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Meine Religion.

Kestner über den jungen Goethe:

Er geht nicht in die Kirche, auch nicht
zum Abendmahl, betet auch selten; denn,
sagt er, ich bin dazu nicht genug Lügner.
Vor der christlichen Religion hat er
Hochachtung, nicht aber in der Gestalt,
wie sie unsere Theologen vorstellen.


Barnhagen über den alten Goethe:

Sein Herz hegt die reinste, wärmste
Liebe; er ist gotterfüllt, echt fromm und
heilig in seinem tiefsten Wesen. Er
macht keine Worte von Christus, er
prahlt nicht mit seinem Bekenntnis auf
ihn, aber Jesus hätte ihn zum teuersten
Freunde gehabt, wäre er ihm begegnet.














In unsere Busens Reine wogt ein Streben,
Sich einem Höhern, Reinern, Unbekannten
Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben,
Enträtselnd sich dem ewig Ungenannten;
Wir heißen's: fromm sein!

Und zum Frommsein gehört wohl auch das Nachdenken über die höchsten und schwersten Fragen. Das Erforschliche erforscht zu haben, erscheint mir das größte Glück für den denkenden Menschen. Der Mensch ist freilich nicht geboren, die Probleme der Welt zu lösen, wohl aber zu suchen, wo das Problem angeht, und sich sodann in der Grenze des Begreiflichen zu halten. Die Handlungen des Universums zu messen, reichen seine Fähigkeiten nicht hin, und in das Weltall Vernunft bringen zu wollen, ist bei seinem kleinen Standpunkte ein sehr vergebliches Bestreben. Die Vernunft der Menschen und die Vernunft der Gottheit sind zwei sehr verschiedene Dinge.

Wie mich die Leute ärgern, die diese Gottheit so gut kennen, als wären sie ihre Berater und wüßten alle ihre Gedanken! Die Leute traktieren Gott, als wäre das unbegreifliche, garnicht auszudenkende höchste Wesen nicht viel mehr als ihresgleichen. Sie würden sonst nicht sagen: der Herr Gott, der liebe Gott, der gute Gott. Er wird ihnen, besonders den Geistlichen, die ihn täglich im Munde führen, zu einer Phrase, zu einem bloßen Namen, wobei sie





sich auch gar nichts denken. Wären sie aber durchdrungen von seiner Größe, sie würden verstummen und ihn vor Verehrung nicht nennen mögen.

Und was für schlechte Geschichten hängen diese kleinen Geister der Gottheit an! Nichts Gotteslästerlicheres als die alte Dogmatik, die einen zornigen, wütenden, ungerechten, parteiischen Gott vorspiegelt!

Was wär ein Gott, der nur von außen stieße,
Im Kreis das All am Finger laufen ließe!
Ihm ziemts, die Welt im Innern zu bewegen,
Natur in sich, sich in Natur zu hegen.
So daß, was in ihm lebt und webt und ist,
Nie seine Kraft, nie seinen Geist vermißt.

Ich bin gewohnt, die Welt als Naturforscher anzusehn, und als solcher suche ich Gott. Denn die bloße Naturbeschreibung und Benennung der Dinge soll uns nicht genügen. sie sagt: Das ist Thonerde und das ist Kieselerde. Was helfen mir denn die Theile, was ihre Namen? Wissen will ich, was jeden einzelnen Teil im Universum so hoch begeistigt, daß er den andern aufsucht, ihm entweder dient oder ihn beherrscht, jenachdem das allen ein- und aufgeborene Vernunftgesetz in einem höheren oder geringeren Grade den zu dieser, jenen zu jener Rolle befähigt. Hinter jedem Wesen steckt die höhere Idee. Das ist mein Gott, das ist der Gott, den wir alle ewig suchen und zu erschauen hoffen, aber wir können ihn nur ahnen, nicht schauen. Ich frage nicht, ob dieses höchste Wesen Verstand oder Vernunft habe, sondern ich fühle, es ist der Verstand, es ist die Vernunft selber. Alle Geschöpfe sind davon durchdrungen, und der Mensch hat davon soviel, daß er Teile des Höchsten erkennen mag.





Wir müssen suchen, wo er sich uns offenbaren will. Ich erwarte nicht, daß er Wunder thut, daß er seine eigenen Gesetze aufhebt. Gott selbst kann keinen Löwen mit Hörnern schaffen, weil er die von ihm selbst für notwendig erkannten Naturgesetze nicht umstoßen kann.

Dagegen ist alles Große, Edle, Schaffende ein Ausdruck des Göttlichen, und Gott anerkennen, wo und wie er sich offenbart, das ist die eigentliche Seligkeit auf Erden. Freilich läßt sich das Göttliche niemals direkt von uns betrachten: wir schauen es nur im Abglanz, im Beispiel, im Symbol, in einzelnen und verwandten Erscheinungen; wir werden es gewahr als unbegreifliches Leben und können dem Wunsch nicht entsagen, es dennoch zu begreifen. Ich glaube, daß wir auf jede Entwicklung achten müssen, wenn wir die Hand Gottes suchen. Denn die Gottheit ist wirksam im Werdenden und sich Verwandelnden, aber nicht im Gewordenen und Erstarrten. Deshalb hat auch die Vernunft in ihrer Tendenz zum Göttlichen es nur mit dem Werdenden, Lebendigen zu thun, der Verstand mit dem Gewordenen, Erstarrten, daß er es nutze. Deshalb habe ich bei meiner Beschäftigung mit der Natur am liebsten auf ihre Verwandlungen und Entwicklungen geachtet und bin darin eigene Wege gegangen, und deshab habe ich in meinem Faust geschrieben:

Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfass' euch mit der Liebe holden Schranken,
Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestiget mit dauernden Gedanken!

Ebenso sollen wir auf das Hohe und Erhabene achten, wenn wir Gott suchen. Fragt man mich, ob es in meiner Natur sei, Christus anbetende Ehrfurcht zu erweisen, so sage ich: durchaus! Ich beuge mich vor ihm als der göttlichen





Offenbarung des höchsten Prinzips der Sittlichkeit. Fragt man mich, ob es in meiner Natur sei, die Sonne zu verehren, so sage ich abermals: durchaus! Denn sie ist gleichfalls eine Offenbarung des Höchsten, und zwar die mächtigste, die uns Erdenkindern wahrzunehmen vergönnt ist, Ich anbete in ihr das Licht und die zeugende Kraft Gottes, wodurch allein wir leben, weben und sind.

Da ich eben von Christus sprach: Gott hat sich nicht bloß in ihm und einigen großen Juden offenbart; wir finden ihn auch wirksam in Chinesen, Indern, Persern und Griechen, und ebenso in unserer heutigen Welt. Wenn man die Leute reden hört, so sollte man fast glauben, sie seien der Meinung, Gott habe sich seit jener alten Zeit ganz in die Stille zurückgezogen, und der Mensch wäre jetzt auf eigene Füße gestellt und müsse sehen, wie er ohne Gott und sein tägliches unsichtbares Anhauchen zurechkomme. In religiösen und moralischen Dingen giebt man noch allenfalls eine göttliche Einwirkung zu, allein in Dingen der Wissenschaft und Künste glaubt man, es sei lauter Irdisches und nichts weiter als ein Produkt rein menschlicher Kräfte. Versuche es aber doch nur einer und bringe mit menschlichem Wollen und menschlichen Kräften etwas hervor, das den Schöpfungen, die den Namen Mozart (1), Rafael (2) oder Shakespeare (3) tragen, sich an die Seite setzen lasse. Ich weiß recht wohl, daß in allen Gebieten der Kunst eine Unzahl trefflicher Geister gewirkt hat, die vollkommen so Gutes hervorgebracht haben wie jene Genannten. Allein, waren sie so groß als jene, so überragten sie die gewöhnliche Menschennatur in ebendem Verhältnis und waren ebenso gottbegabt als jene.

Gott hat sich nach den bekannten imaginierten sechs




(1) Wolfgang Amadeus Mozart, österreichischer Komponist, geboren 1756 in Salzburg, Dezember 1791 in Wien, Sohn des Leopold Mozart; erhielt als frühreifes Wunderkind ab 1760 eine musikalische Ausbildung durch den Vater und begann bereits 1761 zu komponieren.
(2) Raffael, italienischer Baumeister und Maler, geboren 1483 Urbino, gestorben 1520 Rom, Hauptmeister der Hochrenaissance, brachte ihre Ideale am gültigsten und vielseitigsten zum Ausdruck. Kam vielleicht schon 1494 nach Perugia in die Werkstatt Peruginos, ging 1504 nach Florenz und 1508 nach Rom, wo er 1514 als Nachfolger Bramantes zum Baumeister von Sankt Peter (Petersdom) ernannt wurde.
(3) William Shakespeare, englischer Dichter, geboren 1564 in Stratford-upon-Avon, gestorben 1616 in Stratford-upon-Avon, Bedeutendster Dichter Englands. Nur wenige Daten zur Person sind gesichert. Hauptwerke: "König Lear", "Macbeth", "Was ihr wollt", "Wie es euch gefällt", "Romeo und Julia", "Hamlet", "Ein Sommernachtstraum", "Der Sturm", "Othello", "Julius Cäsar", "Der Kaufmann von Venedig", "Viel Lärm um Nichts", "Die lustigen Weiber von Windsor".




Schöpfungstagen keineswegs zur Ruhe begeben, vielmehr ist er noch fortwährend wirksam wie am ersten. Diese plumpe Welt aus einfachen Elementen zusammenzusetzen und sie jahraus jahrein in den Strahlen der Sonne rollen zu lassen, hätte ihm sicher wenig Spaß gemacht, wenn er nicht den Plan gehabt hätte, sich auf dieser materiellen Unterlage eine Pflanzschule für eine Welt von Geistern zu gründen. So ist er nun fortwährend in höhern Naturen wirksam, um die geringeren heranzuziehen.

Überall wo wir das Geniale wahrnehmen, haben wir eine göttliche Offenbarung. Jede Produktivität höchster Art, jedes bedeutende Aperçu (1), jede Erfindung, jeder große Gedanke, der Früchte bringt und Folge hat, steht in Niemandes Gewalt und ist über aller irdischen Macht erhaben. Dergleichen hat der Mensch als unverhoffte Geschenke von oben, als reine Kinder Gottes zu betrachten, die er mit freudigem Dank zu empfangen und zu verehren hat. In solchen Fällen ist der Mensch oftmals als ein Werkzeug einer höheren Weltregierung zu betrachten, als ein würdig befundenes Gefäß zur Aufnahme eines göttlichen Einflusses. Ich sage dies, indem ich erwäge, wie oft ein einziger Gedanke ganzen Jahrhunderten eine andere Gestalt gab, und wie einzelne Menschen durch das, was von ihnen ausging, ihrem Zeitalter ein Gepräge aufdrückten, das noch in nachfolgenden Geschlechtern kenntlich blieb und wohlthätig fortwirkte.

Und ebenso finden wir Gottesgeist überall, auch in der untersten Menschen- und Tierwelt, da, wo wir Güte und Liebe und was sonst die Welt erhält und vorwärts bringt, antreffen. Denken wir nur an die Fürsorge der Eltern für ihre Nachkommen! Beseelte Gott den Vogel nicht mit diesem




(1) Aperçu = geistreicher Einfall




allmächtigen Trieb gegen seine Jungen und ginge das Gleiche nicht durch alles Lebendige der ganzen Natur, die Welt würde nicht bestehen können! So aber ist die göttliche Kraft überall verbreitet und die ewige Liebe überall wirksam. Ein junger Bildhauer hat mir das Modell von Myrons Kuh (1) mit dem säugenden Kalb gesandt. Hier haben wir einen Gegenstand der höchsten Art; das die Welt erhaltende, durch die ganze Natur gehende ernährende Prinzip ist uns hier in einem schönen Gleichnis vor Augen. Dieses und ähnliche Bilder nenne ich die wahren Symbole der Allgegenwart Gottes.

Willst du dich am ganzen erquicken,
so mußt du das Ganze im Kleinsten erblicken.

Noch deutlicher erscheint uns das Göttliche, wo uns die Liebe zu dem fremden Hilfsbedürftigen entgegentritt. Eckermann, unser Vogelfreund, erzählte mir einmal ein Geschichtchen, wie er zwei ganz junge Zaunkönige, die noch von den Alten gefüttert wurden, gefangen und unterwegs verloren. Als er nach mehreren Tagen an die Stelle kam, wo ihm die hilflosen Tierchen entschlüpft sein mußten, fand er sie nach einigem Suchen in einem Rothkehlchennest; das alte Rothkehlchen hatte sie hineingenommen und fütterte sie nun mit den eigenen Jungen. Wer das hört und nicht an Gott glaubt, dem helfen nicht Moses und die Propheten. Das ist es, was ich die Allgegenwart Gottes nenne, der einen Teil seiner unendlichen Liebe überall verbreitet und eingepflanzt hat und schon im Tiere dasjenige als Knospe andeutet, was im eldeln Menschen zur schönsten Blüte kommt.

Ich möchte jedoch nicht mit den Nützlichkeitslehrern verwechselt werden, die überall eine Absicht Gottes auf das Wohl der Menschen oder Tiere hin heraustifteln. Solche




(1) Myron, griechischer Bildhauer, geboren um 450 v.Chr. in Eleutherai; er ging als erster dazu über, die Figuren in lebhafter Bewegung zu zeigen. In römischer Zeit war besonders seine Darstellung einer Kuh, die "Myronische Kuh", berühmt.




Nützlichkeitslehrer sagen wohl: der Ochse habe Hörner, um sich damit zu wehren. Nun frage ich aber: warum hat das Schaf keine? und wenn es welche hat, warum sind sie ihm um die Ohren gewickelt, so daß sie ihm zu nichts dienen? Etwas Anderes aber ist es, wenn ich sage: der Ochse wehrt sich mit den Hörnern, weil er sie hat.

