wer das Licht suchte, wer nach Gott verlangte und zu Gott betete, wandte sich suchend und flehend nach Osten, und wer endlich das Licht gefunden, in den Himmel und zu Gott eingegangen war, war in den ewigen Osten eingegangen. Der niemals ausbleibende schönere Wiederaufgang der am Abend untergegangenen Sonne war den Menschen die Bürgschaft und das Symbol der eigenen Wiederauferstehung aus dem Grabe, des geistigen Wiederauferstehungsmorgens, der Unsterblichkeit des göttlichen Lichtes und Geistes. Die ganze Lehre der Parsen von der Wiederauferstehung der Todten, welche Lehre von den Parsen auch die Juden und durch sie die Christen angenommen haben, ist blos eine Vergeistigung des scheinbaren Wiederaufganges der Sonne, die Uebertragung des Wiederaufganges der irdischen Sonne von der Erde auf den Himmel, die Gleichstellung des irdischen und des göttlichen Lichtes. Noch eine weit grössere Bedeutung gewann der Osten, die schöne Morgenröthe, sobald die Sonne bei einzelnen Völkern nicht blos das Auge und das Symbol der Gottheit war, sondern als die Gottheit selbst gedacht und geglaubt wurde; nunmehr wurden die ersten Sonnenstrahlen des kommenden Morgens und noch mehr die Morgenröthe selbst zu göttlichen Personen, zu Gottheiten gestaltet. So ist z. B. die lateinische oder vielmehr die sabinische Aurora nichts Anderes als die aufgehende Sonne, Sol oriens, der Osten, ein auf die sabinische Wurzel aus, sanskt. ush. lat. uro, welche zugleich brennen und leuchten bedeutet, zurückweisendes Wort, das bei den Sabinern ausel lautete, daher der Geschlechtsname der Auseli, bei den Etruskern der Lichtgott Usil, und in den alten Saliarischen Liedern zu Rom die Anrufung Ozeul adosiose d. i. Sol venerande. 1)

Eben dasselbe ist oder zur gleichen Wurzel gehört das griechische , welches gleichfalls das Morgenroth,




1) Preller, röm. Mythologie, S. 287.



Seite 394


den Morgen, den Osten und die Göttin des Morgenroths bezeichnet. 1)

Auch die deutsche Göttin Ostara, nach welcher bei Eginhard der April Ostarmânoth hiess und von der das christliche Osterfest, das Fest der Wiederauferstehung des Herrn seinen Namen trägt, ist nur die Göttin des aufsteigenden Lichtes, der Morgenröthe des Tages und des Jahres, des Frühlings, denn ostar (ostwärts) bezeichnet die Richtung gegen Morgen oder Osten. 2) Wie die Ostara der Erde das Licht und das neue Leben, den Frühling und die Blumen brachte, so brachte der sterbende und der wiederauferstehende Christus den an ihn glaubenden Menschen das Licht und das neue Leben, den ewigen geistigen Frühling, die Liebe und Barmherzigkeit Gottes. Creuzer, Symbolik lV, S. 595 sagt: "Ostern ist der Frühling der Welt und der Frühling des Geistes, der sichtbare Frühling und der unsichtbare." Deshalb wird auch noch heute in den katholischen Kirchen an dem Osterfeste die neue grosse Osterkerze geweiht, entzündet und gebrannt als das Symbol des neuen Lichtes, welches mit Christus und seiner Lehre in seine Kirche und in die Welt gekommen. Diese Osterkerze ist nur an die StelIe der Feuer getreten, welche der zurückgekehrten Ostara, Schiller's Mädchen aus der Fremde, auf den Bergen die alten Germanen freudig brannten und theilweise noch heute, besonders an der ganzen Nordsee gebrannt zu werden pflegen. 3) Diese Osterfeuer mussten wohl ursprünglich, wie besonders auch die Johannisfeuer und überhaupt die sogenannten Nothfeuer der alten Germanen, wie das erloschene Feuer der Vesta zu Rom 4) und das Feuer des peruanischen Sonnengottes, 5) - das erloschene ewige Feuer des




1) Preller, griech. Mythologie, I. S. 299.
2) Simrok, deutsche Mythol., S. 407; Quitzmann, die heidnische Religion der Baiwaren, S. 129 ff.; Hocker, die Stammsagen der Hohenzollern und Welfen, S. 129 ff.; Mühlhause, Urreligion der alten Deutschen, S. 144 ff.
3) Kuhn, die Herabkunft des Feuers, S. 43 ff.; Hocker, die Stammsagen, S. 130 u. 131, S. 133.
4) Preller, röm. Mythol., S. 542.
5) Apostelgeschichte des Geistes, II. S. 29.



Seite 395


Perkunos der Preussen und Wenden zu Romove, 1) wie die heiligen Feuer der Parsen, durch reines, durch irdischen Gebrauch noch nicht verunreinigtes und entweihtes Feuer, mit einem Metallspiegel, durch Reibung zweier Hölzer oder aus einem Steine mit einem Stahle, entzündet Werden, wie auf diese Weise ursprünglich auch in der katholischen Kirche selbst das Feuer gewonnen wurde und noch wird, um mit diesem reinen Feuer die neue Osterkerze (cereus paschalis), die hernach das Jahr über bei jedem Hauptgottesdienste brennen musste, zu entzünden und an dieser wieder die gelöschten Privatfeuer entzünden zu können. So theilt Lexer aus Kärnten mit, dass man am Ostersonntage im Hause alles Feuer ausgehen lasse und frisches hineintrage von jenem, welches vom Pfarrer auf dem Kirchhofe geweiht und mittelst Stahl und Stein hervorgebracht wurde. Auch in einigen Gegenden Baierns war es bis auf die jüngste Zeit Gebrauch, dass man alle Herdfeuer des Dorfes löschte und jeder Hausvater sich von dem auf dem Kirchhofe entzündeten und geweihten Osterfeuer die neue Herdflamme holte. 2) In gleicher Weise berichtet Leoprechting, dass das Charsamstagsfeuer mit Stahl und Stein, nie mit Schwefelspahn auf dem Kirchhof angezündet werde; jedes Haus bringt dazu einen Scheit, einen Astprügel von einem Wallnussbaum, welcher beim Feuer auf das Herdfeuer gelegt zur Abwehr des Blitzschlages dient. Wolf (Beiträge II. S. 389) sagt, dass diese Sitte bereits im 11. Jahrhundert auf den Samstag vor Ostern beschränkt worden sei, an welchem noch heute in der ganzen katholischen Kirche Feuer aus einem Kieselstein geschlagen und geweiht werde. 3) Soweit ich mich aus meiner in Rheinbaiern verlebten Jugend erinnere, wird es dort in den katholischen Kirchen namentlich noch ebenso gehalten; 4) in das Feuer wird zu-




1) Mühlhause, a. a. O., S. 154.
2) Quitzmann, die heidnische Religion der Baiwaren, S. 272.
3) Kuhn, a. a. O., S. 44, Quitzmann, a. a. O., S. 272.
4) Ueber die übereinstimmenden Gebräuche des Osterfeuers in Hessen vergl. Mühlhause, die Urreligion des deutschen Volkes, S. 49 ff. In Hessen pflegen am Ostersamstage die Bauern, namentlich auch Krüge mit Wasser weihen zu lassen, welches dann von ihnen zu religiösen Heilzwecken und zum Besprengen beim Morgenund Abendgebet verwandt wird.



Seite 396


gleich das vom vorigen Jahre noch übrige heilige Oel gegossen und nun gleichfalls neues heiliges Oel geweiht; die nicht verbrannten Holzstücke nehmen die Bauern mit sich nach Hause, um sie als geweihte und heilige Schutzmittel aufzubewahren. Die Osterkerze der katholischen Kirche ist ferner dasselbe Symbol wie der Julblock in England, ein grosser Holzklotz, welcher in den einzelnen Häusern angezündet wird und, so lange die heiligen Tage dauern, Tag und Nacht glühen muss, aber es muss ein unverbranntes Stück davon übrig bleiben, um damit den Julblock im nächsten Jahre anzuzünden. 1) Von dem englischen Julblock finden sich auch Spuren in Deutschland, besonders in Hessen, indem an einzelnen Orten vom Christvorabend bis zum Abend des folgenden Tages ein Holzklotz, der Christklotz angebrannt wird, um später beim Herannahen eines Gewitters wieder angezündet zu werden. 2) Die Osterkerze und der Julblock symbolisiren die ewig sich verjüngende und niemals ersterbende Sonnen- und Naturkraft, das ewige Licht, den Baum des ewigen Lebens. Dieser Lebensbaum ist auch der deutsche Christbaum, aufgestellt in einem umhegten grünen Moosgärtchen mit frisch brennenden Lichtern und goldenen Früchten und umlagert von weissen Schäfchen mit goldenen Fahnen; der Christbaum ist das treueste Symbol des Baumes des Lebens, welchen Gott für den Menschen in den Garten Edens gepflanzt hatte. 3) Ebenso wurden früher bei den Römern. bei der Frühlings- und Neujahrsfeier an den Kalenden des Monats Merz das Feuer der Vesta neu entzündet, auch die Thüren der Regia und des Vestatempels, wie der Curien und der Flamines mit frischem Lorbeer bekränzt. 4) Damit ist in Deutschland und in der Schweiz verwandt, an den Thüren oder Fenstern der Weinschenken einen frischen grünen Zweig aufzustecken, zum Zeichen, dass




1) Menzel, Odin, S. 29.
2) Mühlhause, die Urreligion des deutschen Volkes in hessischen Sitten, Sagen u. s. w., S. 74 u. 149 ff.
3) Mühlhause, a. a. O., S. 77 ff.
4) Preller, röm. Mythol., S. 319.



Seite 397


neuer Wein ausgewirtet werde. Auch auf der Insel Lemnos wurde jährlich einmal ein neues und reineres Feuer von dem Sonneneilande Delos geholt und in alle Häuser und Werkstätten vertheilt.1) Die Osterblumen, die Blumen der Ostara, der Eastre bei einigen Stämmen, und des Frühlings sind die ersten blühenden Früblingsblumen, besonders das so sinnvolle, roth und weissgefärbte Gänseblümchen (cultivirt unter dem Namen Tausendschön), die auf sonnigen Höhen wachsende Küchenschelle und die gelbe Lilie, vielleicht auch das Maiblümchen, obwohl dieses erst etwas später blüht. Das rothe oder auch gelbe Osterkälbchen, Marienkäferchen, Herrgottsvögelchen und der Osterluzeifalter, ein Tagschmetterling, wohl der kleine Fuchs, welche in den ersten Tagen des Frühlings erscheinen, waren der Ostara geheiliget; viele Kinderlieder und Kinderspiele, welche sich auf das Herrgottvögelein als das Symbol der Sonne und der Sonnengöttin beziehen, hat Mannhardt in seinen germanischen Mythen mitgetheilt. Die geweihten Osterwasser oder die in der Osternacht zwischen 11 und 12 Uhr schweigend aus heiligen Quellen,. Flüssen und Teichen geschöpften Wasser 2) für Menschen und Thiere heilkräftig zu halten, lag darum nahe, weil die im Frühling mit neuer Kraft wieder fliessenden Wasser als ein unmittelbares Geschenk der Gottheit, der Ostara erschienen; es war frisches göttliches Wasser und ohnehin hat das Wasser an und für sich und noch mehr gewisser besonderer Quellen bestimmte heilende Kräfte. Es war der fromme und allgemeine Glaube des Alterthums, alles wohlthätige Schaffen und Wirken der Natur als ein Schaffen und Wirken der Götter anzusehen. Die Eier, welche zu Ostern ungekocht und ungefärbt fast alle Pfarrherren in Deutschland in grosser Anzahl zu empfangen pflegen, sind vermuthlich die Ueberreste eines alten ähnlichen Opfers, welches der Ostara oder ihren Priestern einst dargebracht wurde. Die gefärbten Ostereier und die gebackenen grossen Osterhasen, womit durch ganz Deutschland, vorzüglich auch am Rheine, die Kinder




1) Preller, a. a. O., S. 542.
2) Mühlhause, a. a. O., S. 155 ff.



