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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer






Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei
mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums
von Dr. Jos. Schauberg, Zürich 1861

B a n d I. - Kapitel XXXII.



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Der Segen des Evangelisten Johannes.

Ein Toast, ausgebracht im Namen der neu aufgenommenen Brüder.

Im Namen der neu aufgenommenen Brüder, wünsche ich Ihnen dreifach den Segen Johannis des Evangelisten:

An dem Geburtstage Johannis des Evangelisten, welchen wir heute feiern, bestand früher in der katholischen Kirche der Gebrauch, dass die Gläubigen ein Gefäss mit Wein nach der Kirche brachten, damit es hier im Namen des Johannis von dem Priester gesegnet werde. Der also gesegnete Wein wurde Johannissegen genannt, und in den Häusern als ein Heilmittel gegen alle Vergiftungen aufbewahrt und gebraucht. Da Johannes der Evangelist den Giftbecher ohne Nachtheil für seine Gesundheit getrunken hatte, glaubte man durch seinen Segen dem Weine die schützende Kraft gegen das Gift zu verleihen. Mögen die neu aufgenommenen Brüder und Sie alle in der Maurerei den Johaunissegen finden, welcher alles Gift und alles Böse der Welt überwindet. Dieses Heilmittel bewahren und gebrauchen Sie bis an das Ende ihres Lebens, dann wird selbst der Tod keine Gewalt über Sie haben. Mein erstes Hoch dem Johannissegen, der Maurerei!

Johannis war der Jünger, welchen der Herr wegen seiner unwandelbaren Treue vor allen lieb hatte. Johannes ist der Jünger der Liebe, weil mit dem liebevollsten Herzen der Herr ihm und er dem Herrn zugethan war. Daher wurde ehemals in der katholischen Kirche bei Hochzeiten den Neuvermählten von den Geistlichen die Liebe Johannis des Evangelisten angewünscht, indem er ihnen im Namen desselben den Segen ertheilte und einen Trunk Wein darbrachte. Auch den neu aufgenommenen Brüdern




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wünsche ich die Liebe des Evangelisten, möchten ihr alle Brüder so unerschütterlich treu ergeben sein, als der Evangelist dem Herrn ergeben war. Meine Brüder alle, vergessen Sie niemals, dass der Evangelist, da es ihm wegen Altersschwäche nicht mehr möglich war, ausführlich zu der Gemeinde zu reden, - sich dennoch stets in ihre Versammlungen tragen liess, und ihnen, so oft er kam, die Worte zurief: "Kinder, liebet euch unter einander." Mein zweites Hoch dem Johannissegen, der Bruderliebe und Brudertreue!

Wenn früher treue Freunde, wenn Brüder scheiden mussten, tranken sie vor dem Scheiden und vor dem Antritte der gefahrvollen Reise den letzten liebevollen Trunk, den Johannistrunk oder Johannissegen, womit man sich gegenseitig die Liebe und Treue des Evangelisten, das Wiedersehen mit dem alten Herzen anwünschte. In den Rheinlanden und besonders im Rheingau wird noch heute unter dem Namen des Johannistrunkes der freundliche Abschied getrunken. Mein stärkstes, letztes Hoch dem Johannissegen, dem treuen Wiedersehen! 1)

Das Trinken des Johannissegens ist nur die christliche Umwandlung und Umgestaltung der alten heidnischen Trankopfer, des Minne- oder Gedächtnisstrinkens der Götter, besonders Wuotans, Thôrs, Njörds, Freys und Freyjas. Auch gehört hierher der maurerische Gebrauch, dass an dem Feste Johannis des Täufers auf das Andenken aller abwesenden und wandernden Maurer der ganzen Erde ein Trunk mit einem dreifachen Hoch getrunken wird. Auch dieser maurerische Johannistrunk, Johannisminne, wovon sich selbst im deutschen Volksleben noch manche Spuren erhalten haben (Morgenblatt 1854, S. 688), ist heidnischen Ursprunges und die Tafellogen der Maurer an dem Feste Johannis des Evangelisten und des Täufers sind wohl überhaupt nur die Ueberreste der in diesen Zeiten einst üblichen heidnischen




1) Quitzmann, die heidnische Religion der Baiwaren, S. 249 ff.; Schmeller, bayerisches Wörterbuch, Thl. II. S. 268 und S. 593; Benecke, mittelhochdeutsches Wörterbuch, unter Minne und Segen; Ersch und Gruber, allgemeine Encyklopädie, Sect. II. Thl. XXII. S. 271; Simrok, deutsche Mythologie, S. 521.