Die Frage nach dem Zweck, die Frage warum? ist durchaus nicht wissenschaftlich. Etwas weiter aber kommt man mit der Frage wie? Denn wenn ich frage: wie hat der Ochse Hörner? so führt mich das auf die Betrachtung seiner Organisation und belehrt mich zugleich, warum der Löwe keine Hörner hat und haben kann. So hat der Mensch in seinem Schädel zwei unausgefüllte hohle Stellen. Die Frage warum? würde hier nicht weit reichen, wogegen aber die Frage wie? mich belehrt, daß diese Höhlen Reste des tierischen Schädels sind, die sich bei solchen geringeren Organisationen in stärkerem Maße befinden und die sich beim Menschen trotz seiner Höhe noch nicht ganz verloren haben.

Die Nützlichkeitslehrer würden glauben, ihren Gott zu verlieren, wenn sie nicht den anbeten sollen, der dem Ochsen die Hörner gab, damit er sich verteidige. Mir aber möge man erlauben, daß ich den verehre, der in dem Reichtum seiner Schöpfung so groß war, nach tausendfältigen Pflanzen noch eine zu machen, worin alle übrigen enthalten, und nach tausendfältigen Tieren ein Wesen, das sie alle enthält: den Menschen.

Man verehre ferner den, der dem Vieh sein Futter giebt und dem Menschen Speise und Trank, so viel er genießen mag; ich aber bete den an, der eine solche Produktionskraft in die Welt gelegt hat, daß, wenn nur der millionteste Theil davon ins Leben tritt, die Welt von Ge-





schöpfen wimmelt, sodaß Krieg, Pest, Wasser und Brand ihr nichts anzuhaben vermögen. Das ist mein Gott!

Uebrigens bin ich weit entfernt zu glauben, daß ich Gott erkenne wie er ist; ich wiederhole: wir können nur annähernde Ahnungen haben. Ich habe in den verschiedenen Zeiten meines Lebens stets an Gott geglaubt, aber mir doch sehr verschiedene Bilder von ihm gemacht, je nach den Einflüssen, unter denen ich stand. Und unser Gottesbild gestaltet sich auch nach unseren jeweiligen Bedürfnissen. Ich für mich kann bei den mannigfaltigen Richtungen meines Wesens nicht an einer Denkweise genug haben; als Dichter und Künstler bin ich Polytheist, Pantheist hingegen als Naturforscher, und eins so entschieden wie das andere. Bedarf ich eines Gottes für meine Persönlichkeit als sittlicher Mensch, so ist auch dafür schon gesorgt. Die himmlischen und irdischen Dinge sind ein so weites Reich, daß die Organe aller Wesen zusammen es nur erfassen mögen. Die Hauptsache ist, daß wir uns unsrer Kleinheit und Kurzsichtigkeit der Gottheit gegenüber demütig bewußt bleiben.

Wenn der uralte
Heilige Vater
Mit gelassener Hand
Aus rollenden Wolken
Segnende Blitze
Ueber die Erde sät,
Küß ich den letzten
Saum seines Kleides,
Kindliche Schauer
Treu in der Brust.

* * *





Wie an Gott, so habe ich zeitlebens auch geglaubt, daß unser uns bekanntes irdisches Leben nur eine Erscheinung unseres gesamten Lebens und Wesens ist. Wenn Einer so alt ist wie ich, kann es nicht fehlen, daß er mitunter an den Tod denke. Mich läßt dieser Gedanke in völliger Ruhe, denn ich habe die feste Ueberzeugung, daß unser Geist ein Wesen ist ganz unzerstörbarer Natur; es ist ein fortwirkendes von Ewigkeit zu Ewigkeit; es ist der Sonne ähnlich, die bloß unsern irdischen Augen unterzugehen scheint, die aber eigentlich nie untergeht, sondern unaufhörlich fortleuchtet.

Wir Menschen sind nicht bloß gemeine Materie. Das Vermögen, jedes Sinnliche zu veredeln und auch den totesten Stoff durch Vermählung mit der Idee zu beleben, ist die schönste Bürgschaft unseres übersinnlichen Ursprungs. Der Mensch, wie sehr ihn auch die Erde anzieht mit ihren tausend und abertausend Erscheinungen, hebt doch den Blick forschend und sehnend zum Himmel auf, der sich in unermessenen Räumen über ihm wölbt, weil er tief und klar in sich fühlt, daß er ein Bürger jenes geistigen Reiches sei, woran wir den Glauben nicht abzulehnen noch aufzugeben vermögen. In dieser Ahnung liegt das Geheimnis des ewigen Fortstrebens nach einem unbekannten Ziele.

Die persönliche Fortdauer steht keineswegs mit den vieljährigen Beobachtungen, die ich über die Beschaffenheit unserer und aller Wesen in der Natur angestellt, im Widerspruch; im Gegentheil sie geht sogar aus denselben mit neuer Beweiskraft hervor. Ich denke an die Metamorphose in der Pflanzen- und Tierwelt, wo allmählich das Blatt zur Rose, das Ei zur Raupe, die Raupe zum Schmetterlinge wird. Und schauen Sie nur auf die Hand des Meisters, die den Tasten des Klaviers wunderbare Harmonien entlockt. Die Hand hat





nichts von den Tönen, sie ist nur die Dienerin jenes geheimnisvollen Wesens, das hinter und über den sichtbaren Teilen des Menschen verborgen ist. Wenn der Mensch stirbt, so heißt das nur, daß jenes geheimnisvolle Wesen seine Diener entläßt; damit verschwindet aber dieses Wesen durchaus nicht. Je nach seiner Art, Kraft und Richtung wird es sich irgendwie weiter bethätigen.

Denn ich glaube durchaus nicht an dieselbe Fortdauer für alle Menschen; wir sind nicht auf gleiche Weise unsterblich, und um sich künftig als große Entelechie (1) zu manifestieren, muß man auch eine sein.

Man muß sich hier schon tüchtig bewährt und bethätigt haben. Die Überzeugung unserer Fortdauer entspringt mir namentlich auch aus dem Begriffe der Thätigkeit; denn wenn ich bis an mein Ende rastlos wirke, so ist die Natur verpflichtet, mir eine andere Form des Daseins anzuweisen, wenn die jetzige meinen Geist nicht ferner auszuhalten vermag. Ähnlich wie wir sind, werden wir auch bleiben. Denken wir an unsern verstorbenen Großherzog! Gewiß, wo auch sein Geist im Weltall seine Rolle gefunden, er wird dort seine Leute wieder gut zu pflegen wissen. Oder denken wir an unseren Freund Wieland! Vom Untergang solcher hohen Seelenkräfte kann in der Natur niemals und unter keinen Umständen die Rede sein; so verschwenderisch behandelt sie ihre Kapitalien nie. Wielands Seele war von Natur ein Schatz, ein wahres Kleinod; dazu kommt, daß sein langes Leben diese geistig schönen Anlagen nicht verringert, sondern vergrößert hat. Ich wünsche sehr, daß ich einst diesem Wieland als einer Weltmonade (2), als einem Stern erster Größe nach Jahrtausenden wieder begegnen möchte und Zeuge davon wäre, wie er mit seinem lieblichen Lichte Alles, was ihm irgend nahe-




(1) Entelechie: die sich im Stoff verwirklichende Form; die im Organismus liegende Kraft, die seine Entwicklung und Vollendung bewirkt.
(2) Monade: nach der Philosophie von Leibniz: beseelter Urbestandteil der Weltsubstanz.




käme, erquickte und aufheiterte. Für die besten Geister erhoffe ich, daß sie an den Freuden der Götter als selig mitschaffende Kräfte teilnehmen werden. Der Mensch ist das erste Gespräch, das die Natur mit Gott hält. Auf einem andern Planeten wird das Gespräch höher, tiefer, verständiger gehalten sein. Freilich soll man sich hüten, solchen Glauben für etwas anderes als Glauben, Vermuten, Hoffen zu halten. Wo das Wissen genügt, bedürfen wir des Glaubens nicht; wo aber das Wissen seine Kraft nicht bewährt oder ungenügend erscheinen läßt, sollen wir auch dem Glauben sein Recht nicht streitig machen. Sobald man nur von dem Grundsatze ausgeht, daß Wissen und Glauben nicht dazu da sind, um einander aufzuheben, sondern um einander zu ergänzen, so wird schon überall das Recht ausgemittelt werden.

Sie sehen wohl, daß meine Gedanken etwas anders laufen, als die gewöhnlichen über das zukünftige Leben. Ich möchte keineswegs das Glück entbehren, an eine künftige Fortdauer zu glauben, ja, ich möchte mit Lorenzo von Medici (1) sagen, daß alle diejenigen auch für dieses Leben tot sind, die kein anderes hoffen; allein solche unbegreiflichen Dinge liegen zu fern, um ein Gegenstand täglicher Betrachtung und gedankenzerstörender Spekulation zu sein. Und ferner: wer eine Fortdauer glaubt, der sei glücklich im Stillen, aber er hat nicht Ursache, sich darauf etwas einzubilden. Bei Gelegenheit von Tiedges "Urania" (2) indeß machte ich die Bemerkung, daß eben wie der Adel, so auch die Frommen eine gewisse Aristokratie bilden. Ich fand dumme Weiber, die stolz waren, weil sie mit Tiedge an Unsterblichkeit glaubten, und ich mußte es leiden, daß manche mich über diesen Punkt auf eine sehr dünkelhafte Weise examinierten. Ich ärgerte sie aber, indem ich sagte: es könne mir ganz recht sein, wenn




(1) Lorenzo il Magnifico Medici, Dichter und Philosoph, Stadtherr von Florenz, geboren 1. Januar 1449 in Florenz, gestorben 8. April 1492 in Careggi; bedeutendster Medici. Er verhalf Florenz zu höchster Blüte und förderte Botticelli und Michelangelo.
(2) Christoph August Tiedge, Gardelegen/Altmark 1752 - Dresden 8.3.1841, Dichter; sein um 1800 verfaßtes Lehrgedicht über die Unsterblichkeit "Urania" gehörte zu den meistgelesenen Werken seiner Zeit. "Urania" (=die Himmlische) ist in der griechischen Mythologie die Muse der Sternkunde, aber auch ein Beiname der Aphrodite, der Göttin der Liebe und der Schönheit. Liebe und Freundschaft erscheinen dem Dichter als Gesandte des Himmels.




nach Ablauf dieses Lebens uns ein abermaliges beglücke; allein ich wolle mir ausbitten, daß mir drüben Niemand von denen begegne, die hier daran geglaubt hätten. Denn sonst würde meine Plage erst recht angehen! Die Frommen würden um mich herumkommen und sagen: Haben wir nicht Recht gehabt? Haben wir es nicht vorhergesagt? Ist es nicht eingetroffen? Und damit würde denn auch drüben der Langeweile kein Ende sein.

Die Beschäftigung mit Unsterblichkeitsideen ist für vornehme Stände und besonders für Frauenzimmer, die nichts zu thun haben. Ein tüchtiger Mensch aber, der schon hier etwas Ordentliches zu sein gedenkt und der daher täglich zu streben, zu kämpfen und zu wirken hat, läßt die künftige Welt auf sich beruhen und ist thätig und nützlich in dieser. Ferner sind Unsterblichkeitsgedanken für solche, die in Hinsicht auf Glück hier nicht zum Besten weggekommen sind, und ich wollte wetten: wenn der gute Tiedge ein besseres Geschick hätte, so hätte er auch bessere Gedanken.

Ebenso wie ein Fortleben, so glaube ich auch ein Vorleben annehmen zu dürfen. Ich bin gewiß, wie Sie mich hier sehen, schon tausendmal dagewesen und hoffe wohl noch tausendmal wiederzukommen. Erinnerung an solche frühere Existenz haben wir freilich sehr selten und dunkel, nur zuweilen erleuchtet uns ein genialer Blitz etwas davon. Ich muß wohl unter Kaiser Hadrian (1) schon einmal dagewesen sein, deswegen zieht mich alles Römische so an und kömmt mir so heimisch vor; unser Freund Boisserée (2) stammt aus dem fünfzehnten Jahrhundert und war am Niederrhein daheim. Eine unbegreiflich innige Freundschaft, die mich mit einer angesehenen Frau unserer Kreises lange verband (3), habe ich mir in ihrer ganzen Art nie anders als durch Seelenwanderung




(1) Hadrian, 76 - 138, eigentlich Publius Aelius Hadrianus, seit 117 römischer Kaiser; entfaltete rege Bautätigkeit.
(2) Boisserée, Sulpiz, Kunstgelehrter und Kunstsammler, 1783 - 1854; setzte sich gemeinsam mit seinem Bruder Melchior (1786 - 1851) für die Vollendung des Kölner Doms ein. Die von Boisserée hinterlassenen Tagebücher sind aufschlussreich für die Goetheforschung.
(3) Charlotte von Stein, geboren 25.12.1742 Eisenach, gestorben 6.1.1827 Eisenach, älteste Tochter des Hofmarschalls von Schardt, heiratete 1764 den herzoglichen Stallmeister Friedrich Freiherr von Stein (1735 - 1793). Mit der in glückloser Ehe lebenden Hofdame Charlotte von Stein verband Goethe eine einzigartige, geistgeprägte Liebe, deren Phasen die an Charlotte gerichteten Verse und Briefe bezeugen. Im "Torquato Tasso" finden sich Spiegelungen von Goethes Verhältnis zu Charlotte von Stein sowie seinen eigenen gesellschaftlichen Erfahrungen in Weimar.




erklären können. Ja, wir müssen einst Mann und Weib gewesen sein, sagte ich mir oft. Und ich bat die Götter, wenn ich noch einmal auf die Welt komme, sollten sie mich nur einmal leben lassen und diese liebe Gefährtin sollte jene Freundin sein, die vor längst verschwundenen Zeiten schon mir Gattin gewesen. Es mögen das ja Träume gewesen sein, wie sie liebende Seelen so gern erfinden, aber fest und beständig ist mein Glaube: dieses sichtbare Dasein zwischen Geburt und Tod ist nicht Alles!

