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Freimaurerei, Freimaurerlogen, Freimaurer




Alles Sichtbare haftet am Unsichtbaren, das Hörbare am Unhörbaren, das Fühlbare am Unfühlbaren: Vielleicht das Denkbare am Undenkbaren.

- Novalis -
   

Der rasche innere Fortschritt geschieht nur durch starke Erschütterungen.

- Carl Hilty -
   

In einer Gruppe zusammengehöriger Menschen verbindet nichts so sehr wie gemeinsam erlebte große Ereignisse und Eindrücke.

- Kurt Adolf Körber -

Freimaurerische Erlebniswelt verstehen

Die Theologie und ähnlich die Philosophie denken sich bis an den Rand des Undenkbaren heran. Unter Anschauung des Universums versucht die Freimaurerei auf eine ihr eigene Weise, das Gedachte spiegelnd und in der Symbolik gründend, das undenkbare und unanschauliche Ganze im fiktiven salomonischen Tempelbau zu veranschaulichen. Das eine große Ganze, von der brüderlichen Liebe umfangen und durchdrungen, welches in sich unendlich differenziert und trotz aller Dissonanzen auf Erden als ein harmonisches Ganzes, der Weltbruderkette, gedacht ist, findet im symbolischen Bau des salomonischen Tempels, dessen Steine die Menschen sind, seine freimaurerische Verwirklichung. Die Freimaurerei läßt so Nähe zu, schafft aber auch Distanz. Sie trägt als Mysterienbund das Extreme in sich. Sie ist eine Kunst von höchster Komplexität. Sie fordert auf:

Schau in dich,(erkenne dich selbst und vervollkommne dich)
schau um dich,(erkenne deine Umwelt und handle als Weltbürger)
schau über dich.(erkenne die Endlichkeit deines Lebens und Wirkens im Universum und berücksichtige dieses in deiner Lebensführung)

Mit diesen kompakten, einleitenden Aussagen werden beim interessierten Leser sicherlich mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben. Bei der näheren Erläuterung ergibt sich ein weiter Bogen von der Religion über die Philosophie zu den Mysterienbünden und ihren rituellen Eigenheiten:

Beginnen wir abgrenzend mit einer Betrachtung der Welt der Theologie. Mit Theologie bezeichnete man ursprünglich in der griechischen Antike die Erzählungen der Dichter von den Göttern. Seit der Stoa, einer Philosophenschule in Athen im 3. Jh. vor Chr., bezeichnete dieser Begriff die wissenschaftliche Erörterung der Göttermythen, die Religionswissenschaft. Erst vom Mittelalter an ist mit Theologie die christliche Glaubenslehre in Europa gemeint.

Religion - was ist das?

Der Mensch sucht nach dem letzen Sinn seines Lebens. Da er aber in den Wechselfällen dieser Welt die letzte Orientierung nicht finden kann, schaut er in sehnsuchtsvoller Erwartung über die sichtbare Welt hinaus. Offenbar ist es in der Welt nur dem Menschen als geistigem Geschöpf möglich, das Dasein einer unsichtbaren höheren Macht, eines göttlichen Wesens, zu erspüren und zu erkennen. So kam der Mensch zum Glauben an überirdische Mächte und Wesen schon vor aller Zivilisation, vor aller Kultur, bereits unter primitiven Lebensverhältnissen. Es gibt keine Zeit menschlicher Geschichte ohne Religion. Der Glaube hat sich viele Ausdrucksformen geschaffen, deren Verschiedenartigkeit sich bis zur Widersprüchlichkeit steigert. Trotzdem weisen die Religionen über alle Zeiten und Räume hinweg gemeinsame Züge auf und besitzen einen allen gemeinsamen Kern. Nur wenige Religionen können ihren Ursprung von einem geschichtlich bekannten Stifter ableiten.

Das Wort Religion haben die Römer geprägt; es wird von verschiedenen lateinischen Wörtern abgeleitet:

Das Wesen der Religion besteht im Glauben an das Dasein übermenschlicher, persönlicher Wesen (Gott, Götter, Dämonen, Ahnen, Totengeister) oder Kräfte (Gestirne, Donner, Blitz, Wasser), die als Personen gedacht (personifiziert) werden.

Der Mensch fühlt und weiß sich und die Welt von diesen Wesen und Kräften abhängig; durch Gebet und Opfer tritt er mit ihnen in Beziehung, um sie sich dadurch gnädig zu machen.