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gemeinsamen Opfermahle, wobei auch Trankopfer im eigentlichen Sinne und Minnetrünke, d. h. Gedächtniss- oder Erinnerungstrünke, besonders auch der Abwesenden und Verstorbenen vorkamen. Zu Heimramms Zeiten, also Anfangs des 8. Jahrhunderts, sagt Bischoff Aribo von Freising, waren die Baiwaren noch solche Neulinge im Christenthume, dass die Väter aus demselben Kelche ihren Söhnen die Minne Christi und der Heidengötter zutranken. Wie neuerlich Hartwig, Untersuchungen über die ersten Anfänge des Gildewesens, in den Forschungen zur deutschen Geschichte, herausgegeben von der historischen Kommission der königl. baierischen Akademie der Wissenschaften, I. 1 (Göttingen 1860), S. 149, beziehungsweise 133 ff. ausgeführt hat, hängt jedenfalls der Name, wenn auch weniger die Ausbildung der Gilden mit den alten heidnischen Opfermahlzeiten zusammen oder diese wurden Gilden genannt. Denn Gilde ist ursprünglich das aus gemeinschaftlichen Beiträgen gehaltene Opfermahl, dann Opfermahlzeit überhaupt und endlich die Genossenschaft (conjuratio, confratria, collecta), wie Geld selbst Tribut, Zins und dann Opfer bedeutet. Zu diesen gemeinsamen Opfermahlzeiten musste jeder Freie seinen Antheil an Speise und Trank mitbringen. Hatte man die Opferthiere geschlachtet, die Götterbilder und Altäre und Tempelgebäude mit Opferblut bestrichen und das Volk damit besprengt, dann wurde das Fleisch in Kesseln gekocht und verzehrt. An die Speise schloss sich sofort auch der Trunk an. Beiderseits der Feuer, so beschreibt Maurer eine solche Festlichkeit, über denen die Kessel hingen, sass das Volk und man trank sich gegenseitig über die Feuer weg zu; dem Vorsitzenden, welcher den vornehmeren der beiden Hochsitze einnahm, lag es ob, die Opferspeise und den Opfertrunk zu weihen und die feierlichen Trinksprüche auszubringen. Man trank aber Odhins Becher um Sieg und Mase, Njörds und Freys Horn um ein gutes Jahr und Frieden, auch wohl ein Horn für Thôrr, für Freyja, oder zur Erinnerung an die eigenen Verstorbenen. Minne - minni - nannte man solches Trinken, und jeder einzelne Becher wurde als Full bezeichnet; das ganze Opfer nimmt durch diesen gemeinsamen Genuss von Speise und Trank




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den Charakter eines Gastmahls an: blotveizla, Opfermahl, mag die Feierlichkeit darum heissen, und gildi, ursprünglich das Opfer bezeichnend, kann später auch den Begriff eines einfachen Gastgelages annehmen. Als das Christenthum sich im Norden ausbreitete, mussten sich die Uebergetretenen von diesen Opferschmausereien loskaufen, wie Adam von Bremen berichtet, bis dass die Könige selbst Christen wurden und die Sitte, grosse Gastmähler und Gelage zu halten, fortbestehen liessen. König Hakon, verpflichtete sogar die Unterthanen, das Bier zu dem Julfeste nach wievor zu bereiten, und Olaf Trygvason liess in Folge einer Weisung des heil. Martin von Tours, der ihm im Traume erschienen war, die Becher, die früher zu Ehren Odhins und der übrigen Götter geleert worden waren, jetzt zu Ehren Gottes, des heil. Martin und der anderen Heiligen zu Weihnachten, Ostern, am Johannis- und Michaelsfeste trinken. Die Biergilden waren Vogteipflichtige, die eine Abgabe an Bier entrichten mussten. Die Gilden, welche während des 8ten und 9ten Jahrhunderts als dauernde Vereinigungen zu gegenseitiger Unterstützung für Fälle der Noth, als eidliche Verbrüderungen (conjurationes) bestanden und mehrfach, namentlich auch von Karl dem Grossen, wegen der damit verbundenen Trinkgelage und Ausschweifungen oder Unordnungen durch Gesetze verboten wurden, verfolgten auch religiöse Zwecke und mochten bestrebt sein, den alten Glauben, die alten Sitten und Gebräuche gegen das eindringende Christenthum aufrecht zu erhalten, worin gewiss mit der Hauptgrund lag, ihnen entgegenzutreten. Wie noch heute in den Volksfesten, in den Tauf-, Hochzeits- und Leichengebräuchen sich sehr vieles uralt Heidnisches forterhalten hat, muss dieses sich noch weit stärker bei den Germanen in den ersten Zeiten des Heidenthums kundgegeben haben, oder das erste germanische Christenthum konnte blos das Heidenthum in christlichem Gewande sein. Jene Gilden, jene ältesten eidlichen Verbrüderungen als geheime, als streng geschlossene, waren um so festere Burgen des ursprünglichen Volksthums. Die ersten Handwerksgenossenschaften, Handwerksverbrüderungen mit den gemeinschaftlichen Trinkgelagen und zur gegenseitigen Unterstützung