Kein Wesen kann zu nichts zerfallen!
Das Ewige regt sich fort in allen,
Am Sein erhalte dich beglückt!
Das Sein ist ewig; denn Gesetze
Bewahren die lebend'gen Schätze,
Aus welchen sich das All geschmückt.

* * *

Doch ich kehre zurück zu dem Heute, dem jetzigen Leben, und da sehe ich die uralte Frage: sind wir frei? oder sind wir angekettet an den Willen der Götter? Ich möchte kein Ja und kein Nein verantworten.

Wunderbar stark ist ja zuweilen der menschliche Wille. Man denke nur an Napoleon, wie er die Pestkranken besuchte, um zu zeigen, daß man die Pest überwinden könne, wenn man die Furcht zu überwinden fähig sei. Und er hatte Recht. Ich kann aus meinem eigenen Leben ein Faktum erzählen, wo ich bei einem Faulfieber (1) der Ansteckung unvermeidlich ausgesetzt war und wo ich bloß durch einen entschiedenen Willen die Krankheit von mir abwehrte. Ich leide oft an Beschwerden des Unterleibs, allein der geistige Wille und die Kräfte des oberen Teils halten mich im




(1) Faulfieber = Fleckfieber, Typhus; typhoides Fieber - Bauchtyphus: en- oder epidemische Infektionskrankheit durch Salmonella typhi, übertragen durch direkten Kontakt mit Erkrankten oder gesunden Dauerausscheidern oder durch kontaminierte Nahrung (einschl. Trinkwasser). - Typhus exanthematicus, Läusefleckfieber: das klassische, auch als Hunger- oder Kriegstyphus bezeichnete Fieber; weltweit, vor allem unter schlechten hygienischen Bedingungen, insbesondere starker Verlausung, auftretende akute epidemische Infektionskrankheit mit hoher Sterblichkeit. Sie wird hervorgerufen durch Rickettsia prowazeki, Übertragung besonders durch Kleiderläuse.




Gange. Der Geist muß nur dem Körper nicht nachgeben! So arbeite ich bei hohem Barometerstande leichter als bei tiefem; da ich nun dieses weiß, so suche ich bei tiefem Barometer durch größere Anstrengung die nachteilige Einwirkung aufzuheben, und es gelingt mir. Aber schon bei unserem Leibe sehen wir, daß doch unserem Willen Grenzen gesetzt sind.

Denn zwar drängt er sich vor zu diesen Gliedern, zu jenen,
Stattet mächtig sie aus, jedoch schon darben dagegen
Andere Glieder, die Last des Uebergewichtes vernichtet
Alle Schöne der Form und alle reine Bewegung.
Siehst du also dem einen Geschöpf besonderen Vorzug
Irgend gegönnt, so frage nur gleich, wo leidet es etwa
Mangel anderswo, und suche mit forschendem Geiste,
Finden wirst du sogleich zu aller Bildung den Schlüssel.

Wie bei den Tieren so sehen wir es auch am Menschen: seine Lebensweise muß sich nach seinem Körper richten, wie umgekehrt auch der Körper sich langsam der Lebensweise anpaßt.

Ebenso stehen wir unter der Macht der Mitmenschen, und das ist auch eine, der wir oft willenlos unterliegen. Ich rede garnicht von grober Gewalt. Aber es kann auch eine Seele auf die andre durch bloße stelle Gegenwart entschieden einwirken. Es ist mir sehr oft passiert, daß, wenn ich mit einem guten Bekannten ging und lebhaft an etwas dachte, dieser über das, was im Sinne hatte, sogleich an zu reden fing. So habe ich einen Mann gekannt, der, ohne ein Wort zu sagen, durch bloße Geistesgewalt eine in heiteren Gesprächen begriffene Gesellschaft plötzlich still zu machen im Stande war. Ja, er konnte auch eine Verstimmung hineinbringen, sodaß es Allen unheimlich wurde.

Wir haben alle etwas von elektrischen und magnetischen Kräften in uns und üben wie der Magnet selber eine anziehende und abstoßende Gewalt aus. Unter Liebenden ist





diese magnetische Kraft besonders stark und wirkt sogar sehr in die Ferne. Ich habe in meinen Jünglingsjahren Fälle genug erlebt, wo auf einsamen Spaziergängen ein mächtiges Verlangen nach einem geliebten Mädchen mich überfiel und ich so lang an sie dachte, bis sie mir wirklich entgegenkam. "Es wurde mir in meinem Stübchen unruhig", sagte sie, "ich konnte mir nicht helfen, ich mußte hierher."

Aber die Hauptfrage ist ja, ob wir auch von überirdischen Mächten regiert werden. Am stärksten bejahen diese Frage die Mohammedaner; als Grundlage in der Religion befestigen sie ihre Jugend zunächst in der Überzeugung, daß dem Menschen nichts begegnen könne, als was ihm von einer allleitenden Gottheit längst bestimmt worden; und somit sind sie denn für ihr ganzes Leben ausgerüstet und beruhigt und bedürfen kaum eines Weiteren. Ich will zunächst nicht untersuchen, was an dieser Lehre Wahres oder Falsches, Nützliches oder Schädliches sein mag, aber im Grunde liegt von diesem Glauben doch etwas in uns allen. Die Kugel, auf der mein Name nicht geschrieben steht, wird mich nicht treffen, sagt der Soldat in der Schlacht; und wie sollte er ohne diese Zuversicht in den dringendsten Gefahren Mut und Heiterkeit behalten! Die Lehre des christlichen Glaubens: Kein Sperling fällt vom Dache ohne den Willen eures Vaters, ist aus derselbigen Quelle hervorgegangen und deutet auf eine Vorsehung, die das Kleinste im Auge behält und ohne deren Willen und Zulassen nichts geschehen kann.

Die Gebundenheit des Menschen folgt übrigens schon aus der Allwissenheit Gottes, wenn wir daran glauben. Sobald wir dem Menschen die Freiheit zugestehen, ist es um die Allwissenheit Gottes gethan; denn sobald die Gottheit weiß, was ich thun werde, bin ich gezwungen, zu handeln,





wie sie es weiß. Ich erkenne deshalb auch an, daß unser Schicksal vorausbestimmt ist. Unser Leben kann sicherlich durch die Ärzte um keinen Tag verlängert werden; wir leben, solange es Gott bestimmt hat. Und so ists mit unserm ganzen Lebensgange.

Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
Die Sonne stand zum Gruße der Planeten,
Bist alsobald und fort und fort gediehen
nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen.

Der Mensch empört sich freilich oft genug gegen seine Bestimmung, aber wenn er sich frei meint, spürt er doch endlich wieder die kräftigere Hand am Arme.

Da ists denn wieder, wie die Sterne wollten:
Bedingung und Gesetz, und aller Wille
Ist nur ein Wollen, weil wir eben sollten,
Und vor dem Willen schweigt die Willkür stille;
Das Liebste wird vom Herzen weggescholten,
Dem harten Muß bequemt sich Will' und Grille.
So sind wir scheinfrei denn, nach manchen Jahren,
Nur enger dran, als wir am Anfang waren.

Wir würden täglich diese Ketten sehen und darunter leiden, wären nicht Hoffnung und Phantasie als täuschende Freundinnen uns gleichfalls gegeben.

Ich habe meine eigenen Gedanken über diese herrschenden Gewalten, die wir bald deutlich spüren, bald dunkel ahnen. Mancher erkennt nur ein Eingreifen "des lieben Gottes" an, andere reden von einer "weisen Vorsehung." Ich habe in den Aufzeichnungen aus meinem Leben berichtet, warum ich zu anderen Worten kam. Ich glaubte in der Natur der belebten und unbelebten, der beseelten und unbeseelten, etwas





zu entdecken, das sich nur in Widersprüchen manifestierte. Es war nicht göttlich, denn es schien unvernünftig; nicht menschlich, denn es hatte keinen Verstand; nicht teuflisch, denn es war wohlthätig; nicht englisch, denn es ließ oft Schadenfreude merken. Es glich dem Zufall, denn es bewies keine Folge; es ähnelte der Vorsehung, denn es deutete auf Zusammenhang. Alles was uns begrenzt, schien für dasselbe durchdringbar; es schien mit den notwendigen Elementen unseres Daseins willkürlich zu schalten; es zog die Zeit zusammen und dehnte den Raum aus. Nur im unmöglichen schien es sich zu gefallen und das Mögliche mit Verachtung von sich zu stoßen. Dieses Wesen, das zwischen alle übrigen hineinzutreten, sie zu sondern, sie zu verbinden schien, nannte ich dämonisch, nach dem Beispiel der Alten und derer, die etwas Ähnliches gewahrt hatten. Ich suchte mich vor diesem furchtbaren Wesen zu retten, indem ich mich nach meiner Gewohnheit hinter ein Bild flüchtete.

Obgleich jenes Dämonische sich in allem Körperlichen und Unkörperlichen manifestieren kann, so steht es vorzüglich mit dem Menschen im wunderbarsten Zusammenhang und bildet eine der moralischen Weltordnung wo nicht entgegengesetzte, doch sie durchkreuzende Macht, so daß man die eine für den Zettel, die andere für den Einschlag könnte gelten lassen.

Am furchtbarsten aber erscheint dieses Dämonische, wenn es in irgend einem Menschen überwiegend hervortritt. Während meines Lebensganges habe ich mehrere, teils in der Nähe, teils in der Ferne beobachten können. Es sind nicht immer die vorzüglichsten Menschen, weder an Geist noch an Talenten, selten durch Herzensgüte sich empfehlend; aber eine ungeheure Kraft geht von ihnen aus, und sie üben eine unglaubliche





Gewalt über die Geschöpfe, ja sogar über die Elemente, und wer kann sagen, wieweit sich eine solche Wirkung erstrecken wird? Alle vereinten sittlichen Kräfte vermögen nichts gegen sie; vergebens, daß der hellere Teil der Menschen sie als Betrogene oder als Betrüger verdächtig machen will, die Masse wird von ihnen angezogen. Selten oder nie finden sich Gleichzeitige ihresgleichen, und sie sind durch nichts zu überwinden als durch das Universum selbst, mit dem sie den Kampf begonnen; und aus solchen Bemerkungen mag wohl jener sonderbare, aber ungeheure Spruch entstanden sein: Nemo contra deum nisi deus ipse. (1)

Napoleon z. B. war durchaus dämonischer Art, im höchsten Grade, sodaß kaum ein Anderer ihm zu vergleichen ist. Auch der verstorbene Großherzog war eine dämonische Natur, voll unbegrenzter Thatkraft und Unruhe, sodaß sein eigenes Reich ihm zu klein und das größte ihm zu klein gewesen wäre. Er war es in dem Grade, daß niemand ihm widerstehen konnte. Er übte auf die Menschen seine Anziehung durch seine ruhige Gegenwart, ohne daß er sich eben gütig und freundlich zu erweisen brauchte. Alles, was ich auf seinen Rat unternahm, glückte mir, sodaß ich in Fällen, wo mein Verstand und meine Vernunft nicht hinreichte, ihn nur zu fragen brauchte, was zu thun sei, wo er es denn instinktmäßig aussprach und ich immer im Voraus eines guten Erfolges gewiß sein konnte.

Ihm wäre es zu gönnen gewesen, daß er sich meiner Ideen und höheren Bestrebungen hätte bemächtigen können; denn wenn ihn der dämonische Geist verließ und nur das Menschliche zurückblieb, so wußte er mit sich nichts anzufangen und er war übel daran.

Auch in Byron (2) mag das Dämonische in hohem Grade




(1) Keiner kann gegen Gott sein, außer Gott selbst.
(2) Lord George Gordon Noel Byron, englischer Dichter, geboren 1788 in London, gestorben 1824 in Griechenland; verlebte Byron eine unglückliche Kindheit. Nach Antritt einer Erbschaft studierte er in Harrow und Cambridge. Anschließend unternahm er Reisen nach Spanien und Portugal und auf den Balkan. Aufgrund eines Skandals - es handelte sich um das Gerücht, er würde seine Frau mit der Stiefschwester betrügen - musste er England verlassen und ging zunächst in die Schweiz. 1821, als in Griechenland der Befreiungskrieg gegen die Türken begann, reiste er nach Missolunghi und stellte dem Fürsten Maurokordatos den größten Teil seines Vermögens und sich selbst als Soldat zur Verfügung. Der Dichter starb im April 1824 im Alter von 36 Jahren in Missolunghi an Malaria. Hauptwerke: "Ritter Harolds Pilgerfahrt", "Don Juan", "Himmel und Erde".




wirksam gewesen sein, weshalb er auch die Attraktion in großem Maße besessen, sodaß ihm besonders die Frauen nicht haben widerstehen können.

Dämonische Wesen solcher Art rechneten die Griechen unter die Halbgötter. Auch Friedrich (1) und Peter der Große (2) gehören hierher, ebenso Mirabeau (3). Er besaß die Gabe, das Talent zu unterscheiden, und das Talent fühlte isch von dem Dämon seiner gewaltigen Natur angezogen, sodaß es sich ihm seiner Leitung willig hingab.

In meiner Natur liegt das Dämonische nicht, aber ich bin ihm unterworfen. So waltete bei meiner Bekanntschaft mit Schiller (4) durchaus etwas Dämonisches ob; wir konnten früher, wir konnten später zusammengeführt werden, aber daß wir es gerade in der Epoche wurden, wo ich die italienische Reise hinter mir hatte und Schiller der philosophischen Spekulationen müde zu werden anfing, war von Bedeutung für beide von größteme Erfolg.