Seite 398


noch jetzt zur Osterzeit von den Eltern, Verwandten und Freunden, gleichwie zur Zeit der Weihnacht mit dem Christbaume, beschenkt zu werden pflegen, sind gleichfalls Symbole des nun wieder neu beginnenden Sonnen- und Naturlebens, des angebrochenen Jahresmorgens oder Frühlings, der Ostara, - nach Hocker, a. a. O., S. 134, der Freia, der griechischen Aphrodite, der ägyptischen Hathor, der asiatischen Venus unter ihren verschiedenen Benennungen, - der Frühlingssonne mit den duftenden weissen Maiblümchen als ihrem Symbole und dem gross und stark machenden Mairegen. Die Germanen mochten die Osterfeier, das Frühlingsfest, mag dieses nun nach der Natur und Beschaffenheit der verschiedenen, bald wärmeren und bald kälteren Länder im Monat März, April oder Mai begangen werden, aus ihrer Urheimath in Hochasien mitgebracht haben, oder diese schon bei dem indogermanischen Volksstamme vor seinem Auseinandergehen in verschiedene Völker üblich gewesen sein, denn auch die Parsen hatten die Sitte, am Frühlingsfeste, an ihrem Neuruz oder Neujahrstage rothe Eier auszutheilen. 1) Um dieselbe Zeit begehen die Hindu und Birmanen ihr grosses Frühlingsfest mit Beleuchtungen, indem sie sich mit rothgefärbtem Wasser als Nachahmung der Frühlingsblumen anspritzen und durchnässen. Nach dem Berichte von Görtz, Reise um die Welt, III. S. 563, bewerfen sich zu Agra die Hindus an dem Frühlingsfeste des Hoolie von unten bis oben mit rothem Sand. Die Slaven stellten ebenfalls an ihrem Frühlingsfeste Letnice Maibäume auf, wobei gefärbte Eier eine wichtige Rolle spielen. 2) Am Mittelrheine, namentlich auch in Rheinbaiern, werden noch heute die Maibäume von den Bauernburschen mit weissen ausgeblasenen, zuweilen vergoldeten Eiern, mit Blumen und farbigen Bändern geschmückt 3) welcher Schmuck von den Maibäumen auch auf den Erntekranz 4) und die Kirchweihbäume, die Kirmessbäume übertragen worden ist.




1) Schwartz, Ursprung der Mythol., S. 229.
2) Hocker, Stammsagen, S. 139.
3) Vergl. auch Hocker, a. a. O., S. 136 ff.
4) Mühlhause, a. a. O., S. 293.



Seite 399


Am Rheine pflegen die Ostereier vorzüglich roth oder gelb gefärbt zu sein, welche Farben gleichmässig auf die zurückkehrende Sonne, auf die rosenarmige und rosenfingerige 1) Morgenröthe oder Ostara, und auf den Blitz mit der Gewitterwolke (den Gewitterhasen) bezogen werden können, auch an die goldenen Aepfel Idunens und der Hesperiden erinnern. Man verbirgt am Rheine in dem ersten grünen Grase oder in den ersten blühenden Blumen die zu verschenkenden Eier, worauf dann die Kinder dieselben jubelnd aufsuchen und finden. In Hessen werden die Eier auch zusammen in ein mit Spähnen (den Blitzspähnen) umzäuntes, mit Moos und Heu ausgefülltes Gärtchen gelegt, welches Tags zuvor von den Kindern gemacht worden, das "Hasengärtchen" heisst und an das verwandte Christgärtchen erinnert. 2) Die Eier soll der Osterhase gelegt haben, und deshalb wird öfters, besonders in Rheinbaiern, dem Geschenke der Eier ein grosser gebackener Hase beigefügt, wie solche Hasen blos zur Osterzeit gebacken werden. In dem Backwerke und den Speisen der verschiedenen deutschen Jahresfeste ist überhaupt sehr viele uralte Symbolik enthalten. 3) Man erinnere sich z. B. noch der verschiedenartigen Geschenke, welche das Christkindlein mitbringt oder womit zur heiligen Weihnachtszeit die Kinder von Seite der Verwandten und Bekannten beschenkt und erfreuet werden und worunter das eigenthümliche Backwerk, die Lebkuchen (in der Schweiz Leckerli), die Bubenschenkel, Krapfen u. s. w. gerade den.Hauptbestand bilden. In den heidnischen Zeiten wurde dieses Backwerk von den Frauen an heiliger Stätte zubereitet und dann von der Familie in gemeinsamem Mahle verzehrt. In Schweden herrscht noch jetzt unter den niedern Volksklassen die Sitte, am ersten Weihnachtsabend einen aus Mehl bereiteten Eber, den Juleber (jule-galt) als Symbol des Sonnengottes Frô auf den Tisch zu bringen und unter einem gewissen Aber-




1) Preller, griech. Mythol., I. S. 299.
2) Vergl. Mühlhause, a. a. O., S. 158.
3) Vgl. Quitzmann, die heidnische Religion der Baiwaren, S. 248 u. 49.



Seite 400


glauben zu verzehren. In Hessen wird an grösseren Orten am zweiten oder dritten Weihnachtsabend getanzt, wobei "Schottriebel," d. i. eine Mischung von Branntwein und Honigkuchen genossen wird. 1) Zur Erntezeit werden in Baiern auch Gebäcke in Schweinsgestalt aufgetischt und am Allerseelentage wird daselbst von den Pathen den Kindern der gebackene Seelenzopf oder Seelenweck, Zellazopf geschenkt, welcher auch anderwärts in Deutschland vorkommt und den Quitzmann S. 249 für eine in alter Zeit der Frau Holla dargebrachte Opfergabe erkennt. Schmeller, baierisches Wörterbuch Thl. II. S. 513 sagt: Leblaib sei Brod, das zu Weihnachten mit eingemengten Klözen (gedörrten Birnen, Zwetschgen und Nüssen) gebacken werde; jedes Mädchen lade ihren Liebhaber, der Wein und Branntwein mitbringt, zum Anschneiden des Brodes ein; misslinge das Gebäck (der Leblaib), so müsse die Bäckerin das nachfolgende Jahr sterben, indem die Volksetymologie das Wort von leben ableite; der Lebzelten, Lebkuchen (Iabetum, libetum) sei vielleicht dem Worte und der Sache nach aus klösterlichen lateinischen Kuchen hervorgegangen, worüber man Adelungs Lebhonig und Lebkuchen vergleichen möge. Ziemann, mittelhochdeutsches Wörterbuch, bemerkt nur kurz: lebe-kuoche, löbe-zelte aus Honig und Pfeffer gemachter Kuchen. Schmid, schwäbisches Wörterbuch, erklärt Lebkuchen, Lebzelten einfach für Pfefferkuchen. Tobler, appenzellischer Sprachschatz, sagt, Leckerli, bair. Leckerl, schwäb. und elsäss. Leckerli, sei eine Art von Pfeffer- oder Honigkuchen, welche man gemeiniglich mit dem Meth geniesst. -- Die volksetymologische Ableitung, welche Schmeller verwirft, möchte aber dennoch die richtige sein und jedenfalls sind die honigsüssen Lebkuchen, ähnlich und verwandt den Ostereiern und den Osterhasen, das Symbol des neuen natürlichen und geistigen Lebens, welches in der Wintersonnenwende, zur Julzeit, zur Weihnachtszeit mit der Geburt der neuen Sonne und des Christkindleins beginnt, wie dasselbe Symbol auch die auf den Bergen brennenden Weihnachtsfeuer




1) Mühlhause, die Urreligion des deutschen Volkes, S. 80 und 81; Quitzmann, die heidnische Religion der Baiwaren, S. 83 u. 84.



Seite 401


und die an dem (sich auch bei den Griechen findenden) Christbaum leuchtenden zahlreichen Lichter es sind. Auch beruht es wohl auf einem symbolischen Grunde, dass die Lebkuchen gewöhnlich die Gestalt eines Herzens tragen. Der Honig ist ein sehr altes Symbol der Reinigung, der Heiligung und des Lebens. In den Mithramysterien war nach Porphyrius nicht allein das Wasser (woher die Wassergefässe auf den Mithradenkmalen) als Reinigungsmittel gebräuchlich, sondern auch Honig, indem Denjenigen, welche in die Leontica oder in den Grad der Löwen eingeweiht werden sollten, zum Waschen statt des Wassers Honig mit der Ermahnung in die Hände gegossen wurde, die Hände von allem Traurigen, Schädlichen und Abscheulichen rein zu halten; die Mysten seien durch Feuer gereinigt worden, sie haben aber auch die Zunge mit Honig von aller Sünde gereinigt. Wie derselbe Porphyrius, cap. 16, erzählt, ist den in den Grad der Persica Einzuweihenden, den Persern (nicht dem Mithra, wie auch noch Creuzer, Symbolik, IV. S. 414, behauptet) als den Bewahrern der Früchte Honig überbracht worden, weshalb Einige gemeint haben, Nectar und Ambrosia, welche der Dichter in die Nase träufeln lasse, damit die Gestorbenen nicht faulen, sei als Honig (man dürfte beifügen: als Haoma, Soma) zu verstehen, da Honig Götterspeise sei (Windischmann, Mithra, S. 71). Zufolge Creuzer, Symbolik, IV. S. 365 ff. und 414 ff., war der Honig bei den Griechen die Speise der Götter und Heroen, namentlich des neugeborenen Zeus auf Kreta und auf Keos, und bei den Persern der Könige und der Priester. Der Honig war aber auch die Speise der Enthaltsamen, wie Pythagoras mehrentheils mit blossem Honig als Nahrung zufrieden gewesen sein soll (Creuzer, a. a. O. IV. S. 367) und wie Johannes der Täufer in der Wüste sich von wildem Honig und von Heuschrecken nährte. Der Honig und die Bienen waren daher auch ein aus dem Heidenthum aufgenommenes, christliches Symbol und namentlich am Osterfeste wurde bei den alten Christen Milch und Honig in den heiligen Kelch gegossen und mit Opfergaben (cum sacrificiis) dargebracht. - Die gebackenen Bubenschenkel betrachtet Marbach, die heilige Weihnacht-




Seite 402


zeit, Frankfurt a. M. 1859, S. 16 u. 17, aus den römischen strenae , woher die französischen êtrennes, entsprungen. Diese strenae hingen mit dem Culte der sabinischen Segensgöttin Strenia, einer Art von Salus, zusammen und waren Geschenke von Heil und Glück verheissenden Laubzweigen, namentlich des Lorbeers und der Palme, und von allerlei süssen Dingen, z. B. Feigen, Datteln und Honigkuchen, welche die Römer am ersten Januar oder am Neujahrstage sich glückwünschend gegenseitig zusandten (Preller, röm. Myth. S. 160). Da nun Saturn, dem zur Neujahrszeit die Römer ihre Saturnalien feierten, die eigenen Kinder nach der Mythe verzehrt, d. h. die Zeit (Kronos, Saturn), jedes kommende neue Jahr das abgelaufene alte Jahr verschlingt, glaubt Marbach, a. a. O., S. 17, dass bei den Römern die strenae, insoweit dieselben aus gebackenen Kuchen in Form eines Kindes bestanden, ein Symbol der ihre Kinder verschlingenden Zeit gewesen seien, wie dieselbe Bedeutung auch unsere "Bubenschenkel" haben. Menzel in Nr. 104 des Literaturblattes für 1858 unter Verweisung auf eine umfassende, von Marbach übersehene Abhandlung über die Symbolik der Solstitien, insbesondere im altdeutscheu Glauben und Aberglauben, in Pfeiffer's Germania von 1857, II. S. 228 ff., bemerkt gegen Marbach, dass es keineswegs noch erwiesen sei, dass die heutigen "Bubenschenkel" der berührten römischen Sitte ihren Ursprung verdanken; die Gebäcke in Kinderform beziehen sich wohl eher auf das Christkind oder auf das neugeborne Jahr, oder auf die im neuen Jahre zu erwartenden Kinder; zur Weihnachtszeit ziehe Frau Perchtha umher mit unzählbaren Kindern, das seien die Seelen der im nächsten Jahre zu gebärenden Kinder; ein Weihnachtsgebäck, welches man in Schwaben den Kindern reiche, nenne man ausdrücklich die Seelen vielleicht zur Erinnerung an den alten Heidenglauben. - Jedenfalls dürfte Menzel der Wahrheit weit näher stehen als Marbach. Wir halten die "Bubenschenkel", die gebackenen Knaben gleich den Osterhasen und in vollkommenster Uebereinstimmung mit denselben ursprünglich für Symbole des jungen Sonnengottes, der neuen Sonne, des neuen Jahres, welche erst in der spätern christlichen Zeit auf das Christkindlein oder Christus um-




Seite 403


gedeutet und bezogen worden sind, wie das ganze Julfest und das Fest der Ostara. "Die Bubenschenkel" sind in dem Kantone Zürich und wohl auch in andern Kantonen der Schweiz die runden sogenannten Neujahrswecke, Neujahrskuchen, welche auf dem Lande besonders geschenkt werden und ursprünglich gewiss Symbole der Sonne, des Sonnenrades waren. Die Seelenwecke sind zu weit hergeholt und nicht volksthümlich; den volksthümlichen Symbolen, den Symbolen und Sitten des Volkslebens muss ein einfacher und allgemein verständlicher Gedanke inwohnen. Zwischen den germanischen Julgebräuchen und den römischen Saturnalien besteht gewiss kein Zusammenhang. Die Neujahrszöpfe, welche neben den Neujahrsrädern, - man dürfte sagen, neben den Julrädern oder vielmehr Rädern (denn Jul bezeichnet das Rad, die Wende) sowohl in Deutschland als in der Schweiz vorkommen, hatten ursprünglich wohl Bezug auf die Frau Gaude, Holla, Holla, Freyja, - auf die Gemahlin des Sonnengottes, mag nun unter diesem Wuotan, Odhin oder sein Sohn Frô, welcher ja nur wieder eine andere Gestalt des Odhin wäre, zu verstehen sein. In Hessen heisst die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr die Jahre und in diesen Jahren werden die Räder und Zöpfe, dort Kringel genannt, gebacken und gegessen. 1) Die Benennung dieser Zeit als der Jahre beweiset, dass ursprünglich das Neujahr mit der Sonnenwende begann.