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in Gefahr und Unglück, Krankheit und Tod konnten kaum eine andere Gestalt, als diejenige der hergebrachten Gilden annehmen und wurden erst allmählig als reine und ganz beschränkte Handwerksgenossenschaften, als die Zünfte mit den städtischen Verfassungen ausgebildet. Vielleicht dürfte der Gegensatz der Gilden und der spätern eigentlichen Zünfte darin gefunden werden, dass jene allgemeine Volksgenossenschaften diese Genossenschaften der städtischen Handwerker gewesen seien. Die gemeinsamen Mahlzeiten und Gelage, das Minnetrinken, waren aber beiden Genossenschaften gemeinsam; die Gildebrüder sowohl im Holsteinischen, als in Schwaben wurden auch Minnebrüder genannt, wie später auch manche Gilden Minnen hiessen. In dem Capitulare vom Jahr 779 (bei Pertz, I. 37) heisst es: "Dè sacramentis per gildonia invicem conjurantibus, ut nemo facere praesumat. Alio vero modo de eorum elemosinis, aut de incendio, aut de naufragio, quamvis convenientibus faciant, nemo in hac jurare praesumat." Die alten und ursprünglichen Gilden hingen auch wohl mit der Gemeinde- und Gerichtsverfassung, selbst mit dem Heerbanne zusammen, oder waren Gemeinds-, Gerichts- und Heerverbände, gerade wie später die Zünfte mit der städtischen Gemeindeverfassung und dem städtischen Heerwesen in Verbindung traten, mehr oder weniger die bestimmende Unterlage derselben wurden, - die Zunftmeister zugleich Rathsmitglieder, Gerichtsmitglieder und Heerführer waren. Je weniger noch eine centrale Staats- und Stadtgewalt sich entwickelt hatte, je weniger von dieser Schutz und Hülfe zu erwarten stand, um so mächtiger, thätiger und einflussreicher mussten jene sein; Selbsthülfe durch Genossenschaften ist ein Grundzug des germanischen Mittelalters und musste die noch fehlende centrale Staatsgewalt ersetzen, weshalb auch bei dem spätern Hervortreten dieser in demselben Verhältniss jene zurücktritt und machtlos wird. Gerade aus dem Capitulare von 779 ist zu ersehen, dass die Gilden auch Verbrüderungen gegen Schaden durch Brand und Schiffbruch waren, und noch mehr mussten dieselben bei der dermaligen Rechtsunsicherheit gegen Verbrechen, besonders gegen Mord und Diebstahl, ihre Glieder schützen; eine gemeinschaftliche




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Unterstützungskasse, eine Gildenkasse, eine Zunftkasse war gewissermassen eine Nothwendigkeit, etwas durch die Zeitverhältnisse Gebotenes. Hartwig leitet daher die Gildengenossenschaften nicht sowohl von den alten Opfer- und Gelagsgenossenschaften ab und theilt die von Kemble und Wilda dagegen erhobenen Einwendungen und Bedenken; Wilda namentlich wollte die klösterlichen Verbrüderungen zum Vorbilde der Gildenverbrüderungen machen: sondern Hartwig betrachtet die schon im Laufe des 8ten und 9ten Jahrhunderts auftretenden politischen Gildekorporationen, welche für die Entwickelung des Städtewesens von der grössten Bedeutung geworden sind, als die Folge des staatlichen Bedürfnisses eines wirksamen Schutzes der Freiheit und des Eigenthums, verbunden mit der christlichen Mildthätigkeit und der christlichen Sorge für das Seelenheil. Wir können, abweichend von Hartwig, S. 163, nicht füglich glauben, dass man den Gildengenossenschaften seit dem 8ten Jahrhundert blos deshalb den Namen Gilden sollte beigelegt haben, weil ihre Gastmahle und Zechen den heidnischen Opferschmausereien ähnlich gewesen, sondern es muss in der Sache und der Einrichtung selbst eine gewisse Uebereinstimmung und ein gewisser Zusammenhang gewesen sein, und blos aus diesem Grunde wählte man für die alte Einrichtung den alten Namen; die christliche Geistlichkeit suchte aller Wahrscheinlichkeit nach auch in dieser Richtung das Heidenthum zu christianisiren, das Christenthum an das Heidenthum anzuknüpfen. In den romanischen christlichen Ländern mögen schon vor dem achten Jahrhundert christliche Unterstützungs- und Armenvereine und Verbrüderungen bestanden haben, und namentlich mögen die Klöster solche gebildet und unterstützt haben; ebenso mögen in Nord- und Süddeutschland die so häufig vorkommenden Kalandsgilden oder auch kurzweg Kalanden (fraternitates Kalendarum, sich an den Kalenden oder dem ersten Tage jeden Monats versammelnde Vereine) in ihren nächsten Zwecken denselben nachgebildet gewesen sein: allein hierdurch werden die germanischen politischen Gilden noch nicht genügend erklärt; wohl aber sind sie dieses, wenn schon die alten Opfergilden ein gewisser volksthümlicher und politischer Verein waren, welcher