Durch Erfüllung von Pflichten, die höhere Wesen und Mächte dem Menschen auferlegen können, sucht er sein Heil zu erlangen; d. h. er versucht ein sittlich angepaßtes Leben im Gehorsam gegenüber dem höheren Willen zu führen.

Das religiöse Leben drückt sich in äußeren Formen aus: in Prozessionen, Riten und anderem Brauchtum, in Kultbildern und in Kultanlagen (heilige Haine, Tempel, Kirchen).

Die Freimaurerei berücksichtigt zwar ein höheres Wesen im Symbol des "großen Baumeisters aller Welten", aber sie ist keine Religion, da sie sich in ihrer Weltreflexion dem "Hier und Jetzt" zuwendet. Die Anklänge an die Transzendenz im Meistergrad fordern den Freimaurer zu einem bewußterem Leben im Diesseits auf.

Philosophie kontra Religion

Die Philosophie, griechisch "Liebe zur Weisheit", ist die Wissenschaft von den letzten Gründen des Erkennens und des Seins und seinen Zusammenhängen, die Basis und die Gestaltung des Lebens, welche die Zusammenfassung allen menschlichen Wissens anstrebt. Die Philosophie hat keinen fest umrissenen Gegenstand als Kern ihrer Forschung. Sie untersucht das Sein und seine allgemeinen Grundsätze, die Grundsätze der Erkenntnis, die Gesetzmäßigkeit des Wahren in der Logik, des Guten in der Ethik und des Schönen in der Ästhetik. Im Altertum zerfiel die Philosophie in Dialektik, Physik und Ethik.

Je mehr der Götterglaube und die Religion verfielen, desto eifriger suchten die Griechen nach einem Religionsersatz in der Philosophie. Einige große griechische Denker sind durch eigenes Philosophieren zu metaphysischen Erkenntnissen gelangt:

Griechische Mysterienkulte

Die Götter Griechenlands waren nichts anderes als "unvergängliche Übermenschen" mit allen menschlichen Schwächen. Diese unvollkommene Göttervorstellung forderte die Kritik der Philosophen heraus. Die von den größten Denkern Griechenlands - Sokrates, Platon, Aristoteles - erarbeitete überaus hohe natürliche Gotteserkenntnis wurde jedoch im Volk religiös nicht fruchtbar. Die Volksfrömmigkeit wandte sich daher den Mysterienkulten zu, die auf vorgriechische Fruchtbarkeitskulte zurückgehen. Neben den alten Mysterien (Eleusinische Mysterien, orphische Mysterien, dionysische Mysterien) gab es seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. ägyptische Mysterien (Isis) und in der Spätantike die Mysterien des Mithras und der Kybele. Im Mittelpunkt steht oft eine Gottheit, die im Mythos stirbt und wiederaufersteht (Persephone-Kore, Orpheus). Dem Mysten wird dabei auch für sich ein neues Leben nach dem Tod suggeriert.

Neben den Mysterien von Samothrake waren die bekanntesten die von Eleusis. Die Eleusinischen Mysterien kreisten mit ihren rituell bearbeiteten Legenden, in deren Handlung der Myste bei seiner Initiation aktiv mit einbezogen wurde, um die Erdgöttin Demeter und ihre Tochter Persephone.

Persephone wurde vom Gott der Unterwelt geraubt und als seine Gemahlin zur Herrscherin der Toten erhoben. Demeter, die den Aufenthalt ihrer Tochter nicht kennt, irrt verzweifelt mit zerrauftem Haar und in zerrissenem Trauergewand durch die Welt. Deshalb bringt die Erde keine Frucht mehr hervor; Blühen, Wachsen und Gedeihen kommen zum Stillstand. Endlich verrät der Sonnengott Helios das Schicksal Persephones. Wieder beginnt Demeter eine von wildem Schmerz erfüllte Irrfahrt über die Erde, gram allen Göttern. Schließlich findet sie in Eleusis, im Hause des Königs Keleos, Aufnahme. Der König errichtet ihr zu Ehren einen Tempel. Endlich bewirkt Zeus, um Demeter zu versöhnen, daß Persephone zwei Drittel des Jahres über der Erde bei ihrer Mutter weilen darf, aber mit Beginn der Erntezeit zurück muß zu Hades Pluton in die Unterwelt. Jetzt läßt Demeter wieder Frucht aus den Äckern sprießen, und die Erde hüllt sich in Blütenpracht.