Das Mythologischste ist das Neujahrswünschen selbst, denn Wunsch drückt hier das Göttliche, das Selige und Heilige, den allmächtigen Zauber, die Erfüllung und den Besitz aller Gaben und Wünsche aus und bezieht sich auf Wuotan oder Odhin, welchem ja auch die Wünschelruthe, das Wunschschwert, der Wunschpfeil, der Wunschwind, der Wunschmantel, der Wunschhut, das Wunschpferd, das Glücks- und Siegespferd, das Heilpferd, das Wunschschiff, das Seelenschiff, die Wunschgeige, das Wunschhorn, der Wunschseckel, das Wunschtüchlein, die drei Wünsche, das Wunschland, 2) die Wunschmädchen




1) Mühlhause, a. a. O., S. 182 ff.
2) Menzel, Odin, S. 146 ff.



Seite 404


(Valkyrien) und Wunschsöhne (oskasynir, die auf dem Schlachtfelde gefallenen Helden) angehören. Unter den Beinamen, welche die jüngere Edda 3 dem Odhin beilegt, kommt auch oski (Wunsch) vor. Vuscfrea (Wunschesherr), der Name eines mythischen Helden von Deira, war vielleicht auch ein Name Odhins. Das Land der Wünsche und des Glückes, der ewigen Seligkeit und des ewigen Jugendlebens ist der Himmel. Odhin ist der Urzauberer, der Zaubermann (Seidmadr) und in seiner Zaubermacht steht, alle Wünsche der Menschen zu gewähren und zu erfüllen. 1) Im Kanton Aargau werden zufolge Rochholz, Schweizersagen aus dem Aargau, II. S. 25, die Weihnachtslebkuchen in Rössleingestalt gebacken, was auf das Ross Sleipnir des Wuotan zurückweiset, wie dieses Ross auch als schwarzes Todtenross in sehr zielen Sagen erscheint. 2) Anderwärts erhalten die Weihnachtslebkuchen die Gestalt von andern Thieren, z. B. von Hirschen , Hasen u. s. w., welche gleichfalls eine symbolische Beziehung auf die Sonnengottheiten haben. 3)

Noch verdient hier angeführt zu werden, dass es schon bei den alten Aegyptern Sitte gewesen, dem Brode, dem Gebäcke die Gestalt von verschiedenen Thieren zu geben, z. B. von Ochsen, Schafen, Kühen, Fischen u. s. w.; auch die Gestalt von Sternen, Triangeln, Fünfecken u. s. w. wurde angewandt. 4) Zum Symbole der Ueberwindung des Typhon durch Horus wurden in den Monaten Payni und Paophi Opferkuchen in der Gestalt von gebundenen Eseln dargebracht, da der Esel und besonders der röthliche Esel dem Typhon geheiligt war, und desshalb er auch entweder als eselköpfig oder auch selbst als liegender Esel dargestellt wurde. 5) An einem Feste, welches die Ankunft der




1) Vergl. auch Quitzmann, die heidnische Religion der Baiwaren, Leipzig und Heidelberg, 1860, S. 25.
2) Rochhölz, a. a. O., II. S. 21 u. 22 ff.
3) Ueber die Hirze oder Hirschhörndli, welche in der Schweiz gebacken wurden oder noch gebacken werden, vergl. Rechholz, a. a. O., II. S. 197. Sie bezogen und beziehen sich auf den scheidenden Winter.
4) Uhlemann, ägypt. Alterthumsk., II. S. 118.
5) Uhlemann, a. a. O., II. S. 173.



Seite 405


Isis aus Phönicien hiess, wurden gefesselte Nilpferde geopfert; auch das Nil- oder Flusspferd (Hippopotamus) war dem Typhon geweiht.

Die Fastenbretzeln, die an der Mosel in der Fastenzeit gegessen werden, hatten früher die Form eines Rades oder Ringes, wesshalb sie im Norden Ringelbrod oder Kringel genaunt wurden. Wurde eine Speiche herausgenommen, so nannte man sie ihrer Brechlichkeit halber Bretzeln. Eine spätere Zeit vergass die ursprüngliche Bedeutung und so liessen die Bäcker auch allmälig die vier Speichen weg, wodurch die heutige Figur entstand. 1) Am ganzen Mittelrhein und bis herein in die Schweiz haben aber die Bretzeln und namentlich die Fastenbretzeln noch die vollkommene Radgestalt oder die vier Speichen.

Der Hase, welcher die Ostereier legt, und das grüne Gras und die blühenden Blumen, worin die Eier (die Blitze) verborgen werden, sind ursprünglich die im Frühling wiederkehrenden Gewitterwolken, in und hinter denen die Blitze und die Sonne verborgen sind und aus welchen sie leuchtend hervorgehen. Das neue Leben, welches die Frühlingssonne und die Frühlingsgewitter über die Erde ausgiessen, ist gleichfalls in dem Symbole des das Leben gebärenden Eies und des so stark sich vermehrenden Hasen ausgedrückt. 2) An diese Ostereier mahnen ferner das Hahnenei, aus welchem im Frühjahr der Gewitterbasilisk hervorgeht, 3) - das von dem Zeus-Schwane oder dem lichten Himmelsgotte erzeugte Ei der Leda, aus welchem die Dioskuren oder die Tyntariden mit ihrer Schwester Helena geboren werden 4) - die Eier, welche nach keltischem Glauben im Frühlinge die Gewitterschlangen oder Blitze bereiten, - und endlich selbst das Ei, aus welchem bei den Babyloniern, Indern, Aegyptern und Griechen, 5) so wie




1) Hocker, Stammsagen, S. 66.
2) Nach Müller, Untersuchungen über die Geschichte der amerikanischen Urreligionen, geben fast alle nordamerikanischen Rothbäute dem grossen Geiste den Namen des "Grossen Hasen," weil der Hase ihnen Symbol der Fruchtbarkeit ist. Aus dem gleichen Grunde ist ihnen der Bisam heilig.
3) Schwartz, a. a. O., S. 214.
4) Preller, griech. Myth., II. S. 64 ff.
5) Preller, a. a. O., I. S. 34.



Seite 406


bei andern Völkern im Anfange der Dinge Himmel und Erde entstehen. Wenn nach vielen Sagen die Wechselbälge sich davon machen, sobald sie in Eierschaalen kochen sehen, stehen hier wohl die Wechselbälge für die Eier selbst, d. h. wenn die Sonneneier, die Blitze, zur Herbstzeit verschwinden, verschwinden auch die Wechselbälge und die Gewitterdämonen. 1) Aus den Osterhasen sind übrigens an vielen christlichen Orten die gebackenen Osterlämmchen mit der siegreichen Fahne des Triumphes hervorgegangen und namentlich werden auch in der russischen Kirche, z. B. in Volhynien, solche Osterlämmchen gebacken. 2)

Was bei den Römern, die Aurora und bei den Griechen die ist, sind bei den Indern, die auch im Zendavesta angerufene Ushas, die Morgenröthe, die Tochter der Sonne und der Nacht, welche des Himmels Thore öffnet, und auf einem von rothen Kühen gezogenen Wagen fährt, - und die der Morgenröthe vorauseilenden Lichtstrahlen, die zwei Acwin, die Reiter, welche mit den Strahlen der Sonne ankommen und bei dem Anbruche der Morgenröthe angerufen werden, und zwar stammt der Name Ushas, wie auch wohl Acwin, baktr. Acpin, 3) von derselben Wurzel ush, ukk' hati brennen, leuchten, woher die Aurora und die Eos stammen . 4) Diese italischen, griechischen, parsischen und indischen Gottheiten der Morgenröthe führen uns also in ihrem gemeinschaftlichen Namen und in der ihnen zur gemeinschaftlichen Unterlage dienenden Naturanschauung in den Morgen oder Ursitz des indo-germanischen Volkes selbst zurück. Die indischen Acwin sind die früh aufwachenden, fahren auf einem dreirädrigen Wagen, dem die Tochter der Sonne folgt, und kommen drei Mal zum Opfer, des Morgens, des Mittags und des Abends, auf welche drei Tageszeiten ihr dreirädriger Wagen gedeutet werden muss; für sie sind drei Stützen zur Anlehnung




1) Schwartz, a. a. O., S. 253.
2) Ausland für 1855, S. 207.
3) Lassen, indische Alterthumskunde, I. S. 524, Anm. 1.
4) Lassen, a. a. O., I. S. 762, Anm. 3.



Seite 407


befestigt worden; ihnen war das Sôma-Opfer, 1) wie dem Indra, gewidmet und das Oel, wie dem Agni. Sie werden gleich den griechischen Dioskuren 2) gepriesen, weil sie viele Menschen aus der Gefähr gerettet und geheilt haben; sie waren es besonders, die während der Stürme den Schiffenden zu Hülfe kamen und sie auf ihrem Wagen oder auf ihren Pferden glücklich zum Ufer führten; sie verleihen auch himmlische Heilmittel, Schätze und Nahrung. 3) Da die Acwin den ganzen Tag als thätig bei den Indern gedacht werden und besonders wohl auch in den Stürmen der Nacht wachten, können sie nach der Auffassung von Lassen doch nicht blos als die ersten Strahlen der Morgensonne betrachtet werden, sondern müssen überhaupt das Licht des Tages und der Nacht, der Morgen- und der Abendstern, die Sonne und der Mond sein, wie wir sie auch oben mit Furtwängler, die Idee des Todes, S. 5, in diesem erweiterten Sinne aufgefasst haben.

Aus den bisher besprochenen Vorstellungen der Urmenschheit von dem Lichte und der Gottheit in Osten geht nun besonders bei den lichtgläubigen indogermanischen Völkern der allgemeine Gebrauch hervor, sich bei dem Gebete nach Osten zu kehren. 4) Während der anbrechenden Morgenröthe (im Baktrischen die reine Ushahina, wieder von der Wurzel ush), das Gesicht nach der Sonne gewandt, verrichten noch jetzt die Parsen zu Bornbay und in Kirman das erste Gebet, das Gebet des Gürtels; legt sich der Parse am Abend zur Ruhe, muss er sein Lager so nehmen, dass er nach der Seite des Feuers oder nach dem Monde, oder nach Osten hin liegt. 5) - Auch die Pythagoräer, sobald die Sonne aufging, warfen sich nach Osten zur Erde nieder und verrichteten ihr Gebet.




1) Windischmann, über den Somacultus der Arier, in den Abhandlungen der I. Classe der K. B. Akademie der Wissenschaften, IV. 2.
2) Preller, griech. Mythol., II. S. 71.
3) Lassen, a. a. O., I. S. 763 oben.
4) LasauIx, Studien des klassischen Alterthums, S. 154, Anm.95.
5) Dunker, Geschichte des Alterthums, II. S. 406 unten und S. 407 oben.
6) Wedekind, der pythagoräische Orden, Leipzig 1820, S. 21.