Mir kommt ferner Sorets (5) Übersetzung meiner "Metamorphose der Pflanzen" in den Sinn, die sich so lange hinschleppt; es sind tausend Hindernisse dazwischen getreten, das Unternehmen hat of ganz wiederwärtig gestockt, und ich habe es oft im Stillen verwünscht. Nun aber komme ich in den Fall, alle diese Hindernisse zu verehren, indem im Laufe dieser Zögerungen außerhalb, bei anderen trefflichen Menschen, Dinge herangereift sind, die jetzt als das schönste Wasser auf meine Mühle mich über alle Begriffe weiter bringen und meine Arbeit einen Abschluß erlangen lassen, wie es vor einem Jahre nicht wäre denkbar gewesen. Dergleichen ist mir in meinem Leben öfter begegnet, und kommt dahin, in solchen Fällen an eine höhere Einwirkung, an etwas




(1) Friedrich II., der Große, preußischer König, geboren 1712 in Berlin, gestorben 1786 Potsdam, Regierungszeit 1740-1786;
(2) Peter I., Peter der Große, geboren 1672 in Moskau, gestorben 1725 in St. Petersburg, russischer Zar 1681, seit 1721 mit Titel "Kaiser aller Reußen"; erlernte 1697/98 auf Auslandsreisen in Holland und England den Schiffbau; führte die westliche Zivilisation nach seiner Rückkehr systematisch in Russland ein; schuf europäische geschulte Armee und Flotte und siegte im Nordischen Krieg 1700 bis 1721 über Schwedens Karl XII. und begründete dadurch die russische Vormachtstellung im Nordosten Europas mit dem neu errichteten Mittelpunkt Petersburg; umwälzende Reformen im Innern: Merkantilpolitik, nach außen Anschluss an den Westen, sein Ruhm wurde überschattet von despotischen Grausamkeiten wie Folterung und Hinrichtung u. a. seines eigenen Sohnes Alexej 1718.
(3) Honoré Gabriel de Riqueti, Graf von Mirabeau, französischer Politiker, geboren 1749 in Le Bignon, gestorben 1791 in Paris, stark beeindruckt von der Persönlichkeit und dem Staatssystem Friedrichs des Großen; trat als Wortführer des 3. Standes 1789 für die konstitutionelle Monarchie unter schärfster Ablehnung des Despotismus ein und wurde 1790 Präsident des Jakobinerklubs, 1791 der Nationalversammlung. Mirabeau war Befürworter einer konstitutionellen Monarchie mit absolutem Vetorecht des Königs.
(4)
Schiller, deutscher Dichter, 1759 - 1805, begegnet zum ersten Mal Goethe am 07.09.1788.
(5) Soret, Frédérik, schweizer Naturwissenschaftler russischer Herkunft, geboren 1795 Sankt Petersburg, gestorben 1865 Genf; 1822 - 1836 Prinzenerzieher in Weimar. Seine Tagebuchaufzeichnungen und Erinnerungen bilden die Grundlage für den 3.Teil von J.P. Eckermanns "Gespräche mit Goethe"


dämonisches zu glauben, das man anbetet, ohne sich anzumaßen, es weiter erklären zu wollen.

Als hemmende, verlangsamende Kraft tritt uns auch in der Weltgeschichte das Dämonische oft entgegen. Denken Sie wieder an unseren verstorbenen Großherzog und daran, wie sehr er seiner Mitwelt voraus war! Nur ein lumpiges Jahrhundert später, und wie würde er an so hoher Stelle seine Zeit vorwärts gebracht haben! Aber wissen Sie was? Die Welt soll nicht so rasch zum Ziele, als wir denken und wünschen. Immer sind die retardierenden (1) Dämonen da, die überall dazwischen- und überall entgegentreten, sodaß es zwar im Ganzen vorwärts geht, aber sehr langsam.

Etwas Ähnliches finden wir bei Lord Byrons frühem Untergange wirksam. Überhaupt sehen wir oft, daß im mittleren Leben eines Menschen häufig eine Wendung eintritt, und daß, wie ihn in seiner Jugend Alles begünstigte und Alles ihm glückte, nun mit einem Mal Alles ganz anders wird, und ein Unfall und ein Mißgeschick sich auf das andere häuft. Wissen Sie aber, wie ich es mir denke? - Der Mensch muß wieder ruiniert werden! Jeder außerordentliche Mensch hat eine gewisse Sendung, die er zu vollführen berufen ist. Hat er sie vollbracht, so ist er auf Erden in dieser Gestalt nicht weiter von nöten, und die Vorsehung verwendet ihn wieder zu etwas Anderem. Da aber hienieden alles auf natürlichem Wege geschieht, so stellen ihm die Dämonen ein Bein nach dem andern, bis er zuletzt unterliegt. So ging es Napoleon und vielen andern: Mozart starb in seinem sechsunddreißigsten Jahre, Rafael im gleichen Alter, Byron nur um weniges älter. Alle aber hatten ihre Mission auf das Vollkommenste erfüllt, und es war wohl Zeit, daß sie gingen, damit auch anderen Leuten in dieser auf eine




(1) retardieren, verzögern, hemmen




lange Dauer berechneten Welt noch etwas zu thun übrig bliebe.

Noch auf ganz anderen Gebieten gegegnen wir dem Dämonischen. Sein eigentliches Element findet es in der Liebe zwischen Mann und Weib. Es pflegt jede tiefe Leidenschaft zu begleiten. In meinem Verhältnis zu Lili (1) war es besonders wirksam; es gab meinem Leben eine andere Richtung, und ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, daß meine Herkunft nach Weimar und mein jetziges Hiersein davon eine unmittelbare Folge war.

Auch in der Poesie ist durchaus etwas Dämonisches, und zwar vorzüglich in der unbewußten, bei der aller Verstand und alle Vernunft zu kurz kommt, und die daher auch so über alle Begriffe wirkt.

Desgleichen ist es in der Musik im höchsten Grade, denn sie steht so hoch, daß kein Verstand ihr beikommen kann, und es geht von ihr eine Wirkung aus, die Alles beherrscht, und von der Niemand im Stande ist, sich Rechenschaft zu geben. Denken sie nur an Paganini! (2) Der religiöse Kultus kann sie daher auch nicht entbehren; sie ist eins der ersten Mittel, um auf die Menschen wunderbar zu wirken.

* * *

Doch nun genug von den Dämonen! Verbleibt uns denn ihnen und der Gottheit gegenüber noch so viel Willensfreiheit, daß wir von Moral reden, moralische Vorschriften machen dürfen? Allerdings! Das Leben ist nicht ein einmaliges Würfelspiel, bei dem die zufällig gefallenen Augen Alles entscheiden, sondern es ist einem beständigen Kartenspiel zu vergleichen, in dem das Geschick des Spielers neben




(1) Goethes Verlobung mit der Offenbacher Bankierstochter Lili Schönemann 1775 war ein Versuch, sich in bürgerlichen Verhältnissen zu etablieren, wurde bald wieder gelöst. Durch gemeinsame Reise mit den beiden Grafen zu Stolberg-Stolberg in die Schweiz, entzog er sich den hemmenden Einflüssen.
(2) Niccolo Paganini, italienischer Komponist und Violinist, geboren 1782 in Genua, gestorben 1840 in Nizza, feierte als "Teufelsgeiger" Triumphe in ganz Europa. 1805 Kapellmeister in Lucca, seit 1808 reiste er auf Tourneen erfolgreich durch ganz Europa. Er selbst schrieb fünf Violinkonzerte und 24 "Capricci".




dem Kartenglück entscheidet. Gott läßt auch zu, was er nicht will. Und den Dämonen gegenüber muß unsere bessere Natur sich kräftig durchhalten und ihnen nicht mehr Macht einräumen als billig.

Das freilich folgt aus unserer Betrachtung, daß man duldsam sein soll, zumal im Urteil über die Menschen, in denen die Dämonen sich besonders erweisen. Außerordentliche Menschen wie Napoleon treten aus der Moralität heraus, sie wirken zuletzt wie physische Ursachen, wie Feuer und Wasser.

Ich verhehle nicht, daß mich diese Menschen immer angezogen haben, wie man ja auch an den Helden meiner Dichtungen, der ausgeführten und geplanten, leicht erkennen mag.

Die Menschen demoralisieren einander viel zu viel. Pfaffen und Schulleute quälen unendlich. Die Weisen dagegen sagen: Beurteil Niemand, bis du an seiner Stelle gestanden hast! Davon rührt so viel Ungerechtigkeit her, daß wir Andere zu richten uns anmaßen, obwohl oder weil sie anders sind als wir und in anderen Welten leben. Denken Sie an Byron und seine Verkleinerer! Ist es nicht eines alten Griechen, eines Plutarch (1) würdig, wie der Major Parry (2) sie abfertigt? "Dem edeln Lord, sagt Parry, fehlten alle jene Tugenden, die den Bürgerstand zieren, und welche sich anzueignen er durch Geburt, durch Erziehung und Lebensweise gehindert war. Nun sind aber seine ungünstigen Beurteiler sämtlich aus der Mittelklasse, die denn freilich tadelnd bedauern, dasjenige an ihm zu vermissen, was sie an sich selber zu schätzen Ursache haben. Die wackeren Leute bedenken nicht, daß er an seiner hohen Stelle Verdienste besaß, von denen sie sich keinen Begriff machen können." Nicht




(1) Plutarch, griechischer Philosoph und Historiker, geboren um 46 n.Chr. in Chaironeia, gestorben um 120; beeinflusst von Platon, der Stoa und der peripatetischen Schule. Seine vergleichende Beschreibungen der sittlichen Lebensführung bedeutender Griechen und Römer "Bioi paralleloi" werden hier angesprochen.
(2) Major William Parry wurde vom London-Griechenland-Committee als Feuerleitoffizier dem Lord Byrons zur Seite gestellt, um seine Artillerie 1824 im Griechisch-Türkischen Freiheitskampf zu organisieren. Er verfaßte das Buch "The Last Days of Lord Byron" im Jahr 1825. Siehe dazu auch das auf Seite 22 in Fußnote (2) angesprochene Gerücht.




wahr, so etwas hört man nicht alle Tage! Und machen es nicht auch die Philosophen oft ähnlich wie die Philister (1) des Mittelstandes? Sind sie nicht wie die Ärzte, die uns etwas verbieten oder vorschreiben, je nachdem sie selbst es hassen oder lieben? Der Eine ist zum Stoiker geboren, gelangt deshalb zum Stoizismus (2), und ebenso wird der Andere Epikuräer (3); Kant (4) war von Natur mäßig, daher der Charakter seiner Philosophie.

Den gleichen Fehler des unbefungten Richtens macht das Alter oft gegen die Jugend. Wer sagt uns denn, daß wir im Alter mehr Recht haben als vor Jahrzehnten? Ich war in meinem vierzigsten Jahre über einige Dinge vollkommen so klar und gescheit wie jetzt und in manchen Hinsichten sogar besser. Und wenn man in der Jugend nicht tolle Streiche machte und mitunter einen Buckel voll Schläge mit wegnähme, was wollte man denn im Alter für Betrachtungsstoff haben? Da will jetzt meine Schwiegertochter (5) eine thörichte Reise unternehmen, um ein Nichts! Aber ein solches Nichts ist der Jugend oft unendlich viel. Und im Ganzen genommen, was thuts? Man muß oft etwa Tolles unternehmen, um nur wieder eine Zeit lang leben zu können. In meiner Jugend habe ich es nicht besser gemacht, und doch bin ich noch ziemlich mit heiler Haut davongekommen.

Ich kann nur empfehlen, daß man jede Individualität gewähren lasse, zumal sie die Strafe ihrer Fehler von selbst bekommt. Im Scherze habe ich wohl gelehrt: "Kinderchen, ihr müßt lernen, mit Vergnügen irren zu sehen." Auch mit dem Ratgeben ist es ein eigenes Ding, und wenn man eine Welt gesehen hat, wo die gescheitesten Dinge mißlingen und das Absurdeste of zu einem glücklichen Ziele führt, so kommt man wohl davon zurück, Jemand einen Rat erteilen




(1) Philister, hebräisch, Ausdruck für Spießbürger, engherziger Mensch.
(2) Die Lehre der Stoiker, der Stoizismus, gliederte die Philosophie in Logik, Physik und Ethik. Nach der Ethik der Stoiker gibt es nur eine einzige wahrhafte Glückseligkeit: das Leben im Einklang mit der Allnatur, den Gehorsam gegen das göttliche Gesetz und das es aussprechende Pflichtgebot der Vernunft.
(3) Der Kern der Philosophie Epikurs ist das Ziel, durch richtiges Denken ein glückseliges Leben zu gewinnen. Der Maßstab der Wahrheit ist die sinnliche Wahrnehmung, auf die sich auch alle Vernunfterkenntnis aufbaut. Wahre Glückseligkeit als Wesen des Sittlichen sei nicht durch grobe Sinnenlust, sondern nur durch weise Abwägung des Genusses, durch Selbstbeherrschung, Tugend, Gerechtigkeit erreichbar.
(4) Kant, Immanuel, Philosoph, geboren 1724 in Königsberg, gestorben 1804 in Königsberg; seit 1770 Professor für Logik und Metaphysik in Königsberg.
(5) 1817 Vermählung August von Goethe mit Ottilie von Pogwisch (1796 bis 1872); aus dieser Verbindung stammen die Enkelkinder Walther Wolfgang (1818-85), Wolfgang Maximilian (1820-83) und Alma Sedina Henriette Cornelia (1827-44).




zu wollen. Es ist besonders gefährlich, in die Ferne sittlich zu wirken. Spricht man mit einem Freunde, so fühlt man seine Lage und mildert die Worte nach dem Augenblick; entfernt spricht man nicht recht und trifft nicht zur rechten Zeit.