Diese Erzählung sollte das Wunder des Blühens und Vergehens in der Natur durch die Götterkräfte erklären. Wer sich in Eleusis im Heiligtum der Persephone in dieses Geheimnis, dieses Mysterium, versenkte, wurde selbst in das Sterben und Auferstehen hineingenommen: Der "Eingeweihte" erhielt über das Erlebnis die tröstliche Gewißheit und Hoffnung vermittelt, selbst der Auferstehung und eines jenseitigen Lebens und damit der Unsterblichkeit teilhaft zu werden. Der irdische Tod ist nur Übergang zu neuem Leben.

Freimaurerische Mysteriensprache

Die Vermittlung eines Mysteriums über Mysterienspiele findet sich wieder im mittelalterlichen Schauspiel über Stoffe aus der Bibel. Darsteller waren vorwiegend Geistliche und Klosterschüler. Die Inhalte wurden dabei zuerst ohne Text dargestellt. Dann wurde Latein als Mysteriensprache üblich und die Botschaft im lateinischen Singspiel, später auch in lateinische Dialoge aufgelöst, vermittelt. Seit dem 13. Jahrhundert wurden dann Mysterienspiele auch in der Volkssprache aufgeführt. (Dem geneigten Leser sei an dieser Stelle das Studium der leider zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Schrift "Das Mysterienspiel" - 3,7 MB PDF-File - aus dem Jahre 1923 der Deutschen Bühne e. V., Hamburg, empfohlen. Da das Zelebrieren eines Rituals mit dem Schauspiel verwandt ist, gilt Gleiches für das Heftchen "Neue Richtungslinien für die Schauspielerkunst" - 5 MB PDF-File - von 1919)

An die Mechanismen der Erkenntnisvermittlung der Mysterienspiele knüpft die Freimaurerei innerhalb ihrer rituellen Handlungen bzw. Initiationen an. Jeder Bruder durchlebt als Initiation in dem Lehrlings- als auch Gesellen- und Meistergrad jeweils eine sich auf dem salomonischen Tempelbau abstützende Handlung.

Die Eigenschaften der Mysteriensprache in der Freimaurerei beschreibt Josef Schauberg in seinem "Handbuch der Symbolik der Freimaurerei" (Zürich 1861) im Kapitel "Die semitischen Namen und heiligen Worte der Maurer" (Band II):

Die Mysteriensprache der Maurer aller Systeme und aller Grade ist in dem Sinne die semitische, beziehungsweise die hebräische, dass daraus die Benennungen der Mitglieder der verschiedenen Grade, die heiligen Worte, die Erkennungsworte u. s. w. entlehnt sind und bei etwa neu zu gründenden Systemen und Graden daraus entlehnt werden. Zuvörderst könnte diese Wahl einer semitischen Sprache als die geheime und heilige Sprache der Maurer aus dem allgemeinen Bedürfnisse aller Mysterienverbindungen erklärt werden, eine geheime (mysteriöse) oder nicht jedem sogleich verständliche und zugängliche Sprache, gleichsam eine alterthümliche oder archaische Sprache zu haben, wie das Sanskrit in dieser Weise die heilige Sprache der Brahmanen und der nördlichen und jüngeren Buddhisten ist; - die Palisprache, eine der ältesten Töchtersprachen des Sanskrit, ja angeblich älter als das Sanskrit und aus Beher, dem alten Magadha stammend, diejenige der südlichen und älteren Buddhisten, namentlich noch heute auf Ceylon, in Barma und Siam, während dieselbe in ihrem Heimathlande ganz vergessen ist;

  1. das Lateinische der katholischen Priester und Kirche aller Länder u. s. w. Diese heiligen, dem Volke und der Masse unverständlichen und geheimnissvollen Sprachen haben nicht wenig zur Ausbreitung und Befestigung der brahmanischen, buddhistischen, katholischen u. s. w. Religion, der religiösen Mysterien beigetragen, indem sie ihre Verkünder als höhere Wesen und die von ihnen verkündigten Lehren als geoffenbarte Mysterien erscheinen liessen, - indem sie ihre Verkünder hoch emporhoben und gleichsam heiligten, zumal diese Sprachen in der Regel die Sprachen der Wissenschaft, der Mathematik, Astronomie, Chronologie, Geographie, Grammatik, Philosophie, Rechtswissenschaft, Arzneiwissenschaft u. s. f. waren und somit alles Wissen und Können, eine wirkliche Macht und Herrschergewalt in sich schlossen.