Seite 408


Die Essäer und Therapeuten beteten gleichfalls bei der aufgehenden Sonne und flehten zu Gott um einen guten Tag, um einen wahrhaft guten Tag, dass nämlich ihre Seele mit einem himmlischen Lichte erfüllt werden möge. Ebenso kehren die Inder bei dem ersten Gebete das Gesicht der aufgehenden Sonne zu. 1) Der indische Brahmane, nachdem er gebadet, die Zähne gewaschen und die Augen gesalbt hat, wiederholt lange Zeit hindurch, stehend in der Morgendämmerung, folgenden Hymnus an den Sonnengott oder Savitri aus dem Rig-veda:

"Ein neues, herrliches Loblied singen wir dir, strahlender, glänzender Sonnengott! Höre meine Anrufung, komme in meine begierige Seele, wie der Liebende zum Weibe. Der du Alles siehst und schaust, Sonnengott, sei unser Beschützer. Sinnen wir nach über das bewunderungswürdige Licht der glänzenden Sonne; möge es unsere Einsicht lenken; nahrungsbegierig bitten wir um die Gaben der glänzenden Sonne. Priester und Brahmanen, durch ihre Einsicht geleitet, ehren den Sonnengott durch Opfer und heiligen Gesang." 2)

Der hier genannte Sonnengott Savitri, zugleich Sûra, Sûrja (der Glänzende), ist der Erzeuger, auch Pûshan (der Ernährer) genannt, indem die Sonne durch ihr Licht der irdische Erzeuger, Schöpfer und Ernährer ist und von der Sanskritwurzel su, erzeugen, ernähren, bei fast allen indogermanischen Völkern die Sonne (oder der Sonnengott) den Namen hat, z. B. im Gothischen saúil und sunnô, im Lithauischen saulê, im Lateinischen sol, im Altnordischen sol, im Slavischen slontze. 3) - Allgemein richteten sich auch die Griechen, Römer und Deutschen beim Gebete nach Osten. 4) - Wenn die Schüler oder Novizen der indischen Brahmanen in den Vedas unterrichtet werden, müssen sie das Gesicht nach Osten wenden. 5) - Auch die Jezidis oder Teufelsanbeter im alten Assyrien sinken beim Sonnenaufgang anbetend auf die Kniee und




1) Lassen, a. a. O., I. S 78, Anm. 2
2) Dunker, a. a. O., II. S. 79.
3) Lassen, a. a. O., I. S. 761 u. 62.
4) Creuzer, Symbolik, I. S. 171, Anm. 291.
5) Dunker, a. a. O., II. S. 78.



Seite 409


küssen die ersten Strahlen, wenn sie auf einen ihnen nahen Gegenstand fallen. 1) - Bei den alten Deutschen sass der Richter im Westen und schaute gegen Osten; sowohl bei der Hegung des Gerichtes, als bei andern feierlichen Handlungen hatte der Richter sein Antlitz gegen Osten auf die Sonne zu richten. 2) - Diese Bestimmungen oder wenigstens die ihnen zu Grunde liegenden Vorstellungen scheinen die Germanen aus ihrem asiatischen Ursitze mitgebracht oder schon gehabt zu haben, bevor sie sich von den Baktern und Indern, den übrigen Ariern, trennten. Denn auch der indische König, wenn er Gericht hält, soll gegen Osten blicken und alle Gerichtsgebäude in Indien müssen gegen Osten gewandt oder orientirt sein. 3) Hiermit hängt es auch zusammen, dass zu Athen die Gerichtsstätte und das Gericht von der Sonne unter deren allsehendes nach II. 3, 277 und Odyss. 11, 109) Auge sie sich stellten, den Namen , Sonnenhof, trugen. 4) Daran schliesst sich genau an, dass die Gerichte bei den alten Deutschen des Morgens bei scheinender Sonne gehalten werden sollten und nicht bis in die Nacht hinein dauern durften, weshalb auch jede Partei auf ihren Gegner nur vom Morgen bis zum Abend zu warten hatte und alsdann gegen denselben in contumaciam verfahren durfte.5) Der keltische Priester musste sich bei den Wendungen während des Gottesdienstes, dem Laufe der Sonne folgend, stets von Morgen gegen Abend drehen, 6) stand also mit dem Gesichte nach Osten gewandt. Aus der Anlage und Beschaffenheit der noch vorhandenen keltischen Opferhügel geht hervor, dass die Opfer entweder im Ostpunkte oder im Mittagspunkte dargebracht wurden. 7) Der neuerwählte Herzog von Kärn-




1) Ausland für 1855, S. 406.
2) Grimm, Rechtsaltertümer, 8. 80 u. 807.
3) Ersch u. Gruber, Encyklop., II..Bd, XVII., S. 230 a unten.
4) Welker, griech. Götterlehre, I. S. 403.
5) Maurer, Geschichte des öffentlich-mündlichen Gerichtsverfahrens, S. 28.
6) Ersch und Gruber, a. a. O., I. Bd. XXVII., S. 496 b oben.
7) Jahn, die keltischen Alterthümer des Kantons Bern in Absicht auf Kunst und im ästhetischen Interesse dargestellt, Bern 1860, Seite 6.



Seite 410


ten hatte, mit dem Gesicht gegen Sonnenaufgang sitzend, zu schwören, des Landes Rechte zu handhaben.1) Die ungarischen Könige schwangen bei ihrer Krönung ein Schwert nach den vier Welttheilen. 2) Bei den so merkwürdigen Sonnenlehen, d. b. bei den Alloden oder freien und unabhängigen Gütern, welche man von Gott als dem allmächtigen und dem herrlichen Element der Sonne empfangen hatte, erfolgte die Belehnung symbolisch, indem in aller Frühe der neue Besitzer geharnischt und mit blossem Degen gegen Morgen ritt und, sobald die Sonne sich erhob, drei Streiche kreuzweis in die Luft oder Sonne that. 3) - Wenn die Wünschelruthe geschnitten wird, soll der Schneidende nach Osten blicken, oder das Quêkrîs, die Wünschelruthe, soll Dasjenige sein, auf welches die ersten Strahlen der Morgensonne fallen. Diese Bestimmungen scheinen bei den iranischen Völkern uralt zu sein und finden sich ähnlich bei den alten lndern. 4 ) - Als die sieben persischen Grossen, darunter Dareios, beim Sonnenaufgang ausritten, damit Derjenige von ihnen König von Persien werde, dessen Pferd zuerst wiehern würde, 5) ritten sie ohne allen Zweifel der aufgehenden Sonne entgegen.

Die Richtung der Tempel, der Bilder und Altäre der Götter war bei allen Völkern des Alterthums eine symbolische, d. h. wurde durch den Gottglauben bestimmt. Nach Lucian, de Dea Syra, stand zu Hierapolis in Syrien der Tempel der syrischen Göttin Derketo oder Atargatis gegen die aufgehende Sonne, und ebenso waren zu Selinus alle sieben Tempel ostwärts gerichtet. Die Richtung der Tempel war zwar bei den Griechen keine unabänderlich bestimmte, jedoch war sie vorzugsweise so, dass der Eingang nach Osten schaute. 6) Heiligthum, Bild und




1) Grimm, Rechtsalterthümer, S. 254.
2) Grimm, a. a. O., S. 279, Anm. ***
3) Grimm, Rechtsalterthümer, S. 278; W. Menzel, das altteutsche Sonnenleben in der Germania von Pfeiffer, Jahrgang 1856, S. 63 ff.
4) Kuhn, die Herabkunft des Feuers, S. 234.
5) Dunker, a. a. O., II. S. 550.
6) Schömann, griech. Alterthümer, II. S. 18; Welker, griech. Götterlehre, I. S. 403.



Seite 411


Altar der Gottheit war, genauer ausgedrückt, dahin gerichtet, wo man den Sitz, das numen der Gottheit annahm. Es müssen daher die Cellen der Olympier nach Osten gerichtet sein, weil man diese Gottheiten als im Aufgange der Welt wohnend dachte; daher sind ihre Cultusbilder in den Cellen, der Pronaos mit seiner Thymele und dem Brandopferaltare nach Osten gerichtet und der Eingang zu Pronaos und Cella herwärts von eben dieser Himmelsgegend. Gerade umgekehrt verhielt es sich mit allem Diesen in dem Cultus der unterirdischen Gottheiten, wie der Heroen, der Dämonen und Manen. Weil diese im Niedergange oder Westen wohnend gedacht wurden, waren ihre Cellen, Cultusbilder, Opferstätten und Altäre nach Westen gerichtet, der Eingang in ihre Hiera überhaupt nach Westen gelegen. Aleibiades, 1) der Entweihung der Eleusinien beschuldigt, wurde öffentlich von allen in Athen befindlichen Priestern und Priesterinnen, die dabei, gegen Abend gewendet, blutrothe Gewänder schwenkten, verflucht. - Nach Platos Worten pflegten Griechen und Barbaren überall bei Aufgang und Niedergang der Sonne und des Mondes anzubeten und niederzuknieen; indessen beteten dennoch die Griechen wie die Römer mehr stehend, mit zum Himmel, zum Lichte emporgehobenen Händen; daher die Ausdrücke , und , manus seu palmae supinae, tendens ad sidera palmas, manus adorantes attollimus, 2) und im Deutschen: die Hände zum Gebet, zu Gott, zum Himmel erheben, - seine Hände betend, flehend und hülferufend nach dem Himmel ausstrecken. Stehend beten nach altem Gebrauche die Maurer. In der letzteren Weise beteten bekanntlich auch die alten Christen, oder stehend und mit ausgebreiteten Armen, so dass dieselben mit dem Rumpfe ein Kreuz bilden. 3) - Die Römer stellten in ihren Tempeln die Statuen der Götter gern im Osten auf, damit die Götter als Lichtbringende




1) Vergl. LasauIx, Studien. S. 167.
2) Lasaulx, a. a. O., S. 154.
3) Northcote, Übersetzt von Rose, die römischen Katakomben, Köln 1860, S. 60 vergl. mit Taf. IV.



Seite 412


erscheinen. So betrachteten es auch die Christen. 1) Nach Van de Velde, Reise durch Syrien und Palästina, I. S. 133 (Leipzig, 1855), ist die gewöhnliche Form der orientalischen Christenkirchen ein längliches Viereck mit einem Portal und einem Chor, das letztere gebildet durch eine grosse halbrunde Nische mit zwei kleinen Nebennischen. Das Chor soll immer nach Osten zu stehen. Van de Velde beschreibt die Ruinen einer solchen Kirche zu Yarûn, dem Zereon bei Josua 19, 38 im vormaligen Lande des Stammes Naphthali in der Nähe von Tyrus genau; das Portal dieser Kirche hatte drei Eingänge. ln derselben Gegend und etwa 1 1/2 Stunden von Tyrus entfernt, liegt auch nach der Tradition das noch erhaltene Grabmal des tyrischen Königs Hiram, welcher mit Salomo im Bunde stand. Van de Velde, I. S. 140, beschreibt dieses Grabmal also: Es besteht aus einem länglich viereckigen Fussgestell von zwei Lagen grosser Steine; es ist 14 Fuss lang, 8 3/4 Fuss breit und 6 Fuss hoch; darauf ruht eine dritte Lage von etwa 15 Fuss Länge, 10 Fuss Breite und 3 1/2 Fuss Höhe; auf dieser steht eine abgestumpfte, aus einem einzigen Steine gehauene Pyramide von 12 Fuss Länge, 8 Fuss Breite und 6 Fuss Höhe, die endlich von einem länglich viereckigen Stein von denselben Dimensionen bedeckt ist, jedoch nur 5 Fuss hoch, so dass das Ganze etwa 21 Fuss hoch ist. Robinson hielt dieses Grabmal eher für ein muhammedanisches Weli, während Van de Velde die Ueberlieferung viel Wahrscheinlichkeit für sich zu haben scheint. Zufolge einer Bemerkung von Van de Velde, I. S. 157, scheint eine zerstörte christliche Kirche zu Tyras mit zwei riesenmässigen Säulen von rothem Granit (wohl vor ihrem Portale) geschmückt gewesen zu sein. Leider hat sich Van de Velde über diese beiden riesenmässigen Säulen, welche er zuerst fortschaffen würde, wenn ihm ein Schiff zur Verfügung stände, durchaus nicht näher ausgelassen und mit keinem einzigen Worte auch nur ihre Construction angedeutet, obwohl die umständlichste Beschreibung hier am Platze gewesen wäre. Dennoch dürfte feststehen, dass die bei-




1) Schnaase, Geschichte der bildenden Künste, Bd. III. S. 35.