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die Möglichkeit und den Keim zu weiterer Fortbildung in sich trug. Gerade die Kalandsgilden bestätigen dieses insofern, als hier sofort das Religiöse nach uralt germanischer Weise mit dem Geselligen, mit dem Opfermahle, mit dem monatlichen gemeinsamen Essen und Trinken verbunden wurde. Diese monatlichen Schmausereien und Gelage der Kalanden, bei denen vorausgehend erst die Vereinsangelegenheiten besorgt und abgethan wurden, sind durchaus nicht verschieden von den monatlichen Auflagen der spätern Gesellenbrüderschaften. Die Grundursache und der Träger aber der Gilden, Zünfte und aller ähnlichen politischen Verbindungen ist der genossenschaftliche Sinn, der Freiheits- und Unabhängigkeitssinn des indo-germanischen Volksstammes, welcher bei den Baktrern, Indern, Griechen und Germanen gleichmässig zur Bildung freier kleinerer Vereine, vorzüglich aber der freien Gemeinden und Städte treibt und die Bildung einer allesverschlingenden Staatsgewalt hindert, wie dieses noch heute der grosse Vorzug und die grosse Schwäche Deutschlands ist. Auf dem Gebiete der Geschichte werden die Räthsel nicht selten absichtlich geschaffen, damit die Gelehrten nur etwas zu thun und zu streiten haben; dahin gehört auch das Räthsel über die germanischen Gilden, während in dem Orte und der Zeit ihres Entstehens und Bestehens schon verständlich genug auch die Ursache desselben aufgeschlossen liegt. Woher entstanden die freien griechischen Staaten, die griechische Kunst und Wissenschaft? Gewiss nicht von den Persern. Hartwig, S. 162, sagt: "Schon zur Regierungszeit Karls des Grossen scheinen vorzüglich die Städte die Sitze der Gildenvereinigungen gewesen zu sein. Wir haben schon Gilden zur Unterstützung von Schiffbrüchigen in dem Capitulare von 779. Wo aber Schifffahrt ist, da ist auch Handel, und wo Handel, da sind auch Stapelplätze und städtische Niederlassungen." Allein dieses sind hohle Phrasen, denn wo Schiffbrüche sind, sind nur Schiffe auf dem Wasser, und wo Handel getrieben wird, sind nur Handeltreibende; jedoch in Schiffen fahren und Handel treiben nicht blos die Städte, sondern die grosse Mehrzahl der Völker und zumal der damaligen Völker ausserhalb der Städte, ohne Städte an den




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Küsten des Meeres und den Ufern der Flüsse; das germanische Städtewesen war im 8ten Jahrhundert noch völlig unentwickelt.

In einem alten Schauspiele von Salomo's Urtheile sagt die rechte Mutter zu dem Kinde, das ihr die Henker entreissen wollen: "Ach saug noch eins zu guter letz Und drink nun Sanct Johannes drunk." 1) Scherzend gab man sich die Räthselfrage auf: welcher Heilige der grösste Füller sei, und antwortete: "Johannes der Evangelist, denn wenn einer so viel getrunken hat, dass er 'kaum lallen kann, so muss er noch St. Johannes Segen trinken." 2) - Wolf, mythol. Zeitschrift, I. S. 468, führt an: "Wirt gib uns sant Johans wein, alde ich far dahin." - In den Fastnachtsspielen, S. 488, 19, wird gerufen: "Knecht bring uns Johans minnen, es ist Zeit dass wir gangen hinnen." 3)




1) Weimar. Jahrbuch, Vl. S. 29.
2) Ritbökelin, Hamburg 1594, S. 10.
3) Vergl. auch noch Grimm, Mythol. S. 54 ff.