Namentlich ist alles Übelnehmen von Übel.

Wenn ein Edler gegen dich fehlt,
so Thu, als hättest du's nicht gezählt:
Er wird es in sein Schuldbuch schreiben
Und dir nicht lange im Debet (1) bleiben

Ebenso wie gegen Andere, soll man auch gegen sich selbst einige Milde üben. Es wird einem nichts erlaubt, man muß es sich selber erlauben; dann lassens sich die Andern gefallen - oder nicht!

Gehts in der Welt dir endlich schlecht:
Thu was du willst, nur habe nicht Recht!

Auch keine Rekriminationen (2), keine Vorwürfe über Vergangenes, nun doch nicht zu Änderndes! Jeder Tag bestehe für sich; wie kann man leben, wenn man nicht jeden Abend sich und Anderen ein Absolutorium (3) erteilt? Ich sah jüngst sogar einen Knaben, der sich wegen eines begangenen kleinen Fehlers nicht beruhigen konnte. Es war mir nicht lieb, das zu bemerken, denn es zeugt von einem zu zarten Gewissen, welches das eigene moralische Selbst so hoch schätzt, daß es ihm nicht verzeihen will. Ein solches Gewissen macht hypochondrische (4) Menschen, wenn es nicht durch eine große Thätigkeit balanciert wird.

Nichts taugt Ungeduld,
Noch weniger Reue:
Jene vermehrt die Schld,
Diese schafft neue.




(1) Debet, [lateinisch] das, die "Sollseite" eines Kontos;
(2) Rekrimination (lat.), Gegenbeschuldigung.
(3) Absolutorium (lat.), die Befreiung von einer Verbindlichkeit, Verantwortung oder von einem Anspruch.
(4) Hypochondrie, ein den Geisteskrankheiten nahestehendes Nervenleiden, welches sich vorzugsweise bei Männern findet, und über dessen eigentlichen Sitz jederzeit unter den Ärzten sehr verschiedene Meinungen obgewaltet haben. Bald sollte der H. ein Gallenübel, bald Stockung und Verstopfung der Unterleibsgefäße und Drüsen zu Grunde liegen. Die eine medizinische Schule sah in der H. einen Eingeweidekrampf mit übermäßiger Darmgasentwickelung, die andre ein organisches Gehirnleiden, eine dritte eine schleichende Entzündung der Darmschleimhaut. Die H. ist wesentlich in einer abnormen Thätigkeit der psychischen Funktionen begründet und bildet einen Übergang zu den eigentlichen Geisteskrankheiten. Der Beginn des hypochondrischen Leidens äußert sich etwa auf folgende Weise: Die Heiterkeit des Geistes wird gestört durch den sich bei jeder Gelegenheit aufdrängenden Gedanken an ein Leiden des eignen Körpers. Der Kranke bestrebt sich, den Sitz seines Leidens genau zu bestimmen. Magen und Darmkanal werden gewöhnlich zuerst für erkrankt gehalten, da sich der H. schon im Beginn übermäßige Gasentwickelung in den Därmen hinzugesellt. Säurebildung im Magen stellt sich ein. (Meyers Konversationslexikon, Leipzig, 1888-1889)




Noch in zwiefacher Hinsicht muß ich meinen Mangel an Moralität manifestieren. Man weiß ja, daß ich auch den Trieben des einen Geschlechts zum andern ein Ausleben gönne. Ich war nie für Zügellosigkeit und habe auch mich selbst zu beherrschen verstanden. Ich war Jahrzehnte lang Vorsteher unseres Theaters, und da fehlte es nicht an schönen und jungen Frauenzimmern, die mir auf halbem Wege entgegenkamen. Nicht jeder hätte sich jedes Mal selbst festgenommen wie ich es that. Aber mit den Grämlingen auf diesem Gebiete mochte ich doch nie in ein Horn stoßen. Man hört so oft über weitverbreitete Immoralität in unserer Zeit klagen, und doch wüßte ich nicht, daß irgend einer, der Lust hätte, moralisch zu sein, verhindert würde, es nur um so mehr und mit desto mehr Ehre zu sein. Auch kann ich es nicht billigen, wenn erwachsene Menschen sich schämen, über solche Sachen zu reden oder etwas zu hören. Ich habe mich stets grob und deutlich ausgesprochen und kann z. B. den moralischen Engländer, der die Sakuntala (1) nicht getreu zu übersetzen wagte, nicht sehr hoch einschätzen.

Sodann denke ich über den Egoismus günstiger als seine vielen Ankläger. Als wenn die Natur nicht so eingerichtet wäre, daß die Zwecke des Einzelnen dem Ganzen nicht widersprechen, ja sogar zu seiner Erhaltung dienen, als wenn ohne Motive etwas geschehen könnte, und als wenn diese Motive außerhalb des handelnden Wesens liegen könnten und nicht vielmehr im Innersten desselben; ja, als wenn ich die Wohlfahrt des Andern befördern könnte, ohne daß sie auf mich inundierte (2), keineswegs mit meinem Verlust, mit meiner Aufopferung, welche nicht immer dazu erfordert wird und welches nur in gewissen Fällen geschehen kann. Wäre es wahr, daß Jeder nur aus und zu seinem Vorteil handle,




(1) Der indischer Dichter Kalidasa lebte um 400 n.Chr. Über sein Leben ist wenig bekannt; er gilt als Klassiker der indischen Literatur und des indischen Theaters zur Zeit der Guptadynastie. Als ein Höhepunkt der indischen Dramatik sind seine zwei Stücke "Sakuntala" und "Vikramorvasi" einzuordnen. Sakuntala ist Liebespoesie mit einem Reichtum nicht nur an poetischen Mitteln, sondern auch an Schönheit der Sprache und Humor. Sakuntala erzählt die Geschichte des Königs Dusyanta, der sich in Úakuntalâ, ein Mädchen aus einer Einsiedelei, verliebt. Trotz dieser Hürde heiraten die beiden, und es scheint, sie könnten fortan glücklich leben, bis ihnen das Schicksal einen Schlag versetzt. Als der König wegen unaufschiebbarer Angelegenheiten zum Hof gerufen wird, beleidigt seine Braut unbeabsichtigt einen Heiligen, der sie daraufhin verflucht, so daß sich der König ihrer nicht mehr erinnert. Den Fluch mildernd, erklärt der Heilige, die Erinnerung des Königs werde zurückkehren, sobald ihm Sakuntala seinen Ring zurückgebe. Was einfach scheint verwickelt sich, als Sakuntala den Ring beim Baden verliert. Doch wahre Liebe soll gewinnen, und so wendet sich das Schicksal zum Guten, und der Ring wird von einem Fischer gefunden. Goethe dichtet:
Willst du die Blüte des frühen, die Früchte des späteren Jahres,
Willst du, was reizt und entzückt, willst du, was sättigt und nährt,
Willst du den Himmel, die Erde mit einem Namen begreifen,
Nenn ich, Sakontala, dich, und so ist alles gesagt.

(2) inundieren, lat. inundare, zu unda= Welle, überschwemmen, über die Ufer treten.




so würde einmal folgen, daß, wenn ich zu meinem Abbruch, Nachteil, Detriment (1) handelte, ich erst die Wohlfahrt Anderer beförderte, welches absurd ist. Ferner, daß, wenn ich dem Andern Schaden thäte, wenn ich im Zorn gegen ihn aufwallte und ihn schlüge oder dergl., ich alsdann zu meinem Vorteil, für mein Interesse handelte, welches ebenso absurd ist.

Nach Allem, was ich eben gesagt habe, könnte es scheinen, als ob ich vor dem Sittlichen nur geringen Respekt hätte, und Mancher möchte mich denn auch gern als unmoralisch hinstellen. Aber habe ich nicht auch angedeutet, daß ich das Sittliche geradezu als eine Offenbarung Gottes betrachte? Und anders angewandt: unser Edelsinn beweist das Dasein Gottes. Wie ist das Sittliche in die Welt gekommen? Durch Gott selber, wie alles andere Gute. Es ist kein Produkt menschlicher Reflexion, sondern es ist angeschaffene und angeborene schöne Natur. Es ist mehr oder weniger den Menschen im Allgemeinen angeschaffen, im hohen Grade aber einzelnen ganz vorzüglich begabten Gemütern. Diese haben durch große Thaten oder Lehren ihr göttliches Innere offenbart, welches sodann durch die Schönheit seiner Erscheinung die Liebe der Menschen ergriff und zur Verehrung und Nacheiferung gewaltig fortzog.

Der Wert des Sittlich-Schönen und Guten aber konnte durch Erfahrung und Weisheit zum Bewußtsein gelangen, indem das Schlechte sich in seinen Folgen als ein solches erwies, welches das Glück des Einzelnen wie des Ganzen zerstörte, dagegen das Edle und Rechte als ein solches welches das besondere und allgemeine Glück herbeiführte. So konnte das Sittlich-Schöne zur Lehre werden und sich als ein Ausgesprochenes über ganze Völkerschaften verbreiten.




(1) Detriment das, lat., Schaden, Nachteil.




Nun soll man mich aber nicht so verstehen, daß jede gute Handlung alsbald Vorteile und Segen für den Thäter und Andere hervorriefe. Alles, was wir thun, hat eine Folge. Aber das Kluge und Rechte bringt nicht immer etwas Günstiges, und das Verkehrte nicht immer etwas Ungünstiges hervor, vielmehr wirkt es oftmals ganz im Gegenteil. Weltmenschen, die dies wissen, sieht man daher mit einer großen Frechheit und Dreistigkeit zu Werke gehen. Auch irrt sich, wer da meint, daß er durch die Erfüllung einer Tugend glücklich sei. Es ist die Eitelkeit, die ihm noch beiwohnt, eine solche Tugend auszuüben. Sie muß sich von selbst verstehen. Dann macht aber das Gefühl derselben nicht mehr glücklich. Wir sind nicht glücklich durch unsere Tugenden, sondern durch unsere Fehler und Schwachheiten.

Die Moral ist mehr als der schwankende Kalkül einer bloßen Glücklichkeitslehre, sie ist von übersinnlicher Art. Sie ist ein ewiger Friedensversuch zwischen unsern persönlichen Anfordrungen und den Gesetzen jenes unsichtbaren Reiches. Zuversicht und Ergebung sind ihre echten Grundlagen, und die Unterordnung unter einen höhern, die Ereignisse ordnenden Willen, den wir nicht begreifen, eben weil er höher als unsere Vernunft und unser Verstand ist.

Soll ich die Tugenden nennen, auf die ich den größten Wert lege? Von der Läßlichkeit (1) und Milde war die Rede, eben so hoch oder höher stehen die Ehrfurcht, die Thätigkeit, die Wahrhaftigkeit. Ich halte es für eine Sünde, das nil admirari (2) zu lehren, im Gegentheil hat Plato (3) Recht, der die Verwunderung die Mutter alles Schönen und Guten nennt. Freilich ungern entschließt sich der mensch zur Ehrfurcht. Ich erstrebe eine dreifache Ehrfurcht, die, wenn sie zusammenfließt und ein Ganzes bildet, erst ihre höchste Kraft




(1) Läßlichkeit: Duldsamkeit, leidige Milde
(2) nichts anstaunen
(3) Platon, lateinisch Plato, griechischer Philosoph, geb. 427 v.Chr. in Athen, gest. 348/347 v.Chr. in Athen.




und Wirkung erreicht. Das erste ist Ehrfurcht vor dem, was über uns ist, das zweite Ehrfurcht vor dem, was uns gleich ist, das dritte vor dem, was unter uns ist. Den Dreien entspringen auch drei Religionen: die heidnische, soweit sie von der Furcht vor den oberen Mächten zur Ehrfurcht durchgedrungen ist; die zweite ist die philosophische, denn der Philosoph, der sich in die Mitte stellt, muß alles Höhere zu sich herab-, alles Niedere zu sich heraufziehen, und nur in diesem Mittelzustand verdient er den Namen des Weisen. Die dritte Religion, die Ehrfurcht vor dem hat, was unter uns ist, die christliche, ist ein letztes, wozu die Menschheit gelangen konnte und mußte. Aber was gehörte dazu, die Erde nicht allein unter sich liegen zu lassen und sich auf einen höheren Geburtsort zu berufen, sondern auch Niedrigkeit und Armut, Spott und Verachtung, Schmach und Elend, Leiden und Tod als göttlich anzuerkennen, ja Sünde selbst und Verbrechen nicht als Hindernisse, sondern als Fördernisse des Heiligen zu verehren und liebzugewinnen! Hiervon finden sich freilich Spuren zu allen Zeiten, aber Spur ist nicht Ziel, und da dieses einmal erreicht ist, so kann die Menschheit nicht wieder zurück, und man darf sagen, daß die christliche Religion, da sie einmal erschienen ist, nicht wieder verschwinden kann. Ich bekenne mich gern zu allen dreien Religionen, sie zusammen bringen eigentlich die wahre Religion hervor; aus diesen drei Ehrfurchten entspringt die oberste Ehrfurcht, die Ehrfurcht vor sich selbst, und jene entwickeln sich abermals aus dieser, sodaß der Mensch zum Höchsten gelangt, was er zu erreichen fähig ist, daß er sich selbst für das Beste halten darf, was Gott und Natur hervorgebracht haben, ohne Dünkel und Selbstheit wieder ins Gemeine gezogen zu werden.