Seite 413


den Säulen vor dem Tempel Salomos und vor dem Dome zu Würzburg, vor oder in der christlichen Kirche zu Tyrus und in der Maurerloge tyrisch, phönicisch seien und dort die Sonne und den Mond, Baal und Astarte, den kretischen Minos und die Britomartis, den griechischen Apollo und die Artemis, den ägyptischen Osiris und die Isis eigentlich symbolisirt haben. - Der Tempel Salomo's war so aufgestellt, dass der Eingang mit der Vorhalle und den beiden Seiten Jakin und Boaz davor nach Osten blickte, das Allerheiligste mit der Bundeslade sich mithin im Westen befand, 1) was Bähr daraus zu erklären sucht, dass das Tempelviereck habe orientirt und daher dessen vordere Seite nach Osten gewendet sein müssen. Bei den Christen war es von der frühesten Zeit an Regel, 2) den Kirchen die Richtung gegen Morgen zu geben, so dass also der Eingang gegen Westen blickte, die das Gebäude abschliessende Koncha mit dem Hauptaltare aber gegen Osten, wie auch die Betenden sich überhaupt nach Osten zu wenden pflegten, bei der Taufe der Erwachsenen der Blick eben dahin gerichtet war, - endlich die Verstorbenen mit ebenfalls dahin gewendetem Gesicht in das Grab gelegt wurden. Zur Erklärung dieser Gebräuche der alten Christen bemerkt Bähr a. a. O. S. 311 u. 12: "Osten ist die Himmelsgegend, wo das Licht aufgeht und der neue Tag anbricht; im Osten ist der "Aufgang aus der Höhe" (Luk. 1, 78), die "Sonne der Gerechtigkeit" (Mal. 4, 2), das "Licht der Welt" (Joh. 8, 12; Jes. 9, 2) erschienen, und hat einen neuen Tag gebracht (Röm. 13, 12), welcher Verbote und Unterpfand des zukünftigen neuen Morgens und Tages der ewigen Herrlichkeit ist, der anbrechen wird mit der Erscheinung des Herrn, des Aufgangs aus der Höhe, wenn er wiederkommt, um seine Verheissungen an seiner Gemeinde zu erfüllen (2. Tim. 4, 8)." - Augustinus de serm. dom. 2. 18 sagt: "Cum ad orationem stamus, ad orientem convertimur, unde coelum surgit, non tamquam ibi habitet deus, sed ut




1) Bähr, der salomonische Tempel, Karlsruhe 1848, S. 97.
2) Vergl. Mone, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, III. S. 5 unten.



Seite 414


admoneatur animus, ad naturarn excellentiorem. se convertere , i. e. ad deum." Lucians Griechen grüssen beim Aufstehen die Sonne mit einer Kusshand und Tertullian schreibt an Christen: sed plerique vestrum, adfeetatione aliquando et coelastia adorandi, ad solis ortum labia vibrate. 1)

Ueber die Beerdigung der Todten verordnet schon der Vendidad VI, 105 u. 106: "Können es die Mazdayacna, so sollen sie ihn auf Stein Mörtel oder Teppich legen. Wenn sie es nicht können, so sollen sie ihn auf seinem eigenen Bette und seiner eigenen Matte, dem Lichte ausgesetzt, gegen die Sonne schauend auf die Erde niederlegen." - Die mit den alten Parsen zusammenhängenden und noch heute bestehenden Jezidis oder Teufelsanbeter bei Mosul im alten Assyrien richten gleichfalls ihre Todten nach Osten, wie sie auch, nach Osten gewandt, beten. 2) Auch die Leichen deutscher Heiden, welche ausgegraben wurden, lagen mit dem Gesichte nach Osten gewandt; 3) ebenso verhält es sich mit den in der Schweiz ausgegrabenen keltischen Leichen. 4) Die Todten sollten, wenigstens nach dem parsischen Glauben, dem grossen Auferstehungsmorgen, dem ewigen Lichte entgegenschlafen. Haug bei Bunsen, Aegyptens Stelle, Va S. 108, glaubt aus verschiedenen, sehr gewichtigen Gründen, dass die Abfassung der Urschrift des Vendidad in die Zeit vor der Eroberung Baktriens durch die Assyrier, welche ungefähr 1200 vor Chr. erfolgte, gesetzt werden könne. Indem die Verstorbenen in den ewigen Osten eingehen, kehren dieselben nur dahin zurück, woher sie gekommen, denn namentlich nach dem indischen Glauben wohnen die Seelen der Frommen im Osten bei dem rothen Indra, bis sie in einen Körper zur Erde herabsteigen. 5) Auch die Urbewohner Amerika's, bei denen der Sonnencultus vor-




1) Welker, griech. Götterlehre, I. S. 413.
2) Meissner, Layard's populärer Bericht über die Ausgrabungen zu Niniveh, Leipzig 1852, S. 130 unten.
3) Menzel, Odin, S. 120.
4) Vergl. z. B. Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Bd. III. (1845-47), S. 66 u. Bd. VIII. (1853), S. 111 oben.
5) Ersch und Gruber, Encyklopädie, Sect. II. Bd. XVII. S. 180 b.



Seite 415


herrschte, beerdigten ihre Todten, unter einem Hügel sitzend, mit nach Osten gerichtetem Angesicht. 1)

Die Freimaurerloge soll nun zunächst ein genau orientirtes oder nach Morgen, nach den vier Weltgegenden gerichtetes, längliches und rechtwinkeliges Viereck als das Svmbol der Welt sein, wie denn auch ein solches Viereck wieder als Symbol der Loge selbst gebraucht wird. Das älteste englische Lehrlingsfragestück enthält darüber folgende Fragen und Antworten:

87. M. Von welcher Gestalt ist eure Loge?
A. Ein längliches, rechtwinkeliges Viereck.
88. M. Wie lang, Bruder?
A. Von Osten nach Westen.
89. M. Wie breit (weit) Bruder?
A. Zwischen Norden und Süden.
90. M. Wie hoch, Bruder?
A. Von der Erde bis zum Himmel.
91. M. Wie tief, Bruder?
A. Von der Oberfläche der Erde bis zu dem Mittelpunkte.
92. M. Warum wird gesagt, eure Loge reiche von der Oberfläche der Erde bis zu dem Mittelpunkte?
A. Deshalb, weil die Freimaurerei allgemein ist. 2)

Die Loge, nach Osten gewandt, mit dem den dreiarmigen Leuchter tragenden Altare und mit dem Meister vom Stuhle im Osten, wird selbst ein Osten, ein Orient genannt, 3) als eine Stätte, worin das nach den Vorstellungen des Alterthums im Osten wohnende göttliche Licht gesucht, Gott geglaubt und verehrt wird, zu welchem nach seinem Tode der unsterbliche Menschengeist in den ewigen Morgen, in das ewige Licht und Leben eingehen werde. Sind die christlichen Kirchen orientirt, sind sie nach Osten gerichtet mit dem Eingange nach Westen, oder auch nach Norden und Süden, dann befinden sich auch in




1) Mühlhause, Urreligion, S. 328.
2) Krause, Kunsturkunden, I. 1. S. 209 folgende vergl. mit den von Krause beigefügten Anmerkungen, und I. 2. S. 454 ff.
3 ) Krause, a. a. O., I. 2. 8. 289, Anm. a erklärt sich gegen diese Benennung.



Seite 416


ihnen der Altar oder die Altäre mit den Priestern im Osten, und die im Westen versammelte Gemeinde hat den Blick gläubig, betend und hoffend nach Osten, nach dem Lichte, nach Gott gerichtet. Die Richtung von Westen nach Osten, d. h. die Richtung der Kirchen und mithin auch der betenden Gläubigen nach Osten wurde im Mittelalter die heilige, linea sanctitatis, Linie der Heiligkeit genannt; 1) der Weg und das Streben nach Osten sind die heiligen und die heiligenden, die rechten, die göttlichen, die lichtvollen. 2) Wie die christlichen Täuflinge und Confirmanden, die christlichen Lichtsuchende (illuminandi) den Blick nach Osten richten, im Osten das Licht suchen, suchen es auch die Maurer im Osten und hoffen es dort dereinst zu finden und zu erhalten. Aehnlich wie bei den Christen die Kirchen und bei den Maurern die Logen und die Altäre orientirt sind, im Osten Gott gesucht und verehrt wird, scheint es auch bei den alten lichtgläubigen Druiden gewesen zu sein; wenigstens ist der im Jahr 1786 auf der Insel Jersey ausgegrabene und noch völlig unverletzte Druidentempel orientirt und hat den Hauptsitz und Altar im Osten. 3) Ebenso möchten, um dieses bei dieser Gelegenheit zu berühren, die Druiden das Fünfeck, das pythagoreische Pentalpha 4), den flammenden fünfeckigen Stern der Maurer, als Lichtsymbol gekannt und gebraucht haben, und nach ihnen in Deutschland das Pentalpha den Namen Drudenfuss, Druidenfuss tragen. Auch glaubten die Druiden neben der Unsterblichkeit der Seele (nach Vollmer in Verbindung mit der Seelenwanderung) einen allmächtigen Baumeister der Welt, Demiurgos, welcher die Welt aus dem Wasser hervorgehoben habe und sie dereinst durch Feuer wieder zerstören werde. 5) W. Grimm im deutschen Wörterbuche unter




1) Krause, a. a. O., I. 2. S. 461.
2) Nach Meiners (von den verschiedenen Menschennaturen) sind nicht nur die ältesten Tempel in Asien und Amerika, sondern auch die grossen amerikanischen Leichenplätze orientirte Vierecke.
3) Krause, a. a. O., I. 2. S. 460. Anm. b.
4) Krause, a. a. O., I. S. 456. Anm. b.
5) Vollmer, vollständiges Wörterbuch der Mythologie, Stuttgart 1836, unter Druiden.



Seite 417


Drude und unter Druide erklärt zwar die gewöhnliche Ableitung der Drude von Druide als völlig grundlos 1) und sagt unter Drudenfuss: "Das Pentagramma, das signum pythagoricum, in der Wappenkunst Pentalpha (auch Alpkreuz und Alpfuss sonst genannt), betrachtete man wahrscheinlich als die zwei in einander geschränkten Füsse der Drute, denn ihr legt man Gänse- oder Schwanenfüsse bei, weshalb, welche plattfüssig sind, am meisten in den Verdacht kommen, dass sie Druten (Hexen) abgeben;" allein wir glauben entschieden diesen Hexen-, Gänse- oder Schwanenfüssen entgegentreten zu dürfen. Grimm folgend, sagt neuerlichst auch Quitzmann, die heidnische Religion der Baiwaren, S. 230, unzweifelhaft komme der Name Drud, gegen welche man sich durch den sogenannten Drudenfuss an Thüre oder Bettlade, durch kreuzweise gelegte Messer oder andere sympathetische Mittel schütze, - vom alten thrûdhr, d. i. Jungfrau, wie auch eine der Walküren den Namen Thrûdhr führe und es schon desshalb erlaubt wäre, die Drud als eine Botin und Dienerin der alten Götter aufzufassen; hierzu stelle sich in unverkennbarer Weise, dass die Druden bisweilen als schöne Frauen bezeichnet werden, dass sie nach andern Sagen an ihren patschigen, breiten, plumpen Händen, die den Vogelfüssen ähnlich gestaltet sind, erkannt werden und sich in Federn und Katzen verwandeln können, was wieder auf den Schwanfuss der Schwanjungfrauen und die Beziehungen der Walküren zu dem Vogelkleide und zu Frouwa deute. Das Pentalpha ist gewiss nie und nimmer in dem Glauben oder Aberglauben des Volkes aufgekommen, sondern gehört dem Glauben und gelehrten Wissen der Priester, der Druiden an und die Drude war ursprünglich die Druide, die Druidenpriesterin, welche nach der Einführung des Christenthums, wie es ja so oft mit den heidnischen Gottheiten und deren Priestern geschah, zu einer teuflischen Hexe herabgesetzt wurde. Das Pentalpha ist, wenn nicht schlechthin ein Mysteriensymbol, doch mindestens ein priesterliches, und wurde und wird so bei den Aegyptern,




1) Ebenso Schmeller, bayerisches Wörterbuch, Bd. 1., S. 477 unten.