  2. Schon das fremde Wort, die fremde Sprache an sich erweckt in dem bisher damit Unbekannten oder ihrer Nichtmächtigen sehr leicht die Vorstellung, dass darin etwas Höheres, ein Geheimnis enthalten und verborgen liege, welches man theilweise wenigstens bereits errungen und erreicht zu haben wähnt, wenn man auch nur das leere, meistens nicht einmal verstandene Wort besitzen sollte; nicht selten sogar wird das vermeintliche Mysterium um so höher angeschlagen und um so theurer bewahrt, je weniger man die erhaltenen fremden Worte versteht und begreift. Eine fremde, eine schwer verständliche Sprache ist daher auch die Sprache aller Zauberer, und das Zaubernde, das Bezaubernde und Verblendende ist gerade das Unverstandene, der Unverstand des Hörenden; in der Allen verständlichen Sprache könnte unmöglich zu zaubern versucht und gewagt werden, weil man die gebrauchten Zaubersprüche verstehen und erkennen würde, dass sie nichts Geheimes und Ausserordentliches enthalten, nichts Uebernatürliches zu bewirken vermögen und bei ihrem stündlichen oder täglichen Gebrauche bewirken. Der tiefste und letzte Grund der räthselhaften, der segnenden und heilenden, der zaubernden Macht und Kraft der fremden Worte, der Sprache und des Gesanges, des gesungenen Wortes, überhaupt ist aber die dem göttlichen Worte, dem ägyptischen Tet, Thoth, dem parsischen Honover und dem indischen Vac, dem griechischen λóγος, bei den Aegyptern, den Baktrern, Indern, Juden, Griechen, Germanen u. s. w. zugeschriebene schöpferische Kraft, übernatürliche und zauberische, göttliche Gewalt; das Wort, die Rede, der Gesang, das Gebet ist die That, die Schöpfung und durch diese der Zauber.

Magie des Wortes, Macht der Sprache

Die Mysterienkulte Ägyptens, Mesopotamiens, Griechenlands, der Inkas und Mayas sind bis auf einige fragmentarische Überlieferungen mit dem Untergang ihrer Kulturen auf immer unserer Kenntnis entzogen. Tibet ist heute das letzte lebendige Glied, das uns mit den Kulturen einer fernen Vergangenheit verbindet. Infolge seiner naturbedingten Isolierung und Unzugänglichkeit haben sich die Traditionen fernster Vorzeit, das Wissen um die verborgenen Kräfte der menschlichen Seele und die höchsten Erkenntnisse und esoterischen Lehren indischer Weiser in ihrer Reinheit lebendig erhalten. Im Vergleich mit der freimaurerischen Mysterientradition ergeben sich Einsichten, die das Verstehen und Zuordnen erleichtern.

Unter der Überschrift "Die Magie des Wortes und die Macht der Sprache" arbeitet Lama Anagarika Govinda (Grundlagen tibetischer Mystik, Fischer Taschenbuch Verlag, August 1975) heraus:

Worte sind Siegel des Geistes, Endpunkte - oder richtiger Stationen - unendlicher Erlebnisreihen, die aus fernster, unvorstellbarer Vergangenheit in die Gegenwart hineinreichen und ihrerseits Ausgangspunkte zu neuen unendlichen Reihen werden, die in eine ebenso unvorstellbar ferne Zukunft tasten. Sie sind "das Hörbare, das am Unhörbaren haftet", das Gedachte und das Denkbare, das aus dem Undenkbaren wächst.

Das Wesen des Wortes erschöpft sich darum weder in seiner Nützlichkeit, als Vermittler von Begriff und Idee, noch in seiner gegenwärtigen Bedeutung, sondern besitzt zu gleicher Zeit Eigenschaften, die über das Begriffliche hinausgehen - so wie die Melodie eines Liedes, obwohl mit einem gedanklichen Inhalt verbunden, dennoch nicht mit diesem identisch ist oder von ihm ersetzt werden kann. Und es ist gerade diese irrationale Eigenschaft, die unsere tiefsten Gefühle erregt, unser innerstes Wesen erhebt und es mitschwingen läßt mit anderen. Der Zauber, den die Dichtkunst auf uns ausübt, beruht auf diesem irrationalen Faktor, gepaart mit dem aus gleicher Quelle fließenden Rhythmus. Dies ist der Grund, warum die Magie der Dichtung stärker ist als der objektive Inhalt ihrer Worte, stärker als der Verstand mit all seiner Logik, an deren Allmacht wir so unerschütterlich glauben.