Thätigkeit ist die rechte Weise, Gott zu danken für die Gaben, die er uns verliehen hat; unablässige Thätigkeit ist zugleich das große Heilmittel für seelisches Leiden und die Grundlage des menschlichen Glückes. Sie ist auch der Spiegel, in dem wir uns und unseren Wert erkennen können. Wie kann man sich selbst kennen lernen? Durch Betrachten niemals, wohl aber durch Handeln. Versuche deine Pflicht zu thun, und du weißt gleich, was an dir ist. - Was aber ist deine Pflicht? - Die Forderung des Tages. Welches Mittel haben wir, schmerzhaftes und tückisches Schicksal zu überwinden? Das Sicherste bleibt immer, daß wir Alles, was in und an uns ist, in That zu verwandeln suchen.

Die Wahrheit ist die Tugend, für die ich am meisten gelitten habe; ernstlichen Schaden hat sie mir freilich nicht gebracht, ich habe mich je und je gefreut, daß ich mein Leben dem Wahren gewidmet hatte, von wo es so leicht ist, zum Großen überzugehen, das nur der höchste, reinste Punkt des Wahren ist. Aber den Leuten gefällt meine Echtheit nicht. Man war im Grunde nie zufrieden mit mir und wollte mich immer anders, als es Gott gefallen hatte, mich zu machen. Lobte man mich, so sollte ich das nicht in freudigem Selbstgefühl als einen schuldigen Tribut hinnehmen, sondern man erwartete von mir irgend eine ablehnende bescheidene Phrase, worin ich demütig den völligen Unwert meiner Person und meines Werkes an den Tag legte. Das aber wiederstrebte meiner Natur, und ich hätte müssen ein elender Lump sein, wenn ich so hätte heucheln und lügen wollen. Da ich nun aber stark genug war, mich in ganzer Wahrheit so zu zeigen, wie ich fühlte, so galt ich für stolz und gelte noch so bis auf den heutigen Tag. In religiösen Dingen, in wissenschaftlichen und politischen, überall machte es mir zu schaffen,





daß ich nicht heuchelte und daß ich den Mut hatte, mich auszusprechen, wie ich empfand. Es ist schlimm, daß so wenig Wahrheit in der Welt ist. Wo kommt uns noch eine originelle Natur unverhüllt entgegen! Und wo hat einer die Kraft, wahr zu sein und sich zu zeigen, wie er ist?

Aber über allen anderen Tugenden steht eins: das beständige Streben nach oben, das Ringen mit sich selbst, das unersättliche Verlangen nach größerer Reinheit, Weisheit Güte und Liebe. Nemo coronatur nisi qui certaverit ante (1), das war auch mein Glaube immer. Und ich darf sagen, daß ich es mir habe sauer werden lassen, daß ich das Leben ernsthaft nahm und mich stets zu bilden, belehren und bessern suchte. Ich suchte namentlich auch fernzuhalten, was mich auf Abwege führen konnte, denn ich spürte

Von allen Geistern, die ich jemals angelockt
Fühl ich mich rings umsessen, ja umlagert.

Und ich rief mir oft selber zu:

Nur heute, heute nur laß dich nicht fangen,
So bist du hundertmal entgangen!

Was wir in uns nähren, das wächst, das ist ein ewiges Naturgesetz. Es giebt ein Organ des Mißwollens, der Unzufriedenheit in uns, wie es eines der Opposition, der Zweifelsucht giebt. Je mehr wir ihm Nahrung zuführen, es üben, je mächtiger wird es, bis es sich zuletzt aus einem Organ in ein krankhaftes Geschwür umwandelt und verderblich um sich frißt. Dann setzt Reue, Vorwurf und andere Absurdität daran, wir werden ungerecht gegen Andere und gegen uns selbst. Die Freude an fremden und eigenem Gelingen und Vollbringen geht verloren, aus Verzweiflung suchen wir zuletzt den Grund des Übels außer uns, statt ihn in unserer Verkehrtheit zu finden.




(1) Niemand wird gekrönt, der nicht vorher gekämpft hat.




Ebenso kann und soll die Entwicklung umgekehrt sein. Ich habe oft die Genugthuung gehabt, daß ich bei Angriffen meiner Gegner mir sagen konnte, ich habe die getadelten Fehler bereits überwunden. Ein äußeres Hilfsmittel zur Veredelung ist das Tagebuchführen, auch habe ich mir wohl an Geburtstagen ernstlich überlegt, wo es noch fehle. Eine tägliche Übersicht des Geleisteten und Erlebten macht erst, daß man seines Thuns gewahr und froh werde, sie führt zur Gewissenhaftigkeit. Fehler und Irrtümer treten bei solcher täglichen Buchführung von selbst hervor, die Beleuchtung des Vergangenen wuchert für die Zukunft.

Wir sehen freilich manchmal nicht klar, wohin dieser oder jener Weg führt, aber stillstehen darf nimmer, wer nicht schwächer werden will.

Diese Richtung ist gewiß:
Immer schreite, schreite!
Finsternis und Hindernis
Bleiben dir bei Seite!

Ich betrachtete jüngst ein Bild, wo Christus auf dem Meere wandelt und Petrus, ihm auf den Wellen entgegenkommend, in einem Augenblick anwandelnder Mutlosigkeit sogleich einzusinken anfängt. Es ist dies eine der schönsten Legenden, die ich vor allen lieb habe. Es ist darin die hohe Lehre ausgesprochen, daß der Mensch durch Glauben und frischen Mut im schwierigsten Unternehmen siegen werde, dagegen bei anwandelndem geringstem Zweifel sogleich verloren sei. Tapferes, treues Vorwärtsdringen bewirkt stets ein göttliches Entgegenkommen.

Allen Gewalten
Zum Trutz sich erhalten,
Nimmer sich beugen,





Kräftig sich zeigen,
Rufet die Arme
Der Götter herbei

Im christlichen Gewande, durch das ich meinen poetischen Intentionen (1) eine wohltätig beschränkende Form und Festigkeit gegeben habe, lehrt der Schluß meines "Faust" ja das Gleiche:

Gerettet ist das edle Glied
Der Geisterwelt vom Bösen:
Wer immer strebend sich bemüht,
Den können wir erlösen,

Und hat an ihm die Liebe gar
Von oben teilgenommen,
Begegnet ihm die selige Schaar
Mit herzlichem Willkommen.

In diesen Versen ist der Schlüssel zu Fausts Rettung enthalten: in Faust selber eine immer höhere und reinere Thätigkeit bis ans Ende, und von oben die ihm zu Hilfe kommende, ewige Liebe. Es stehet dieses mit unserer religiösen Vorstellung durchaus in Harmonie, nach welcher wir nicht bloß durch eigene Kraft selig werden, sondern durch die hinzukommende göttliche Gnade.

* * *

Sie sehen, ich bin nicht der arge Heide, für den ich gelte. Ich glaubte immer an Gott und die Natur und an den Sieg des Edlen über das Schlechte, aber das war den frommen Seelen nicht genug, ich sollte auch glauben, daß Drei Eins seien und Eins Drei. Das aber wiederstrebte dem Wahrheitsgefühl meiner Seele; auch sah ich nicht ein, daß mir damit auch nur im mindesten wäre geholfen worden.

Man hat mich auch in alten Tagen noch bekehren wollen,




(1) Intention, die, -en, lat., Absicht; Vorhaben.




eine wohlwollende Freundin aus ferner Jugendzeit hat mir einen so herzlichen wie langen Brief geschrieben, um meine Seele zu retten; ich entschloß mich endlich zu wenigen kurzen Sätzen als Antwort, und habe sie im Gedächtnis: "Redlich habe ich es mein Leben lang mit mir und Anderen gemeint und bei allem irdischen Treiben immer aufs höchste geblickt; Sie und die Ihrigen haben es auch gethan. Wirken wir also immerfort, so lange es Tag für uns ist; für andere wird auch eine Sonne scheinen, sie werden sich an ihr hervorthun und uns indeß ein helleres Licht erleuchten. Möge sich in den Armen des allliebenden Vaters alles wieder zusammenfinden!"

Aber wenn ich auch jede Dogma ablehne und keiner Vermittlung zwischen mir und Gott bedarf, mich auch nicht so als hoffnungslosen Sündenknecht fühle, daß nur das Blut des Gekreuzigten mich vor Gott reinwaschen könnte, so möchte ich doch mit Achtung von der christlichen Religion sprechen, woran die gesunkene und leidende Menschheit von Zeit zu Zeit sich immer wieder emporgearbeitet hat, ebenso von der Bibel, zu deren fleißigen Lesern ich stets gehörte, wenn ich auch die Entdeckung, daß die Erde um die Sonne kreist, für ebenso lehrreich halte. Ja, ich möchte sogar die Kirche nicht verachten, obwohl ihre Geschichte ein Produkt des Irrtums und der Gewalt ist. Es giebt eben zwei Standpunkte, von welchen aus die biblischen Dinge zu betrachten. Es giebt den Standpunkt einer Art Urreligion, den der reinen Natur und Vernunft, welcher göttlicher Abkunft. Dieser wird ewig derselbige bleiben und wird dauern und gelten, so lange gottbegabte Wesen vorhanden. Doch ist er nur für Auserwählte und viel zu hoch und edel, um allgemein zu werden. sodann giebt es den Standpunkt der Kirche, welcher mehr





menschlicher Art. Er ist gebrechlich, wandelbar und im Wandel begriffen; doch auch er wird in ewiger Umwandlung dauern, so lange schwache menschliche Wesen sein werden. Das Licht ungetrübter göttlicher Ofenbarung ist viel zu rein und glänzend, als daß es den armen, gar schwachen Menschen gemäß und erträglich wäre. Die Kirche aber tritt als wohlthätige Vermittlerin ein, um zu dämpfen und zu ermäßigen, damit Allen geholfen und damit Vielen wohl werde. Dadurch, daß der christlichen Kirche der Glaube beiwohnt, daß sie als Nachfolgerin Christi von der Last menschlicher Sünde befreien könne, ist sie eine sehr große Macht. Und sich in dieser Macht und in diesem Ansehn zu erhalten und so das kirchliche Gebäude zu sichern, ist der christlichen Priesterschaft vorzügliches Augenmerk.

Freilich ist gar viel Dummes in den Satzungen der Kirche. Aber sie will herrschen und da muß sie eine bornierte (1) Masse haben, die sich dukt und die geneigt ist, sich beherrschen zu lassen. Die hohe, reichdotierte Geistlichkeit fürchtet nichts mehr als die Aufklärung der unteren Massen. Sie hat ihnen auch die Bibel lange genug vorenthalten, so lange als irgend möglich. Was sollte auch ein armes christliches Gemeindeglied von der fürstlichen Pracht eines reichdotierten Bischofs denken, wenn es dagegen in den Evangelien die Armut und Dürftigkeit Christi sieht, der mit seinen Jüngern in Demut zu Fuß ging, während der fürstliche Bischof in einer von sechs Pferden gezogenen Karosse (2) einherbraust.

Übrigens, wenn ich guter Laune bin, imponiert mir die Frechheit manches Kirchenfürsten, und ich male mir wohl aus, ich möchte z. B. in der englischen Staatskirche Bischof sein. Wissen Sie, wie ich es gemacht hätte? Ich hätte vor allen Dingen die Partei der 39 Artikel ergriffen,




(1) borniert, franz., unbelehrbar, engstirnig.
(2) Karosse, die; franz., Prunkwagen; prunkvoll ausgestattete Kutsche; Kurzform für Staatskarosse.




ich hätte sie nach allen Seiten und Richtungen hin verfochten. Ich hätte in Reimen und Prosa solange und so viel geheuchelt und gelogen, daß meine 30 000 Pfund jährlich mir nicht hätten entgehen sollen. Und dann, einmal zu dieser Höhe gelangt, würde ich nichts unterlassen haben, mich oben zu erhalten. Besonders würde ich alles gethan haben, die Nacht der Unwissenheit womöglich noch finsterer zu machen. O, wie hätte ich die gute einfältige Masse kajolieren (1) wollen, und wie hätte ich die liebe Schuljugend wollen zurichten lassen, damit niemand hätte wahrnehmen, ja nicht einmal den Mut hätte haben sollen, zu bemerken, daß mein glänzender Zustand auf der Basis der schändlichsten Mißbräuche fundiert sei!

O welch ein Spaß würde es für mich sein, die 39 Artikel auf meine Weise zu traktieren (2) und die einfältige Masse in Erstaunen zu setzen!