Seite 418


Indern , Sinesen , Pythagoräern, Druiden, Tempelherrn und in der Maurerei gebraucht. Nach der ihn immer beherrschenden Gewitteridee bringt Schwartz, Ursprung der Mythologie, S. 219, das ägyptisch-pythagoreische Pentalpha sogar mit dem Blitze in Verbindung und betrachtet es als ein Blitzeszeichen, worin er allerdings Grimm noch übertroffen hat. Der Drudenfuss ist unter allen und jeden Umständen und ganz unbestreitbar als mystisches Zeichen, als heiliges Zeichen älter als die Germanen und zugleich eine geometrische, eine mathematische Figur, weshalb es zunächst bei einem solchen Volke des Alterthums aufgekommen sein muss, welches die Geometrie, die Mathematik betrieb und als Wissenschaft besass. Nach dem ganzen Gange der Bildung der alten Welt waren dieses Volk am wahrscheinlichsten die Chaldäer, oder doch die Aegypter und die Sinesen, wenn die Aegypter und Sinesen nicht die Schüler der Chaldäer gewesen sind. Jedenfalls kam sodann das Pentalpha von den Aegyptern durch Vermittelung des Pythagoras an die Griechen und Römer und von ihnen wieder an die Kelten, welche es in ihren frühern Sitzen an der Donau den Germanen und besonders den Baiwaren entweder zurückliessen oder später in anderer Weise übertrugen. Dabei bleibt das Pentalpha, was es ist und stets sein wird, eine geometrische oder mathematische Figur, ein Fünfeck, und muss nicht zum Bilde zweier Gänse- oder Schwanenfüsse oder gar des Blitzes gemacht werden, was es wenigstens bei den Sinesen und Indern, - bei den Aegyptern, Griechen und Römern nicht sein kann, weil sie von den schönen Gänsen und Schwänen oder von den Gänse- und Schwanjungfrauen nichts wissen. Dazu kommt, dass es doch kaum begreiflich wäre, dass man gegen die Nacht der Druden sich hätte dadurch schützen wollen, dass man ihre beiden Füsse an die Thüre oder Bettlade gezeichnet; wohl aber lässt es sich erklären, dass man ein älteres heiliges Zeichen gegen die neuen Unholde und Hexen, wozu sie erst durch das Christenthum bei den Germanen gemacht wurden und somit als solche kaum über das siebente oder auch sechste Jahrhundert hinaufreichen werden, als Schutzmittel, als Zauber angewandt habe. Thrûdhr heisst allerdings Jungfrau; allein




Seite 419


daraus folgt gewiss nicht, dass die Drudenfüsse Jungfrauenfässe und diese wieder Gänsefüsse seien. Ueberhaupt kann in mythologischen Dingen nicht die Etymologie allein entscheiden, sondern es muss doch auch noch einiges Gewicht auf den Inhalt, auf die Sache selbst gelegt und daher eine etymologische Ableitung verworfen werden, wenn dieselbe zum Inhalte und zur Sache und zugleich zur Geschichte nicht passt. Ebenso ist es nicht erklärlich, wie die Schwanjungfrauen, die Walküren haben zu Priesterinnen werden können, obwohl die alten keltischen Priesterinnen eben so leicht zu Hexen werden konnten, wie die Kelten- und Römerbauten und Mauern zu Teufelsbauten und Teufelsmauern in der christlichen Zeit geworden sind, ja die alten germanischen Götter selbst sich von den christlichen Priestern mussten verteufeln lassen. Quitzmann erscheint die Drud als ein wider ihren Willen dem Heidenthume verfallenes Weib, welches vielleicht früher in priesterlicher Funktion der Wöchnerin beistand und zu ihrer Reinigung ein Opfer brachte, wovon jetzt nur mehr die symbolische Handlung des Drückens übrig geblieben ist, für die durch das Opfer eines Thieres gänzlich abgekauft werden kann. Die Druidenpriesterinnen übten gewiss die Hebammen- und die Arzneikunst, und aus welchem haltbaren Grunde können sie nicht die spätern Drüden sein? Quitzmann, S. 219, hält doch z. B. für möglich, dass die Baiwaren frühere römisch-keltische Cultorte in christliche umgewandelt haben, und ebenso behauptet er S. 222, unter Berufung auf Grimm, dass unter den Einwirkungen der Römer und Kelten der Bilderdienst zwischen dem vierten und siebenten Jahrhundert bei allen germanischen Völkern, namentlich bei den Gothen, Franken, Alemanen und Sachsen eine weite Verbreitung erreicht hatte, sowie auch Ueberreste von Cultorten und Götterbildern der Römer und Kelten vorhanden gewesen. Ebenso erkennt S. 206 Quitzmann um das Portal der Kapelle auf Schloss Tirol ein Mithrasbild, einen Kentauer und zwei Drachenbilder, die entschieden heidnischen, wahrscheinlich vorgermanischen Ursprungs sind und unzweifelhaft aus den Ruinen einer ältern Bauperiode hierher gebracht worden sind: aber die Jungfrauen mit den




Seite 420


Gänsefüssen bleiben trotzdem. W. Grimm stimmt sodann in der Wortableitung gar nicht mit Quitzmann zusammen, sondern nach ihm wäre die Ableitung von trût, traut, dilectus, zumal die Drude ursprünglich auch ein guter, wohlwollender Geist gewesen sei, wie die Frau Holda. Grimm bemerkt dabei nur nebenbei, dass Finn Magnus. Lex. mythol. p. 971 und die deutsche Mythologie (von Jac. Grimm) S. 394 mit Drude die Valküre Drude in Verbindung bringen, welches Wort auch als Appellativum virgo bedeute. Rochholz, Schweizersagen aus dem Aargau, II. S. 190, erklärt das ahd. Alahtrut = Waldpriesterin, wie Alahirzi im Kanton Aargau den die Seelen in den Wald abholenden Holzhirschen, einen auf dem Hirschen reitenden oder mit Hirschen fahrenden Todesgott, den Winter und den Tod bezeichnet. Da der Alahirzi, der Todtenhirsch, dem Todtenpferde ganz gleich steht und das Symbol, der Bote der Todesgöttin und diese selbst ist, ist somit die Alahtrut gleichfalls eine Todespriesterin und Todesgöttin; die Druden sind vervierfältigte Entstellungen und Ausartungen der Lebens- und Todesgöttin Holda, der Hel, - sie sind ursprüngliche Valkyrien und Priesterinnen, ganz zuletzt aber Wolken- und Wolkenfrauen. 1) - Benecke, mittelhochdeutsches Wörterbuch, äussert unter Trute, welche ihm eine Unholde, eine Hexe bedeutet, keine selbstständige etymologische Ansicht, sondern verweiset einfach auf Schmeller's Wörterbuch und Grimm's Mythologie, schliesst sich somit diesen an. Auch sprechen für die gewöhnliche, von Grimm verworfene Ansicht die Drudenbäume, d. i. nach Grimm selbst vorzüglich Eichenbäume, heilige Bäume des Druidengottes, bei welchen seine Priester und Priesterinnen sich versammelten.

Sollte äusserer Hindernisse wegen eine Loge nicht wirklich orientirt sein, und der Altar mit dem Meister sich mithin nicht wirklich im Osten befinden, so ist dennoch der Osten, der Orient einer Loge stets da, wo der Altar und der Meister vom Stuhl sind, denn woher das




1) Mannhardt, germanische Mythen, S. 712 ff. Als Wolkenwesen tragen die Druden Geis-, Gäns- oder Schwanenfüsse, indem die Wolken als Geisen, Gänse und Schwäne gedacht werden.



Seite 421


Licht und die Weisheit kommen, dahin muss der Osten verlegt werden.

Der Osten kommt in der Maurerei nicht allein als ein Lichtsymbol, als das Symbol der Wohnung des ewigen Lichtes und Gottes vor, sondern zugleich als Erinnerung an die geschichtliche Thatsache, dass die Völker und die menschliche Bildung, besonders aber die Lehre Jesu von Asien, von Osten ausgegangen seien und von da aus sich über Afrika und Europa ausgebreitet haben, also auch das menschliche Licht, die menschliche Bildung und Wissenschaft aus Osten stamme und dort als an seiner Quelle gesucht werden müsse. In diesem Sinne enthält das Lehrlingsfragstück in dem bekannten englischen Werke "Jakin und Boaz" folgendes:

Frage: Warum ist eure Loge von Osten nach Westen gelegen?
Antw.: Weil alle Kirchen oder Capellen so liegen oder so liegen sollten.
Frage: Warum diess?
Antw.: Weil das Evangelium zuerst im Osten gepredigt wurde und sich von da nach Westen ausbreitete. 1)

Auf den Osten in der geographischen und geschichtlichen Bedeutung wird besonders bei der Aufnahme in den Gesellengrad hingewiesen; nach diesem Osten muss der Geselle an der Hand des zweiten Vorstehers dreimal reisen, bei dem Antritte welcher drei Reisen ihm z. B. zugerufen wird:

Mein Br., ich führe Sie nach Osten, aus Osten empfingen die Völker der Erde ihr Licht.
Folgen Sie mir noch einmal, - ich führe Sie gegen Aufgang der Sonne. Im Osten ward auch der (geistige) Tempelbau begonnen, aber die Arbeiter haben sich zerstreut.
Sie haben noch nicht vollendet, - folgen Sie mir noch einmal. Ich führe Sie gegen den Aufgang der Sonne, von Osten her wandelten im Alterthurn die ersten Maurer in die Abendländer.

Da der Gesellengrad im Gegensatze zu dem Lehrlings-




1) Lenning, Encyklopädie, in dem Artikel "Orient."



Seite 422


grade, welcher sich mit der Weltschöpfung und dem Weltbaumeister, gleichsam mit der Weltbaukunst beschäftigt, den Menschen als den Schöpfer und Baumeister seines eigenen Lebens, die menschliche Baukunst zum Gegenstande hat, ist in dem Gesellengrade die vorherrschende Rücksicht auf die menschlichen Erfindungen (die Metalle) und die dadurch geweckten Leidenschaften und Kämpfe, sowie überhaupt auf die Geschichte der Menschen und Völker begreiflich. Der Geselle ist der eigentliche Arbeiter, der thätige und handelnde Mensch, der Mensch in seinem Streben und Leben, der Mensch mit seinen Tugenden und Fehlern, der Mensch auf dem doppelten Schicksalswege zu dem lohnenden Himmel oder zur strafenden Hölle.

Um unterrichtet zu werden über die französische Maurerei, maurerische Schriftstellerei und Geschichtforschung, mag man z. B. die Instruction oder Belehrung nachlesen, welche Ragon, cours philosophique et interprétatif des iniations anciennes et modernes, Paris 1841, S. 111-138 über den Gesellengrad ertheilt. In dieser Instruction wird unter Anderem die Seelenwanderungslehre des Pythagoras, welcher auch nach Ragon S. 122 bei den Chaldäern mit dem zweiten Zoroaster zusammengetroffen sein soll, vorgetragen und für eine blosse Allegorie erklärt, indem die menschliche Seele nach der eigentlichen Ansicht des Pythagaras niemals wandere. 1) Ueber die fünf Reisen, welche der Geselle eigentlich bei seiner Aufnahme machen sollte, sagt nicht unwahr Ragon: "Voilà pour quoi vos cinq voyages symbolisent, dans l'allégorie astronomique, les cinq mois de production de la nature. Ce rapprochement ingénieux qui, sans doute, éclaire votre esprit d'une lumière inattendue, doit deja vous donner la clé d'une partie de nos mystères." - - "Les cinq voyages rappellent philosophiquement les cinq sens, qui sont les fidèles compagnons de l'homme, et ses meilleurs conseillers dans les jugements qu'il doit porter."

Die Maurerloge wird zur Lichtstätte, zur Loge eingeweiht, indem zum ersten Mal in ihr das Licht, wie in den christlichen Kirchen entzündet wird, was schon früher




1) Dagegen sehe nur Röth, Geschichte unserer abendländischen Philos., II. S. 867.



Seite 423


berührt worden ist. Ohne Zweifel war dieses eine neue Kirche und Loge einweihende Feuer wenigstens früher ein sogenanntes Nothfeuer, d. h. auf feierliche Weise durch Reibung oder auf ähnliche Art gewonnenes reines Himmelsfeuer. 1) Zur Hervorbringung des Nothfeuers bediente man sich auch eines Rades mit neun Speichen, das von Osten nach Westen gewälzt ein Bild der Sonne war. Auch wurden neunerlei Kräuter in die Flamme geworfen. Die Nennzahl, besonders wenn sie bei den Frühlingsfeuern, den Fastnachts-, Oster- und Mai- oder Walpurgisfeuern vorkommt, darf wohl auf das nach dem dreimonatlichen Winterschlafe der Natur, des Hiram, wiederbeginnende 9monatliche Natur- und Sonnenleben, die neun treuen Gesellen des Hiram bezogen werden. Hieran schliesst sich, dass die alten Germanen die Nothfeuer auch aus neunerlei Holz, und besonders indem 81 der kräftigsten Jünglinge an einem neuen Seile den Bohrer in einem mit neun Speichen versehenen Rade, dem Sonnenrade, schnell drehten, neu gewannen oder entzündeten. 2) Dieses symbolische Sonnenrad kommt auch in Indien häufig vor und heisst hier Sûryasya cakramsin den Veden, das griechische . 3) Von diesem Sonnenrade, , sind auch bei den Griechen die Kyklopen, welche dem Zeus seine Donnerkeile schmieden und die nur die personificirten Gewittererscheinungen sind, benannt, denn Kyklope bedeutet das Kreisauge, das Radauge.4) Daher haben die Kyklopen gleich den ihnen verwandten indischen Râxasa ein grosses Stirnauge, sind die durch die Gewitterwolken hindurchbrechende, sich hindurchringende titanische Sonne. An die Kyklopen reiht sich auch Ixion, der Radträger oder Achsenträger von sanskr. axan, axa, lat. axis, d. i. die Achse, das Rad, das Auge (der Sonne 5)). Mit den neun germanischen Kräu-




1) Vergl. auch Simrok, deutsche Mythol., S. 555 ff.
2) Kuhn, die Herabkunft des Feuers, S. 45 u. 48 ff.
3) Kuhn, a. a. O. S. 53 ff.
4) Kuhn, a. a. O., S. 68; Schwartz, Ursprung der Mythologie, S. 15 ff. u. 192 ff. In Uebereinstimmung mit Kuhn und Schwartz deutete auch schon früher W. Grimm, die Sage des Polyphem, Berlin 1857, S. 27, dessen Auge.
5) Kuhn, S. 69, Anm.