Der Erfolg großer Redner ist darum nicht nur von dem abhängig, was sie sagen, sondern von der Art wie sie es sagen. Wenn die Menschen durch Logik und wissenschaftliche Beweise überzeugt werden könnten, so würden die Philosophen schon längst den größeren Teil der Menschheit zu ihren Ansichten bekehrt haben. Und auf der anderen Seite würden die heiligen Schriften der Weltreligionen nie einen so gewaltigen Einfluß ausgeübt haben. Denn was sie in Form reinen Denkens vermitteln, ist gering im Vergleich mit den Schöpfungen großer Gelehrter und Philosophen. Wir können daher mit Recht sagen, daß die Macht jener heiligen Schriften auf der Magie des Wortes beruht, d. h, auf jener verborgenen Kraft, die den Weisen der Vergangenheit bekannt war, da sie den Ursprüngen der Sprache noch nahe standen.

Die Geburt der Sprache war die Geburt des Menschtums. Jedes Wort war das lautliche Äquivalent einer Erfahrung, eines Erlebnisses, eines inneren oder äußeren Stimulus. Eine gewaltige Anstrengung und schöpferische Leistung lag in dieser Lautformung beschlossen, die sich über große Zeiträume erstreckt haben muß, und derzufolge es dem Menschen gelang, sich über das Tier zu erheben.

Wenn Kunst als die Neu-Schöpfung und der formale Ausdruck der Wirklichkeit durch das Medium menschlicher Erfahrung genannt werden kann, so können wir die Schöpfung der Sprache als die höchste künstlerische Leistung der Menschheit bezeichnen. Jedes Wort war ursprünglich ein Brennpunkt von Energien, in denen die Verwandlung der Wirklichkeit in die Schwingungen der menschlichen Stimme - dem lebendigen Ausdruck des Seelischen - vonstatten ging. Durch diese lautlichen Schöpfungen nahm der Mensch Besitz von der Welt. Und mehr als das: er entdeckte eine neue Dimension, eine Welt in seinem Innern, wodurch sich ihm die Aussicht auf eine höhere Lebensform eröffnete, die sich ebenso weit über den gegenwärtigen Zustand der Menschheit erhebt, wie das Bewußtsein eines zivilisierten Menschen über das Tier.

Die Vorahnung, ja Gewißheit solch höherer Daseinszustände ist mit gewissen Erlebnissen verbunden, die von so grundlegender Natur sind, daß sie weder erklärt noch beschrieben werden können. Sie sind so subtil, daß es nichts gibt, womit man sie vergleichen könnte, nichts, woran Gedanke oder Vorstellung haften könnten. Und doch sind diese Erfahrungen wirklicher als irgendetwas, das wir sehen, denken, berühren, schmecken, riechen oder hören können; und zwar deshalb, weil sie erfüllt sind von dem, was allen Einzelempfindungen vorausgeht und sie umfaßt, aus welchem Grunde sie nicht mit irgendeiner derselben identifiziert werden können. Darum können solche Erlebnisse nur durch Symbole angedeutet werden. Und diese Symbole sind nicht willkürliche Erfindungen, sondern spontane Ausdrucksformen, die aus den tiefsten Regionen des menschlichen Geistes hervorbrechen.

Symbol und Wirklichkeit

Das rituelle Erleben des Mysteriums führt an die Universalität der schauenden Erkenntnis heran. Lama Anagarika Govinda erkennt deshalb:

Denn indem wir in der Schauung uns der Welt und jener Kräfte, welche diese schaffen, bewußt werden, werden wir ihrer Herr. Solange die Kräfte unerkannt in uns schlummern, haben wir keinen Zugang zu ihnen. Sie müssen daher als Schaubilder ins Bereich des Sichtbaren projiziert werden, wobei die Symbole, die zu diesem Zweck verwandt werden, ähnlich wirken wie ein chemischer Katalysator, durch den eine Flüssigkeit sich plötzlich in solide Kristalle verwandelt und so ihre wahre Natur und Struktur enthüllt.