Ich habe übrigens einmal ein Prachtexemplar von einem englischen Kirchenfürsten kennen gelernt, den Lord Bristol, Bischof von Derby; es war in Jena. Er wollte mir im Laufe unseres Gespräches eine Predigt über den "Werther" halten und es mir in's Gewissen schieben, daß ich dadurch die Menschen zum Selbstmord verleitet habe. "Der "Werther", sage er, "ist ein ganz unmoralisches, verdammungswürdiges Buch!" (3) - "Halt!" rief ich, wenn Ihr so über den armen "Werther" redet, welchen Ton wollt Ihr dann geggen die Großen dieser Erde anstimmen, die durch einen einzigen Feldzug hunderttausend Menschen ins Feld schicken, wovon achtzigtausend sich töten und sich gegenseitig zu Mord, Brand und Plünderung anreizen? Ihr danket Gott nach solchen Greueln und singt ein Tedeum (4) darauf! Und ferner, wenn Ihr durch Eure Predigten über die Schrecken der Höllenstrafen die schwachen Seelen Eurer Gemeinden




(1) kajolieren, franz. schmeicheln, liebkosen
(2) traktieren: behandeln, literarisch darstellen, gestalten.
(3) Der Suizid galt damals als besonders verwerflich. Diese Tatsache war ein wichtiger Grund für die Kontroversen über Goethes Roman, die zum Beispiel in Leipzig sogar zum Verbot des Romans wegen "Verführung zum Selbstmord" führten. Der Bischof von Derby, Lord Bristol, warf Goethe ebendies vor. - Vorbild für den Protagonisten in Goethes Roman "Die Leiden des jungen Werthers" (1774, Neufassung 1787) war Karl Wilhelm Jerusalem. Er war ein entfernter Bekannter Goethes, der im Oktober 1772 Selbstmord beging. Goethe erfuhr davon durch den befreundeten Juristen J.C. Kestner. Dieser hatte Jerusalem tragischerweise die Pistole geliehen, mit der er sich erschoß. Goethe vermischte seine eigenen Erlebnisse des Sommers 1772 mit dem Schicksal Jerusalems, das im Werther im zweiten Teil immer mehr in den Vordergrund rückt. Im Sommer 1772 arbeitete er als Praktikant am Reichskammergericht in Wetzlar, wo er Charlotte Buff kennenlernte, die Braut von Kestner. Die widerspruchsvolle Liebe zu ihr, das daraus erwachsende schmerzliche Dreiecksverhältnis inspirierten ihn u. a. zu seinem ersten Roman, "Die Leiden des jungen Werthers". Karl Wilhelm Jerusalem wurde 1747 als einziger Sohn des Konsistorialvizepräsidenten und herzoglich-braunschweigischen Hofpredigers Friedrich Wilhelm Jerusalem geboren. Er als Sekretär des braunschweigischen Gesandten Hofrat Johann Jakob von Höfler (1714-1781) nach Wetzlar, der ihm mit allen Mitteln die ohnehin schon unbefriedigende Arbeit erschwerte. Der eigentliche Auslöser für seinen Selbstmord war aber die unerwiderte Liebe zur Ehefrau des pfälzischen Legationssekretärs, Frau Elisabeth Herd. Jerusalem war befreundet mit Gotthold Ephraim Lessing und interessierte sich für die kritische Richtung der englischen Philosophie.
(4) Tedeum das, lat., nach den Anfangsworten des Hymnus "Te Deum laudamus" = "Dich, Gott, loben wir!"




änstigt, sodaß sie darüber den Verstand verlieren und ihr armseliges Dasein zuletzt in einem Tollhause (1) endigen! Oder wenn Ihr durch manche Eurer orthodoxen (2), vor der Vernunft unhaltbaren Lehrsätze in die Gemüter Eurer christlichen Zuhörer die verderbliche Saat des Zweifels säet, sodaß diese halb starken, halb schwachen Seelen in einem Labyrint sich verlieren, aus dem für sie kein Ausweg ist als der Tod! Was sagt Ihr da zu Euch selber, und welche Strafrede haltet Ihr Euch da? - Und nun wollt Ihr einen Schriftsteller zur Rechenschaft ziehen und ein Werk verdammen, das, durch einige beschränkte Geister falsch aufgefaßt, die Welt höchstens von einem Dutzend Dummköpfen und Taugenichtsen befreit hat, die gar nichts Besseres thun konnten, als den schwachen Rest ihres bischen Lebens vollends auszublasen! Ich dachte, ich hätte der Menschheit einen wirklichen Dienst geleistet und ihren Dank verdient, und nun kommt Ihr und wollt mir diese gute kleine Waffenthat zum Verbrechen machen, während ihr Andern, ihr Priester und Fürsten, Euch so Großes und Starkes erlaubt!"

Dieser Ausfall that auf meinen Bischof eine herrliche Wirkung. Er ward so sanft wie ein Lamm und benahm sich von nun an mit der größten Höflichkeit und dem feinsten Takt.

Eine ziemliche Reinigung der Kirche müssen wir übrigens der Reformation zuschreiben, wenn es dabei auch recht menschlich zuging und das Kirchliche gar oft nur der Firniß (3) war, mit welchem man Leidenschaften und Bestrebungen überstrich, um Andere und sich selbst zu täuschen. Ihren rechten Ursprung hat sie doch in der germanischen Liebe zu persönlicher Freiheit. Wir wissen garnicht, was wir Luthern und der Reformation im Allgemeinen Alles zu danken haben. Wir sind frei geworden von den Fesseln geistiger Borniertheit (4),




(1) Tollhaus: Haus, in dem psychisch kranke Menschen von der Gesellschaft abgesondert lebten.
(2) orthodox: (abwertend) starr, unnachgiebig; das Festhalten an Dogmen.
(3) Firniß, franz., schnell trocknendes, farbloses Öl, das als Schutzanstrich aufgetragen wird.
(4) Borniertheit: mit Eingebildetheit gepaarte Engstirnigkeit, Unbelehrbarkeit; borniert: geistig beschränkt, eingebildet-dumm, engstirnig, unbelehrbar.




wir sind infolge unserer fortwachsenden Kultur fähig geworden, zur Quelle zurückzukehren und das Christentum in seiner Reinheit zu fassen. Wir haben wieder den Muth, mit festen Füßen auf Gottes Erde zu stehen und uns in unserer gottbegabten Menschennatur zu fühlen. Mag die geistige Kultur nun immer fortschreiten, mögen die Naturwissenschaften in immer breiterer Ausdehnung und Tiefe wachsen, und der menschliche Geist sich erweitern, wie er will: über die Hoheit und sittliche Kultur des Christentums, wie es in den Evangelien schimmert und leuchtet, wird er nicht hinauskommen.

Man fragt jetzt soviel, ob das und jenes in den Evangelien echt oder unecht, älter oder neuer sei. Das sind gar wunderliche Fragen. Was ist echt als das ganz Vortreffliche, das mit der reinsten Natur und Vernunft in Harmonie steht und noch heute unserer höchsten Entwicklung dient! Und was ist unecht als das Absurde, Hohle und Dumme was keine Frucht bringt, wenigstens keine gute! Sollte die Echtheit einer biblischen Schrift durch die Frage entschieden werden, ob uns durchaus Wahres überliefert worden, so könnte man sogar in einigen Punkten die Echtheit der Evangelien bezweifeln, wovon Markus und Lukas nicht aus unmittelbarer Ansicht und Erfahrung, sondern erst spät nach mündlicher Ueberlieferung geschrieben, und das letzte, von dem Jünger Johannes, erst im höchsten Alter. Dennoch halte ich die Evangelien alle für durchaus echt, denn es ist in ihnen der Abglanz einer Hoheit wirksam, die von der Person Christi ausging und die so göttlicher Art, wie nur je auf Erden das Göttliche erschienen ist.

Doch solche Fragen sollte die Kirche gar nicht soviel Kraft verwenden. Suchte man, was geliebt, gelebt und gelehrt werden soll, besser im Protestantismus auseinander





zu halten, legte man sich über die Mysterien ein unverbrüchliches, ehrerbietiges Stillschweigen auf, ohne die Dogmen mit verdrießlicher Anmaßung, nach dieser oder jener Linie verkünstelt, irgend Jemanden wider Willen aufzunötigen, oder sie wohl gar durch unzeitigen Spott oder vorwitziges Ableugnen bei der Menge zu entehren und in Gefahr zu bringen, so wollte ich selbst der Erste sein, der die Kirche meiner Religionsverwandten mit ehrlichem Herzen besuchte und sich dem allgemeinen praktischen Bekenntnisse eines Glaubens, der sich unmittelbar an das Thätige knüpfte, mit vergnüglicher Erbauung unterordnete. Hoffen wir, daß man nach dieser Richtung schreiten möge!

Je tüchtiger wir Protestanten in edler Entwicklung voranschreiten, desto schneller werden die Katholiken folgen. Sobald sie sich von der immer weiter um sich greifenden Aufklärung der Zeit ergriffen fühlen, müssen sie nach, sie mögen sich stellen wie sie wollen, und es wird dahin kommen, daß endlich alles nur eins ist.

Auch das leidige protestantische Sektenwesen wird aufhören. Denn sobald man die reine Lehre und Liebe Christi, wie sie ist, wird begriffen und in sich eigelebt haben, so wird man sich als Mensch groß und frei fühlen und auf ein bischen so oder so im äußeren Kultus (1) nicht mehr sonderlichen Wert legen.

Auch werden wir alle nach und nach aus einem Christentum des Worts und Glaubens immer mehr zu einem Christentum der Gesinnung und That kommen.

Und immer werden die Menschen nach oben blicken und Frieden, Liebe und heiligen Geist von dorther sich ersehnen. Wie oft habe auch ich nach dem innern, vollkommenen Frieden verlangt:




(1) Kultus: an feste Formen, Riten, Orte, Zeiten gebundene religiöse Verehrung einer Gottheit durch eine Gemeinschaft.




Der Du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest - - -

Auch ich habe in schweren Stunden voll Sehnsucht nach dem Spender der Liebe emporgeblickt:

O laß doch immer hier und dort
Mich ewig Liebe fühlen,
Und möcht' der Schmerz auch also fort
Durch Nerv und Adern wühlen.

Könnt ich doch ausgefüllt einmal
Von dir, o Ew'ger, werden -
Ach diese lange tiefe Qual,
Wie dauert sie auf Erden!

Und den alten Choral an den heiligen Geist habe auch ich mit eigenen Gedanken und Worten angestimmt:

Komm, heil'ger Geist, du Schaffender,
Komm, deine Seelen suche heim!
Mit Gnaden-Fülle segne sie,
Die Brust, die du geschaffen hast.

Du heißest Tröster, Paraklet (1)
Des höchsten Gottes Hoch-Geschenk,
Lebend'ger Quell und Liebesglut
Und Salbung heiliger Geistes-Kraft.

Du siebenfältiger Gaben-Schatz,
Du Finger Gottes rechter Hand,
Von ihm versprochen und geschickt,
Der Kehle Stimm und Rede giebst.

Den Sinnen zünde Lichter an,
Dem Herzen frohe Mutigkeit,
Daß wir, im Körper Wandelnden,
Bereit zum Handeln sein, zum Kampf!

* * *




(1) Paraklet der; Helfer, Fürsprecher vor Gott, besonders der Heilige Geist.






Nachwort



Manch kostbares Buch, manch geistvoller Aufsatz ist über Goethe geschrieben, und es wird auch in Zukunft nicht an Werken der Verherrlichung und Erläuterung fehlen.

Aber ihn selbst reden zu hören, geht doch am tiefsten zu Herzen; und besonders wenn er aus seinem Innersten heraus verkündet, was er über die großen Fragen der Zeit und Ewigkeit gedacht und empfunden hat, da geben wir uns ihm am liebsten unmittelbar zu eigen. Da steht er vor uns, stolz und gerade, die Hände auf dem Rücken; aus dem gesunden gebräunten Gesicht sehen wir die großen dunklen Augen durchdringend leuchten, und die tiefe wohlklingende Stimme spricht Worte der Weisheit, nicht selten wärmer und lauter werdend von innerer Erregung, wenn er an alte Kämpfe denkt.

Statt über seine Religion und seine Politik zu schreiben, habe ich den Versuch gemacht, den toten Meister selber darüber sprechen zu lassen. Woher ich die Reden nahm, die ich ihm in den Mund lege, erkennt der Fachmann leicht; für diejenigen Leser, die noch nicht Mitglieder der Goethe-Gemeinde sind, sei bemerkt, daß ich nach Art des Mosaik-Künstlers allerlei zerstreute Äußerungen Goethes zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzusetzen suchte. Namentlich entnahm ich die Stücke der vorzüglichen Sammlung der Gepräche mit Goethe, die Freiherr von Biedermann herausgegeben hat; auch wer nur die Gespräche mit Eckermann und dem Kanzler von Müller besitzt, wird viel Vertrautes finden. Im einzelnen gebe ich die Quellen unten an.

Beide Reden muß man sich in den letzten sieben Lebensjahren des Meisters gehalten denken, die erste etwas 1830, die zweite 1825.





Eine dritte Rede über Dichtung und andere Kunst soll demnächst folgen, ebenso ein Büchlein, in dem ich Goethes Lebenskunst schildern will. Die vorliegenden Reden waren übrigens, etwas kürzer als hier, schon in den "Preußischen Jahrbüchern" abgedruckt, und habe ich deren Herausgebern für die Bewilligung selbständiger Buchausgabe zu danken.

Möge der große Lehrer auch durch dieses Buch neue Schüler finden!

Weimar, im Oktober 1899.

                        Dr. Wilhelm Bode

















Quellenangaben



Wir stellen hier zusammen, was Goethe selbst geschrieben hat oder seine Zeitgenossen nach seinen Gesprächen wiedergegeben haben, und setzen in eckige Klammer [ . . ] was der Herausgeber eingeschoben hat, um die einzelnen Stücke zu einer Rede zu verbinden.


Meine Religion

  • In unseres ... fromm sein! (S. 5) Elegie, Weim. Ausg. II, 21. [ Und zum ... Fragen, S. 5 ].
  • Das Erforschliche ... Menschen. (S. 5) Quelle mir entfallen.
  • Der Mensch ... Dinge, (S. 5) zu Eckermann 1825. [ Wie mich ... Gedanken, S. 5 ].
  • Die Leute ... nennen mögen, (S. 5, 6) zu Eckermann 1824. [ Und was für ... Gottheit an! S. 6 ].
  • Nichts ... vorspiegelt! (S. 6) zu v. Müller 1823. [ Ich kann ... thronte, S. 6 ].
  • Was wär ... vermißt, (S. 6) Prooemion (1) von "Gott und Welt." [ Ich bin ... Kieselerde. S.6].
  • Was helfen ... Rolle befähigt, (S. 6) Quelle mir entfallen.
  • Hinter jedem ... nicht schauen, (S. 6) zu Eckermann 1832. [ Wir müssen ... aufhebt, S. 7 ].
  • Ich frage ... erkennen mag, (S. 6) zu Eckermann 1832. [ Wir müssen ... aufhebt, S. 7 ].
  • Gott selbst .. umstoßen kann, (S. 7) zu v. Müller 1830. [ Dagegen ... Göttlichen, S. 7 ].
  • und Gott ... auf erden, (S. 7) Versuch einer Witterungslehre. [Ich glaube ... Gottes suchen, S. 7 ].