Seite 424


tern, neun Holzarten, neun Radspeichen und 81 drehenden Jünglingen sind zu vergleichen oder stehen sich gleich die neun oder neun Mal neun Thränen, welche die Mutter Erde, die trauernde Mutter und Wittwe über ihren von drei treulosen Gesellen erschlagenen, oder den dreimonatlichen Winterschlaf schlafenden Sonnensohn und Sonnengott Hiram weint. Der drei Tage oder drei Monate im Grabe schlafende Hiram gleicht der als Proserpina in der Unterwelt abwesenden Aphrodite, welche erst im Frühjahre mit den Blumen als Aphrodite zu ihrer trauernden und verlassenenen Mutter Demeter, die blos eine andere Gestalt ihrer selbst ist, zurückkehrt. An den aus dem Grabe wiedererstehenden Hiram und die dann wieder blühende Akazie erinnert auch die deutsche Sage von den im Innern der Berge mit ihren Helden schlafenden deutschen Kaisern, Karl dem Grossen und Friedrich Barbarossa, welche einstens wieder erwachen und das deutsche Reich wieder herstellen sollen. Die deutsche Volkssage fügt hinzu, der erwachte Kaiser werde seinen Schild an einen dürren Baum hängen, der sofort wieder blühen werde. 1) Schwartz, Ursprung der Mythologie, S. 105 und 208, will auch die sieben Jahre des Odysseus, während welcher der Sonnenheld im himmlischen Meere auf der Insel der Kalypso den Bogenkampf, den Kampf mit dem Regenbogen, das Blitzeschiessen oder Senden meiden muss, auf die sieben Wintermonate beziehen. Odysseus wäre sonach mit Apollo gleichbedeutend, welcher letztere auch nach sieben Monaten geboren und stets wiedergeboren wird, in Uebereinstimmung womit Schwartz das E oder Ei an der Tempelwand zu Delphi auf die fünf Sommermonate deutet, in denen Apollo herrscht und lebt. Im Frühlingsmonate wird der siegreiche Licht- und Sonnengott mit dem Bogen (nach Schwartz dem Regenbogen) und den Pfeilen (den Blitzen) aus den dunkelen Gewitterwolken in der Mitte des Himmels, in dem Nabel der Erde zu Delphi geboren und erlegt sogleich den winterlichen Drachen Python. Im Winter ist Apollo gleich Hiram todt und weilt bei den Hyperboreern im Norden, im Grabe, es ist ihm, wie




1) Menzel, Odin, S. 344 ff.



Seite 425


dem deutschen Tôrr sein Hammer, sein Blitz von Winterriesen geraubt. Diesem nach sieben Monaten gebornen oder wieder wiedergeborenen Apollo stehen ganz gleich die weissen Frauen der nordischen und deutschen Mythologie, welche alle sieben Jahre wiedererscheinen, denn auch diese sieben Jahre sind nur die sieben Wintermonate, nach denen das siegreiche, erwärmende und beglückende Himmelslicht, die weisse Frau, die spinnende Mutter und. Königin Bertha, 1) zurückkehrt. In den sieben Kindern der Niobe (nach Apollodor), einer Art Winterkönigin, erblickt Schwartz , a. a. O., S. 106, gleichfalls die sieben Wintermonate, welche Apollo mit seinen Pfeilen oder Blitzen tödtet. Die Thränen der Niobe erklärt Schwartz für den im Sommer nach den blitzenden Gewittern strömenden Regen, wie die Hyaden, die Regennymphen, im Regen den Tod ihres von einer Schlange (einem Blitze) getödteten Bruders beweinen. Der Tod oder die Tödtung der zwölf Kinder der Niobe ist von Andern ähnlich und sinnvoll früher schon dahin verstanden und ausgelegt worden, dass die Niobe die Jahresgöttin und ihre zwölf Kinder die zwölf Monate des ablaufenden Jahres seien, welche von dem neu beginnenden Jahre (dem Sol novus, Apollo in der Wintersonnenwende) unerbittlich getödtet und verschlungen werden. Endlich erblickt Schwartz, a. a. O., S. 184, in den. sieben Jünglingen und Jungfrauen, welche alle acht Jahre d. h. jährlich im achten Monate dem Minos geopfert werden sollen, die sieben winterlichen Sommer- und Mondwesen, die sieben Wintermonate, die der dann folgende Sommer hinwegnimmt, bis die Herbstgewitter, der Licht- und Blitzheld Perseus, geleitet von dem Faden der Ariadne, d. i. nach Schwartz von dem Blitzesfaden, den Minos- und Sommerstier im Wolkenlabyrinthe auffindet und tödtet. Aehnlich soll nach Schwartz, a. a. O., S. 82, die Königin Omphale, welcher Herakles dient, nur die Winterszeit sein, welcher die schwach und kraftlos gewordene Sommersonne unterlegen ist, wie die Nymphe Kalypso den Bogenhelden Odysseus in ihren Liebesnetzen gefangen hält; es ist derselbe Herakles, welcher im Herbste gleich dem Phönix




1) Menzel, Odin, S. 56.



Seite 426


sich auf dem Holzstoss selbst verbrennt, um sich im Frühlinge aus seiner Asche, aus dem Grabe wieder stärker und schöner zu erheben. Das Löwenfell, welches Herakles als Symbol seiner Sonnenstärke, der höchsten Sonnenkraft im Sternbilde des Löwen trägt, da er selbst diese Löwensonne ist, hat er bei der Omphale, in der Winterszeit abgelegt und die Omphale, der siegreiche Winter, ist nun in das Löwenfell, freilich im umgekehrten Sinne, gekleidet. 1) Mit den Waffen des Herakles verhält es sich nach bildlichen Darstellungen ebenso, denn die Omphale hat nun die Keule erfasst.

Eine neue Kirche und eine neue Loge gründen, heisst im höhern und ursprünglichen Sinne, ein neues Himmelsfeuer zum Symbole und zur Verehrung des ewigen Lichtes und Gottes entzünden und von nun an nicht mehr erlöschen zu lassen, sondern es als ein heiliges und ewiges Feuer zu nähren und zu bewahren. Anfänglich gab es keine gemeinsamen Plätze der Gottesverehrung, keine Gemeinde- und Volksfeuer, - keine Tempel-, Kirchen- und Logenfeuer, sondern nur vereinzelte Wohnungen und Feuerstätten, weshalb noch heute vielfach in Deutschland die Grösse der Dörfer nach der Zahl der Feuerstätten bemessen und gezählt wird. Die ersten Feuer (Hestien) waren die Herdfeuer des einzelnen Hauses, die ersten Altäre die Hausherde und Hausaltäre , - die ersten Götter die Hausgötter und die ersten Priester jeder Familienvater in seinem Hause, wie die ersten Staaten Familienstaaten gewesen sind. Erst mit der fortschreitenden Gemeinde- und Staatenbildung entwickelte sich auch ein öffentlicher Gottesdienst, ein öffentlicher Feuerherd und ein öffentlicher oder gemeindlicher und staatlicher Priesterstand. Besonders in Rom sehen wir noch in den spätern Zeiten, wie lange sich der Dienst und die Verehrung der Gottheiten einzelner angesehener Familien, Geschlechter oder auch Volksstämme erhielt und wie sich diese Gottheiten allmählig in Gottheiten der ganzen Stadt, des ganzen Volkes und Staates umwandelten. Dass in Griechenland und Rom öfters die Besorgung des Gottesdienstes, der Tempeldienst ein Vor-




1) Dunker, Geschichte des Alterthums., I. S. 266.



Seite 427


recht, ein erbliches Recht gewisser Familien und Geschlechter war, muss daraus erklärt werden, dass diese Familien und Geschlechter ihren Gott gleichsam bedingungsweise der Stadt und dem Staate abgetreten hatten. Dass in einzelnen, ursprünglich mehr oder weniger weit von einander entfernten Häusern und Feuerstätten das einmal entzündete Feuer nicht mehr erlöschen durfte und durch Zudecken mit Asche, Zulegen von neuem Holze auch während der Nacht stets brennend und glimmend erhalten wurde, gebot der Urmenschheit ihr eigenes dringendes Bedürfniss und aus diesem Bedürfnisse ist zunächst besonders der parsische und indische, wohl auch der griechische und römische Feuerdienst entstanden. Die ewigen Feuer oder Lichter des späteren gemeinsamen Feuer- und Gottesdienstes sind nur die ursprünglichen Herdfeuer, welche den ersten Menschen die Nothwendigkeit gebot, nicht mehr erlöschen zu lassen; die ersten Menschen mussten das erste Feuer, die Quelle des Lichtes und der Wärme, den mächtigen Gehülfen zu so vielen andern Zwecken und Diensten als die höchste Himmelsgabe, gleichsam als eine wohlthätige Gottheit betrachten, bewahren und verehren. Man versetze sich im Geiste recht lebendig zurück, in die ersten Zeiten der Urmenschheit, man erwäge die wohlthätgen, aber auch die zerstörenden Wirkungen des Herdfeuers und des im Innern der Erde thätigen und tobenden vulkanischen Feuers, und man wird begreifen, wie fast in allen Urreligionen, Sagen und Mythologieen der Völker das Feuer zum Symbole Gottes und des Teufels, des Ormuzd und des Ahriman, des Guten und des Bösen geworden sei, wie der Himmel und die Hölle, die Ober- und die Unterwelt, jene als Sitz des wohlthätigen Lichtes und Feuers, diese als Sitz des zerstörenden und doch reinigenden Feuers entstanden seien. Die im Innern der Erde thätigen vulkanischen Kräfte personificirte der phantasiereiche Arier leicht zu einem dort eingeschlossenen bösen Feuergeiste; die noch jetzt in den arsischen Ländern, besonders am kaspischen Meere häufigen 1) und früher wohl noch häufigeren, und heftigeren Erdbeben waren die Bewegungen des bösen




1) Dunker, Gesch. des Alterthums, II. S. 296 (der ersten Ausg.).



Seite 428


Geistes, seine Kämpfe mit Ormuzd, welcher ihn zum Wohle der Menschheit und der Erde wieder bezwingen und fesseln musste; der aus den Kratern aufsteigende Qualm und Feuerrauch war das Athmen des bösen Geistes. 1) Wenn auch später der in Masenderan oder im nördlichen Medien in der Gegend des caspischen Meeres gelegene Vulkan Demawend als ein Hauptsitz des Ahriman betrachtet worden sein mag, ist doch die Entstehung des Begriffes von Ahriman nicht ausschliesslich an den Demawend anzulehnen, wie es von Kruger geschehen. Nach Ritter, Erdkunde, Thl. VIII. S. 561 u. 62, feiert das Bergvolk des Demawend übrigens noch jetzt alljährlich mit lautem Jubel, mit Geschrei und wildem Jagen auf Pferden und Maulthieren, mit Freudenfeuern auf allen Spitzen der Berge am 31. August das Fest des Sturzes des Zohak. 2) Auch der griechische Typhon ist nur der arische Ahriman, ein Demawend, ein personificirter feuerspeiender Berg. 3) Selbst in dem ältesten heiligen Buche der Sinesen, dem Yking, wird von einem Drachen- oder Drachengeiste geredet, welcher, da er in seinem Uebermuthe zu dem Himmel hinauffahren wollte, in die Tiefe hinabgestürzt wurde. 4) Ebenso waren Vulkane und Erdbeben bei den Südseeinsulanern die Veranlassung, einen bösen Gott oder Peli, einen Zerstörer und furchtbaren Geist zu bilden, wie nach der Ansicht von Schweiger selbst der ägyptische Typhon ein vulkanisches Erzeugniss sein soll. 5) - So ging bei den Iraniern der Licht- und Feuerdienst gleichsam aus den natürlichen Verhältnissen, aus der Beschaffenheit des von ihnen bewohnten Landes mit seinen so grossen und reichen Gegensätzen




1) Dunker, Geschichte des Alterthums, II. S. 309, Anm. (der ersten Ausgabe).
2) Vergl. auch in Petermann's Mittheilungen aus dem Gesammtgebiete der Geographie für 1859, S 74 ff.: Die Besteigung des Vulkans Demawend durch den österr. Bergingenieur Czernotta im J. 1852; - ebendaselbst S. 49 ff.: Dr. Th. Kotschy's Erforschung und Besteigung des Vulkans Demawend, mit den Abbildungen Taf. 4.
3) Preller, griech. Mythologie, I. S. 51.
4) Schlegel, Geschichte der Philosophie, I. S. 111.
5) Pölitz, Jahrbücher der Geschichte und Staatskunst, 1829, August, S. 186.