Er ergänzt dann später:

Mit unserem Intellekt, unserer Denktätigkeit (und selbst mit unseren körperlichen Funktionen) leben wir in der Vergangenheit; in unserer intuitiven Schauung und im unmittelbaren Erlebnis höherer Wirklichkeit leben wir in zeitloser Gegenwart. So sind wir imstande, Denken durch Schauung zu überwinden, die Vergangenheit durch Verwirklichung der Gegenwart, Illusion der Zeit durch das Erlebnis des Raumes. Dieser Raum jedoch ist nicht der äußere, "sichtbare" Raum, in dem die Dinge nebeneinander existieren, sondern ein Raum höherer Dimension, der über den dreidimensionalen Raum hinausgeht. In einem solchen Raum existieren Dinge nicht als getrennte Einheiten, sondern eher wie die beziehungsverwobenen Teile und Funktion eines Organismus, die sich gegenseitig beeinflussen und durchdringen. Es ist ein Raum, der nicht nur geschaut, sondern zu gleicher Zeit gefühlt wird, ein Raum, der mit Bewußtsein erfüllt ist; er ist die Verwirklichung des kosmischen Bewußtseins.

Magie des fiktiven Raum

Die Räumlichkeiten, in denen im deutschsprachigen Raum die Freimaurer ihre rituellen Arbeiten durchführen, werden von ihnen als Tempel bezeichnet. Dieser Ausdruck impliziert eine sakrale Vorstellung, die aber den tatsächlichen Gegebenheiten nicht ganz entspricht. Im englischsprachigen Bereich wird dieser Raum treffend ganz einfach "Halle" genannt. Es entsteht nämlich erst durch die rituelle Handlung ein fiktiver Raum, der als Loge angesprochen wird. Unter dem Titel "Die geöffnete Loge" beschreibt Jürgen Kober diesen Vorgang wie folgt:

Die Öffnung der Loge dauert von Hochmittag bis Hochmitternacht. Diese Bezeichnungen kommen in unserem nach der Uhr ablaufenden 24-Stunden-Tag nicht vor. Sie symbolisieren das Heraustreten aus der historischen Zeit in einen zeitlosen Zustand. Wir treten ein in jene Dimension, in der das Wirklichkeit wird, was nie geschieht und immer ist. Diese Dimension wird von jeder Gemeinschaft bei jeder Feier, bei jedem Fest aufgesucht, wenn sie sich auf sich selbst, ihren Charakter und ihre Aufgaben besinnen möchte. Thomas Mann sagt:

"Ist nicht der Sinn des Festes Wiederkehr als Vergegenwärtigung? Jede Weihnacht wieder wird das welterrettende Wiegenkind zur Erde geboren, das bestimmt ist zu leiden, zu sterben und aufzufahren: Das Fest ist die Aufhebung der Zeit, ein Vorgang, eine feierliche Handlung, die sich abspielt nach geprägtem Urbild."

Die Besinnung der Gemeinschaft auf sich selbst, ihren Charakter und ihre Aufgaben drückt das Ritual aus mit den Worten: "Besinnung auf die alten Pflichten und das Erlebnis der Brüderlichkeit". Das ist kein einmaliges Ereignis, sondern ein immerwährender Vorgang ohne Anfang oder Ende. (...)

Die Öffnung der Loge bedeutet (...) eine Veränderung des Ortes, an dem sich die Bruderschaft befindet. Hatte sie vorher noch für Deckung gesorgt, indem der letzte einsteigende Bruder die Dachluke hinter sich schloß, so verliert dieser Vorgang jetzt jede Bedeutung. Die Wände des Tempels treten völlig zurück; ja, der ganze Tempel verschwindet.

Eine Andeutung dieser Situation gibt das Bühnenbild Friedrich Schinkels zur Zauberflöte. Da steht die Königin der Nacht ganz klein, ganz unten auf der liegenden Mondsichel wie in einem Boot. Über ihr aber und um sie herum ist die ganze Bühne ein einziger riesiger dunkelblauer Himmel, besetzt mit unzähligen glänzenden Sternen.

Das Ritual sagt dazu: "Die Loge reicht vom Mittelpunkt der Erde bis an die Sterne". Wir neigen dazu, dies eindimensional zu empfinden, nämlich von unten nach oben. Besser aber stellen wir uns den gedachten Bereich der Loge alldimensional vor, also auch nach unten und nach allen Seiten. Der Bereich der Loge - das ist demnach der gesamte Weltraum. Der Standort der Bruderschaft befindet sich jetzt also überall und nirgends, außerhalb jeder geometrischen Definition. Sie befindet sich im reinen Geiste ohne jegliche Beziehung auf irgendeinen bestimmten Ort. (...)