(1) Prooemion, Einleitung, Vorrede, kleine Hymne.




  • Denn die Gottheit ... nutze. (S. 7) zu Eckermann 1829. [ Deshalb habe ich ... Fast geschrieben, S. 7 ]. [ Ebenso ... Gott suchen, S. 7 ].
  • Fragt man ... weben und sind, (S. 7, 8) zu Eckermann 1832. [ Da ich ... heutigen Welt, S. 8 ].
  • Wenn man ... heranzuziehen, (S. 8, 9) zu Eckermann 1832. [ Überall wo ... Offenbarung, S. 9 ].
  • Jede Produktivität ... fortwirkte, (S. 9) zu Eckermann 1828. [ Und ebenso ... Nachkommen! S. 9 ].
  • Beseelte Gott ... wirksam, (S. 9, 10) zu Eckermann 1831. [ Ein junger Bildhauer ... Kalb gesandt, S. 10 ].
  • Hier haben ... Allgegenwart Gottes, (S. 10) zu Eckermann 1831.
  • Willst du ... erblicken, (S. 10) Sprüche, Gott und Welt. [ Noch deutlicher ... Jungen, S. 10 ].
  • Wer das hört ... Blüte kommt, (S. 10) zu Eckermann 1827. [ Ich möchte ... heraustifteln, S. 10 ].
  • Solche Nützlichkeitslehrer ... mein Gott, (S. 11, 12) zu Eckermann 1831. [ Übrigens ... Bedürfnissen, S. 12 Vgl. Eckermann 1831 ].
  • Ich für mich ... erfassen mögen, (S. 12) an Jakobi 1813. [ Die Hauptsache ... bewußt bleiben, S. 12 ].
  • Wenn der uralte ... Brust, (S. 12) Grenzen der Menschheit. [ Wie an Gott ... wie ich, S. 13 ].
  • kann es ... fortleuchtet, (S. 13) zu Eckermann 1824. [ Wir Menschen ... Materie, S. 13 ].
  • Das Vermögen ... Ziele, (S. 13) zu Eckermann 1824.
  • Die persönliche ... Beweiskraft hervor, (S. 13) zu Falk 1813. [ Ich denke ... alle Menschen, S. 13, 14 ]. Das Bild von der Hand des Klavierspielers ist von Goethe.
  • Wir sind ... eine sein, (S. 14) zu Eckermann 1829. [ Man muß ... bethätigt haben, S. 14 ].
  • Die Überzeugung ... vermag, (S. 14) zu Eckermann. [ Ähnlich ... Großherzog, S. 14 ].
  • Gewiß wo ... pflegen wissen, (S. 14) Äußerung von 1830. [ Oder denken ... Wieland! S. 14 ].
  • Vom Untergang ... vergrößert hat, (S. 14) zu Falk 1813. [ Ich wünsche ... Wieland, S. 14 ].
  • als einer Weltmonade ... aufheiterte, (S. 14) zu Falk 1813. [ Für die besten ... daß sie, S. 14, 15 ].





  • an den Freuden ... ausgemittelt werden, (S. 15) zu Falk 1813. [ Sie sehen ... Leben, S. 15 ].
  • Ich möchte ... bessern Gedanken, (S. 15, 16) zu Eckermann 1824. [ Ebenso wie ... zu dürfen, S. 16 ].
  • Ich bin ... wiederzukommen, (16) zu Falk 1813. [ Erinnerung ... nicht Alles, s. 16, 17 ]. Vgl. zu Boisserée 1815, Brief an Wieland vom April 1776 und Brief an Frau von Stein vom März 1779.
  • Kein Wesen ... geschmückt, (S. 17) Vermächtnis in "Gott und Welt." [ Doch ich kehre ... fähig sei, S. 17 ].
  • Und er hatte ... gelingt mir, (S. 17, 18) zu Eckermann 1829 und 1830. [ Aber schon ... gesetzt sind, S. 18 ].
  • Denn zwar ... Schlüssel, (S. 18) Metamorphose der tiere. [ Wie bei den ... eine Seele, S. 18 ].
  • auf die andre ... mußte hierher, (S. 18, 19) zu Eckermann 1827. [ Aber die Hauptfrage ... Mohammedaner, S. 19 ].
  • als die Grundlage ... geschehen kann, (S. 19) zu Eckermann 1827. [ Die Gebundenheit ... glauben, S. 19 ].
  • Sobald wir ... weiß, (S. 19, 20) zu Eckermann 1825. [ Ich erkenne ... vorausbestimmt ist, S. 20 ].
  • Unser Leben ... bestimmt hat, (S. 29´0) zu v. Müller 1827. [ Und so ... Lebensgang, S. 20 ].
  • Wie an dem ... entfliehen, (S. 20) Urworte, Orphisch. (1) [ Wir würden ... Worten kam, S. 20 ].
  • Da ists ... Anfang waren, (S. 20) Urworte, Orphisch [ Wir würden ... Worten kam, S. 20 ].
  • Ich glaubte ... [ deus ipse, S. 20, 22 ]. Aus meinem Leben. 20 Buch [ Napoleon ... Grade S. 22 ].
  • sodaß ... gehören hierher, (S. 22, 23) zu Eckermann 1831.
  • ebenso Mirabeau ... willig hingab, (S. 23) zu Eckermann 1832.
  • In meiner ... unterworfen, (S. 23) zu Eckermann 1831.
  • So waltete ... Erfolg, (S. 23) zu Eckermann 1831. [ Mir kommt ... hinschleppt, S. 23 ].
  • es sind tausend ... zu wollen, (S. 23, 24) zu Eckermann 1831. [ Als hemmende ... voraus war, S. 24 ].
  • Nur ein lumpiges ... sehr langsam, (S. 24) zu Eckermann 1828. [ Etwas Ähnliches ... sehen wir oft, S. 24 ].




(1) orphisch, griechisch, geheimnisvoll, dunkel.




  • daß im mittleren ... übrig bliebe, (S. 24, 25) zu Eckermann 1828. [ Noch auf ganz ... und Weib, S. 25 ].
  • Es pflegt ... Folge war, (S. 25) zu Eckermann 1830.
  • Auch in der Poesie ... zu wirken, (S. 25) zu Eckermann 1831. eingeschoben: [ "Denken Sie nur an Paganini!" ]. [ Doch nun genug ... entscheidet, S. 25, 26 ]. Ausführung eines Gedankens gegen Eckermann vom 18. März 1831.
  • Gott läßt ... nicht will, (S. 26) 30. Januar 1808 bei Tisch. [ Und den Dämonen ... muß unsere S. 26 ].
  • bessere Natur ... als billig, (S. 26) zu Eckermann 1829. [ Das freilich ... besonders erweisen, S. 26 ].
  • Außerordentliche Menschen ... Wasser, (S. 26) zu Riemer 1807. [ Ich verhehle ... viel zu S. 26 ].
  • Pfaffen ... unendlich, (S. 26) zu Riemer 1817.
  • Die Weisen ... gestanden hast, (S. 26) Brief an Frau v. Stein 1781. [ Davon rührt ... sie abfertigt? S. 26 ]. Vgl. Eckermann 1825.
  • Dem edlen Lord ... alle Tage, (S. 26, 27) zu Eckermann 1825. [ Und machen es ... Jahrzehnten, S. 27 ]. Vorlage einiger Sätze mir entfallen.
  • Ich war ... sogar besser, (S. 27) zu Eckermann 1829.
  • Und wenn man ... Betrachtungsstoff haben, (S. 27) zu v. Müller und Riemer 1821. [ Da will jetzt ... Nichts! S. 27 ].
  • Aber ein solches ... davongekommen, (S. 27) zu Eckermann 1823. [ Ich kann nur ... gelehrt, S. 27 ].
  • Kinderchen ... zu sehen, (S. 27) bei Frommanns. [ Auch mit dem Ratgeben, S. 27 ].
  • ist es ... rechten Zeit, (S. 27, 28) Brief an Herder vom Oktober 1788. [ Namentlich ... von Übel, S. 28 ].
  • Wenn ein Edler .. Debet bleiben, (S. 28) Sprüche, Sprüchwörtlich. [ Ebenso wie ... Milde üben, S. 28 ].
  • Es wird ... oder nicht, (S. 28) zu Riemer 1811.
  • Gehts in ... Recht, (S. 28) Sprüche, Sprüchwörtlich.
  • Auch keine ... erteilt, (S. 28) zu v. Müller 1820. [ Ich sah jüngst ... konnte, S. 28 ].
  • Es war ... balanciert wird, (S. 28) zu Eckermann 1831.
  • Nichts taugt ... neue, (S. 28) Sprüche, Sprüchwörtlich. [ Noch in zweifacher ... stoßen, S. 29 ]. Vgl. v. Müller 1818.





  • Man hört ... zu sein, (S. 29) zu riemer 1810. [ Auch kann ... Ankläger, s. 29 ]. Vgl. v. Müller 1824.
  • Als wenn ... absurd ist, (S. 29, 30) zu Riemer 1807. [ Nach Allem ... Dasein Gottes. S. 30 ].
  • Wie ist ... verbreiten, (S. 30) zu Eckermann 1827. [ Nun soll man ... hervorriefe, S. 31 ].
  • Alles was ... Werke gehen, (S. 31) zu Eckermann 1825. [ Auch irrt sich, S. 31 ].
  • wer da meint ... Schwachheiten, (S. 31) zu Riemer 1814. [ Die Moral ... Art, S. 31 ]. Vgl. v. Müller 1818.
  • Sie ist ... Verstand ist, (S. 31) zu v. Müller 1819. [ Soll ich ... Guten nennt, S. 31 ]. Vgl. Voß 1804.
  • Freilich ungern ... gezogen zu werden, (S. 31, 32) Wilhelm Meisters Wanderjahre. 2. Buch, I. Kapitel. Mit einigen Kürzungen und Änderungen. [ Thätigkeit ... zu verwandeln suchen. S. 33 ]. Vgl. Heinemann, Goethe II, 355 und Brief an Rauch.
  • [ Die Wahrheit ... Echtheit nicht, S. 33 ]. Vgl. an Frau v. Stein 1786.
  • Man war ... wie er ist, (S. 33, 34) zu Eckermann 1824. [ Aber über allen ... spürte, S. 34 ]. Vgl. Tagebuch 1780.
  • Von allen ... umlagert, (S. 34) zu v. Müller. [ Und ich ... selber zu S. 34 ].
  • Nur heute ... entgangen, (S. 34) Sprüche, Sprüchwörtlich.
  • Was wir ... zu finden, (S. 34) zu v. Müller 1823. [ Ebenso kann ... noch fehle, S. 35 ]. Vgl. zu Eckermann 1824 und Tagebuch 1780.
  • Eine tägliche ... Zukunft, (S. 35) zu Eckermann. [ Wir sehen ... werden will, S. 35 ].
  • Diese Richtung ... Seite. (S. 35) Dem Polen Odyniec auf einem Blatte. [ ich betrachtete ... anfängt, S. 35 ].
  • Es ist dies ... verloren sei, (S. 35) zu Eckermann 1831. [ Tapferes ... Entgegenkommen, S. 35 ].
  • Allen Gewalten ... herbei, (S. 35, 36) Gedichte, "Ein Gleiches." [ Im christlichen Gewande ... Gleiche, S. 35 ]. Vgl. Zu Eckermann 1831.
  • Gerettet ... willkommen, (S. 35) Faust II Teil.
  • In diesen Versen ... Gnade, (S. 36) zu Eckermann 1831. [ Sie sehen ... gelte, S. 36 ].





  • Ich glaubte ... geholfen worden, (S. 36) zu Eckermann 1824. [ Man hat mich ... Gedächtnis, S. 36, 37 ].
  • Redlich ... zusammenfinden, (S. 37) an Gräfin Bernstorff 1823. [ Aber wenn ich ... sprechen, S. 37 ].
  • woran die gesunkene ... emporgearbeitet hat, (S. 37). [ ebemsp von der Bibel ... lehrreich halte, S. 37 ]. Vgl. v. Müller 1832. [ Ja ich möchte ... Gewalt ist, S. 37 ]. Vgl. v. Müller 1823.
  • Es giebt eben ... einherbraust, (S. 37, 38) zu Eckermann, 11. März 1832. [ Übrigens wenn ... gemacht hätte, S. 38 ].
  • Ich hätte ... Erstaunen zu setzen, (S. 38, 39) zu Eckermann 1830. [ Ich habe ... Jena, S. 39 ].
  • Er wollte ... feinsten Takt, (S. 39, 40) zu Eckermann 1830. [ Eine ziemliche ... Firniß war, S. 40 ].
  • mit welchem ... täuschen (S. 40) zu Luden.
  • Ihren rechten Ursprung ... Freiheit, (S. 40) zu Eckermann 1829.
  • Wir wissen ... erschienen ist, (S. 40, 41) zu Eckermann 1832. [ Doch auf solche ... verwenden, S. 41 ].
  • Suchte man ... unterordnete, (S. 41,42) zu Falk. [ hoffen wir ... möge, S. 42 ].
  • Je tüchtiger wir ... That kommen, (S. 42) zu Falk. [ Und immer ... Frieden verlangt, S. 42 ].
  • Der du .. stillest, (S. 43) Wanderers Nachtlied. [ Auch ich ... emporblickt, S. 43 ].
  • O laß doch ... auf Erden, (S. 43) Sehnsucht, Nachlaß W. A. IV. 95. [ Und den alten ... angestimmt, S. 43 ].
  • Komm, heiliger Geist ... zum Kampf. (S. 43) Übersetzung des Veni creator spiritus vom 10. April 1820.





Anmerkung:
Sämtliche Fußnoten wurden nachträglich bei der Internetüberarbeitung zum besseren Verständnis eingefügt.