Seite 429


hervor. Die Priesterschaft aber als eine öffentliche oder als eine Staatseinrichtung entstand aus dem Bedürfnisse, das heilige Feuer brennend zu erhalten und nicht mehr erlöschen zu lassen, 1) jedoch auch mit dem Feuer den Glauben und die Religionsgebräuche zu erhalten, welche letztern mit dem erstern unzertrennlich verbunden sind. Die ursprüngliche unendlich hohe und stets dauernde Aufgabe des Priesterthums ist die Bewahrung und Verbreitung des wirklichen und des geistigen Lichtes, des irdischen und des himmlischen Feuers, und diese Aufgabe haben die Freimaurer mit der Priesterschaft gemein, indem auch sie Lichtpriester, Lichtbewahrer und Lichtverbreiter sein sollten. Der parsische Priester Atarevakhshô ist wörtlich Derjenige, welcher das Feuer wachsen macht, d. h. den Feuerdienst besorgt. 2) Der Zendavesta nennt die Priester stets Atharva, d. h. nach Dunker, a. a. O., II. S. 378 oben, mit Feuer versehen. Auch wurden die Priester caoskjantô's d. i. Feueranzünder, Feuerpriester genannt, wie ein solcher bei den Maurern auch der Meister vom Stuhl ist. Im Alterthume und selbst noch besonders bei den Griechen fiel die Gründung neuer Familien und Privatwohnungen, neuer Gemeinden und Staaten als gleichbedeutend zusammen mit der Errichtung neuer Privat- oder öffentlicher Feuerstätten. Bei den Deutschen wurde bei Heimführung der Braut das Feuer angemacht, ein neues Feuer als Symbol der neu gegründeten Familie angezündet, wie es noch heute an verschiedenen Orten der Gebrauch ist. 3) Wie sein Feuer an einem Orte anzünden, eine Feuerstätte errichten, so viel heisst, als sich ansiedeln, sich niederlassen, den Wohnort und das Leben wählen, - ein Haus der Gottheit und sich selbst, eine Stätte des ewigen Feuers errichten, 4) wird umgekehrt Jemand rechtlos gemacht, ausgetrieben und verbannt, verfemet, indem man ihm Wasser und Feuer entzieht indem man das Wasser




1) Vergl. über die Pflichten der parsischen Priester Spiegel, Avesta, II. Einleitung S. XVII.
2) Spiegel, Avesta, II S. XVII der Einleitung.
3) Grimm, Rechtsalterthümer, S. 195.
4) Simrok, deutsche Mythologie, S. 478.



Seite 430


ihm stopfet und das Feuer löschet (aqua et igni interdietio). 1) Das Feuer ist somit nicht blos das Symbol des ewigen Lichtes und der Gottheit, sondern auch des irdischen Rechtes und des irdischen Lebens, der irdischen Nacht; wer des Lichtes, des Feuers entbehrt, findet weder auf Erden noch im Himmel die Ruhe und den Frieden, das Glück; der FrevIer wird in die Finsterniss gestossen. Diesem Anzünden und Löschen des Herdfeuers liegt zuletzt derselbe Gedanke des Lebens und des Todes, des Lichtes und der Finsterniss, des Guten und des Bösen, des Rechten und des Unrechten zu Grunde, wie den beiden Säulen Jakin und Boaz, vielleicht auch den beiden Cherubim auf dem Deckel der salomonischen Bundeslade und den zwei zehn Ellen hohen und breiten Cherubim vor der Bundeslade, 2) - der aufgehenden Sonne (Apollo) und dem untergehenden Monde (Artemis), dem Morgen- und dem Abendsterne, der erhobenen und der gesenkten Fackel. 3) Wollten die Maurer streng im Geiste ihres Lichtglaubens reden, sollten sie nicht sprechen und schreiben Br. John Locke (noch im 64. Jahre in England, aufgenommen), - Helvetius, Lalande, 4) Voltaire, 5) Baron von Stael-Holstein, schwedischer




1) Grimm, a. a. O., S. 194.
2) Polak, Tapis, S. 45.
3) Rhode, heilige Sage des Zendvolkes, S. 291.
4) Lalande war lange Jahre Meister vom Stuhl der Loge La Paix zu Paris, um welche er sich grosse Verdienste erworben. Vergleiche Lenning, Encyklopädie unter Lalande.
5) Voltaire wurde noch in seinem 83. Jahre vier Monate vor seinem am 30. Mai 1778 erfolgten Tode am 7. Februar 1778 (nicht am 7. Juni 1778, wie es durch einen Druckfehler bei Kauffmann und Cherpin, histoire philosophique de la Franc-Maçonnerie, Lyon 1846, S. 274 heisst) durch Lalande in der Loge des Neuf Socurs zu Paris aufgenommen, deren Mitglied auch Helvetius gewesen war. Nach dem Tode des Helvetitus hatte dessen Wittwe seine Maurerschürze und seinen sonstigen maurerischen Schmuck der Loge zurückgesandt, und diese Schürze band der Grüssmeister Lalande am Tage seiner Aufnahme dem Voltaire um, worauf Voltaire dieselbe küsste. Als Voltaire in die Loge eingeführt wurde, stützte er sich auf Franklin und Court de Gebelin, begleitet von dem Chevalier von Cubières. Die Trauerfeierlichkeit des Voltaire ist bei Kauffmann und Cherpin, a. a. O., geschildert. Vergl. auch Lenning, Encyklopädie, unter Voltaire und Helvetius.



Seite 431


Gesandter zu Paris, Mirabeau, Condorcet, Cambacerès, Crémieux, Garnier-Pagés in Frankreich, - Franklin, 1) Washington, Jefferson und Adams in Nordamerika; Blumauer, Bode, Boerne, Bürger, Claudius, Dalberg, Fessler, Fichte, 2) Forster (der Weltumsegler), Goethe, Graevell, Haugwitz, Heeren, Herder, Klopstock, Knigge, Krause, Krebs, Lessing, 3) Link, Mossdorf, Musaeus, Oken, 4) Schneider, Schroeder , Schubart, Stieglitz, Stollberg (Gebr.), Voss, Wedekind, Wieland, 1) Friedrich der Grosse, Kaiser Franz I. von Oesterreich , Maximilian I. von Baiern, Herzog Carl von Hessen, Herzog Ferdinand von Braunschweig-Lüneburg, Fürst Blücher u. s. w. in Deutschland 6) - Bodmer,




1) Franklin war schon vor dem J. 1734 in Amerika aufgenommen worden, indem er zum Meister vom Stuhl der ersten Loge in Philadelphia durch die Grossloge von Massachusets im J. 1734 ernannt wurde. Röhr, amerikanisch - deutsche Jahrbücher für Freimaurer, 1. Jahrg. Williamsburg 1856, S. 95-115 (Benjamin Franklin).
2) Ueber Fessler und Fichte vergl. den betreffenden Artikel in Lenning's Encyklopädie.
3) Lessing war in einer Loge zu Hamburg aufgenommen worden, blieb jedoch in dem Lehrlingsgrade stehen, und nahm an dem eigentlichen Logenleben später keinen Antheil mehr. Vergl. über ihn besonders Lenning's Encyklopädie.
4) 0ken war Mitglied der Loge zu Weimar zugleich mit Goethe, und Wieland.
5) Wieland wurde in seinem 76. Jahre in die Loge Amalia zu Weimar am 4. April 1809 aufgenommen. Vgl. Lenning's Encyklopädie.
6) In die Eleusinien waren die Kaiser Hadrian und Mark Aurel eingeweiht (Schömann, griech.Alterthümer, II. S. 357). Bei Lampridius ist uns aufbewahrt, dass die Mithrasmysterien der darin eingeweihte Kaiser Commodus mit Mord befleckt habe, "quum illie aliquid ad speciem timoris vel dici vel fingi soleat" (Windischmann, Mithra, S. 67). Zuletzt wurde der Kaiser Julian noch in die Eleusinien eingeweiht, wie es unter den frühern Römern Sulla, Varro, Crassus, Atticus und wahrscheinlich mit ihm Cicero, - Octavianus u. s. w. waren. Auch König Philipp von Macedonien, Demetrius Poliorcetes, Philipp Sohn des Demetrius, Apollonius von Tyana und wahrscheinlich auch Pindar, Sophokles und Sokrates waren eingeweiht. Auch verdient hier angeführt zu werden, dass der persische König Cambyses, welcher um das Jahr 525 nach Bunsen oder 527 nach Brugsch Aegypten eroberte, zufolge der Inschrift einer ägyptischen Statue, die Brugsch in seiner histoire de l'Égypte, I. S. 267 bis 269 mittheilt, sich zu Anfang seiner Regierung in die Mysterien der Neit unter Beobachtung der sämmtlichen Gebräuche einweihen liess und Alles für ihren Tempel und Cult that.



Seite 432


Heldmann, Hottinger, Lavater, Salis, Wieland und Zschokke in der Schweiz, - hatte das maurerische Licht erblickt und ist nunmehr in den ewigen Osten eingegangen, sondern wie auch von den einzelnen Logen: sie haben ihr Licht entzündet und wieder gelöscht.

Noch bis in die neuere Zeit galt in einigen Gegenden Deutschlands die Sitte, bei Gutsübergaben das alte Feuer zu löschen und ein neues anzuzünden. Der in Island anlandende Norwege bemächtigte sich des ganzen Grundes, den er von sechs Uhr Morgens bis sechs Uhr Abends durchreisen konnte; wo die Tagereise begann und endete, wurde Feuer entzündet, das hiess ein Stück Land mit Feuer umziehen. Auch bei gekauften Grundstücken geschah Aehnliches. 1) Dass ein neues Leben, eine neue Herrschaft, eine neue Kirche, eine neue Loge, ein neues Jahr nur das Entzünden eines neuen Lichtes sei, hat sich besonders auch in einem Gebrauche erhalten, womit noch jetzt zu Damaskus in Syrien, wie früher auch zu Kairo in Aegypten, im Monat April das drei Tage dauernde, alte persische Neuruzfest, d. h. das Fest des neuen Jahres gefeiert wird. Am Abende des Festes nämlich laufen die Knaben mit angezündeten, in Oel getränkten Spänen durch die Gassen, reissen sich dieselben aus den Händen und suchen sich diese gegenseitig auszulöschen. 2) Dieses Kinderspiel ist nur ein Symbol des Kampfes zwischen dem scheidenden alten und neuen Jahre, zwischen der alten und neuen Sonne, dem alten und neuen Lichte, dem besiegten Winter und dem siegreichen Sommer, wie denselben Kampf und Sieg bei den deutschen Frühlingsfesten ein Strohmann und ein grüner Epheumann, ein jubelnd verbrannter grosser Puppenmann u. s. f. symbolisiren. Denselben Kampf, welchen unsere weisen Polizeien nicht selten gegen solche ihnen unverständlichen alten Volksgebräuche führten und führen, haben zu Kairo nach Kremer erfolglos auch mehrere Chalifen gegen das Knabenspiel der brennenden Späne geführt. In Rheinbaiern gehen




1) Grimm, Rechtsalterthümer, S. 195.
2) Kremer, Mittelsyrien und Damaskus, geschichtliche, ethnographische und geographische Studien, S. 121.



Seite 433


noch heute am Rosensonntag Lätare in Städten und Dörfern die Knaben mit einem Strohmanne und einem Epheumanne singend von Haus zu Haus:

Ri, Ra, Ro, der Summertag ist da! u. s. w.

oder auch:

Stab aus, dem Winter gehen die Augen aus.

Leider sind diese Kinderlieder nun aus dem Gedächtnisse verschwunden, wie unvergesslich mir auch die Zeiten sind, als noch jene Lieder tönten. Die Knaben sind dabei gewöhnlich in weisse Hemden und die Mädchen in weisse Kleider gekleidet. Fast alle Kinder erhalten auch an diesem Tage einen weissen Stab mit einer gebackenen Bretzel oben, in welcher frische Buchszweige und Blumen stecken; mit diesen Stäben laufen sie singend und jubelnd einher. Auf diese Stäbe spielt der Eingang des zweiten Liedes an. 1) Diese germanischen Frühlingsfeste erinnern besonders an die von den Griechen ungefähr zu derselben zu Ehren des Dionysos im Monat Anthesterion (Februar) durch ganz Griechenland und auch auf den Inseln und in Kleinasien gefeierten Anthesterien, wobei namentlich auch die Kinder mit den ersten Blumen des Frühlings bekränzt wurden; 2) noch mehr aber gehört hierher das im Monate Elaphebolion (März) gefeierte Fest der grossen oder städtischen Dionysien, ein Fest des von der Noth und den Sorgen des Winters befreienden Dionysos.




1) Vergl. Welker, griech. Götterlehre, I. S. 434.
2) Preller, griech. Mythol., I. S. 420 ff.