Wir sehen also: Die geöffnete Loge ist ein Zustand, in den die Bruderschaft versetzt wird. Dieser Zustand wird gekennzeichnet durch die Abstraktion von allen Einzelheiten des täglichen Lebens, von aller Ortsgebundenheit, Zeitgebundenheit und persönlicher Individualität. Dieser Zustand kann bezeichnet werden als reiner Geist, reine Anschauung, reines Fühlen. Man fühlt sich erinnert an den ästhetischen Zustand Schopenhauers, den Zustand reiner willenloser Anschauung, dessen Herbeiführung er der Wirkung des genialen Kunstwerks zuschreibt, vor allem der überwältigenden Wirkung meisterlicher Musik.





Zauber der geöffneten Loge

Ein Zauber -, ein Zauber ist unser Leben
auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wogen schweben
und schwinden wir;
und messen unsere Tritte
nach Raum und Zeit;
und sind, und Wissens nicht, in Mitte
der Ewigkeit. *)

Wir befinden uns überall und nirgends,
außerhalb jeder geometrischen Definition,
im reinen Geiste
ohne jegliche Beziehung auf einen bestimmten Ort.

Gegenwart ist Vergangenheit und Zukunft zugleich.
Wir sind herausgetreten aus der historischen Zeit
in einen zeitlosen Zustand.

Wir befinden uns in der geöffneten Loge.
So wie die Loge von Osten bis Westen,
von Süden bis Norden reicht,
von der Erde bis zum Himmel
und von der Oberfläche der Erde bis zu ihrem Mittelpunkt,
so umschlingt die Bruderkette das Erdenrund
und führt im Bild der Kette der Herzen
in jenen Zauber,
in dem das Wirklichkeit wird,
was nie geschieht und immer ist.

Erhebend verspüren wir den Zauber,
      den Zauber in diesen heiligen Hallen,
      den Zauber im freimaurerischen Geist der Brüderlichkeit.
Ein Geist, der hier und jetzt Wirklichkeit ist
und unsterblich ewig Vergangenes
mit ewig Zukünftigen verbindet.

*) (Abschnitt nach Herder)

Geburt des freimaurerischen Animus

Die Anima, (lateinisch) Seele, Gemüt, Gefühl, Geist, begegnet uns bei Aristoteles als "anima vegetativa", "anima sensitiva" und "anima rationalis" entsprechend den Körper-, Sinnes- und Verstandesfunktionen der Seele. Der Begriff "Animus" umschreibt dagegen allgemein eine "Ahnung", die einer Aussage oder Entscheidung zugrunde gelegen hat und durch Tatsachen bestätigt als eine Art "Eingebung" angesehen wird.

Bei der Aufnahme in den Freimaurerbund und später bei der Vermittlung der verschiedenen Erkenntnisstufen über Initiationsriten soll die Anima berührt werden. Das sich aus den verschiedensten Blickwinkeln wiederholende Erlebnis der Initiation als Übergangsritus ist mit besonderen Erfahrungen verbunden, die eine Neuwerdung (nascendi initium) einleiten sollen. In dieser Absicht fanden auch Einsichten der deutschen Mystik in freimaurerischen Ritualen Berücksichtigung. Ein beeindruckendes Beispiel ist der Sinnreim aus dem "Cherubinischen Wandersmann" von Angelus Silesius unter der Überschrift "Zufall und Wesen"

Mensch, werde wesentlich; denn wenn die Welt vergeht,
So fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht.

Angelus Silesius (1624 - 1677), der mit seinem Übertritt zur katholischen Kirche 1653 und später bei seiner Priesterweihe eine Initiation im christlichen Sinne durchlebte, beschreibt im "Cherubinischen Wandersmann" sprachlich scharf zugespitzt das mystische Erlebnis des Einsseins mit Gott. Im Sinnreim "Die geistliche Maria" formuliert Silesius:

Ich muß Maria sein und Gott aus mir gebären,
Soll er mich ewiglich der Seligkeit gewähren.

Analog muß der Freimaurer, beeindruckt durch das von Symbolen gestützte rituelle Erleben, die Freimaurerei aus seinem Inneren heraus gebären, um sie für sich ausleben zu können. Individuell entwickelt er so einen freimaurerischen Animus, der seine Seele freudig stimmt und ihm hilft zu leben.